Business in der Musikbranche – wichtiger als kreativität?

Chuck Berry, David Bowie und Michael Jackson. Menschen, die unsere Musikwelt mit ihrer Innovativität für immer geprägt haben. Durch neue Sounds, das Erschaffen von Kunstfiguren und der Popularisierung von Musikvideos haben sie die Industrie revolutioniert. Doch wie viel Kreativität und Individualität kann in einer milliarden-schweren, kompetitiven Branche tatsächlich überleben? Hinter jedem*r große*n Künstler*in steht eine noch größere Plattenfirma, welche die Fäden zieht und den maximalen Profit herausholen möchte. Um die Kreativarbeit und die Businessseite der Musikindustrie zu vergleichen und die Gewichtung dieser Aspekte im Zeitalter von Social Media zu hinterfragen, hat SUMO mit dem Gründer und Geschäftsführer von „Ink Music“ Hannes Tschürtz und dem Songwriter und Produzenten Daniel Weisz gesprochen.

von Iris Göbl

Komponieren, mixen, vermarkten. Zwischen einer Song-Idee und der Veröffentlichung des geschaffenen Liedes liegen zahlreiche Schritte, doch nicht alle haben direkt etwas mit Musik zu tun. Während die Branche auf den ersten Blick durchwegs kreativ erscheint, lässt sich schnell erkennen, dass im Hintergrund viele wirtschaftliche Prozesse ablaufen. Vom Pressetext bis hin zu Lizenzen muss sich ein Musiklabel um mehr als nur das perfekte Album kümmern. Hannes Tschürtz weiß, wie diese Industrie läuft: „Hinter jedem Lied steckt eine Geschichte, die es so gut und originell wie möglich zu erzählen gilt.“ Zusammen durch Artwork, Fotos und Posting würde eine Story rund um Musik und Artist gebaut werden, die eine Bindung zum Publikum entstehen lasse. Der Produzent Daniel Weisz fügt dabei hinzu, dass die Businessseite besonders im Bereich des Mainstreams bedeutsam sei.

“Head, Shoulders, Knees and Toes“

Das Sampeln von alten Melodien ist ein fester Bestandteil der Musikindustrie. In den letzten Jahren hat vor allem die Wiederverwendung von Kinderliedern an Popularität gewonnen. Songs wie „ABCDEFU“ und „Twinkle Twinkle“ wandeln traditionelle Stücke in „Breakup“-Tunes um. Diese Art des Musikschaffens ist zwar nicht innovativ, aber sie funktioniert wirtschaftlich. Durch das Erzeugen von Nostalgie kann schnell viel Aufmerksamkeit generiert werden und somit auch Einnahmen. Beispielsweise schaffte es die Single „Head, Shoulders, Knees and Toes“ von „Ofenbach“ und „Quarterhead“ featuring „Norma Jean Martine“ mit über 350 Millionen Streams auf Spotify weit nach oben in die Charts. Ob die Erfolge solcher Neuinszenierungen gerechtfertigt sind oder doch nur ein gutes Marketingkonzept dahintersteckt, ist Meinungssache. Tschürtz erzählt von dem stets gültigen Spruch, dass ein mittelmäßiger Song mit großem Budget und viel Marketing großartige Resultate erreichen kann, während ein melodisch und inhaltlich gutes Lied mit wenig Budget und kaum Marketingaufwand im Nirgendwo verschwindet. Weisz, der mit österreichischen Newcomer*innen wie Felicia Lu und Chris Steger zusammengearbeitet hat, betont jedoch die Voraussetzung eines guten Produkts: „Du kannst die Streaming-Zahlen wahrscheinlich pushen, aber am Ende des Tages, wenn es den Menschen nicht erreicht, dann hilft dir das ganze Geld nicht.“ Dennoch brauche man für den Mainstream das nötige Budget sowie das richtige Businessmodell.

TikTok, Spotify und Co.

„FNFZHN“. Ein Album, auf dem jeder Track nur 15 Sekunden dauert. Der Grund dahinter? TikTok-Erfolg! Längere Tunes braucht es nämlich nicht, um auf der Plattform groß zu werden. Auch Spotify ermutigt zu kürzeren Liedern, denn diese haben bei dessen Algorithmus eine höhere Chance beworben zu werden. Laut Tschürtz hatte Technologie historisch immer schon einen Einfluss auf die Ausgestaltung von Musik. Der Siegeszug des Song-Formates sei beispielsweise mit dem Aufkommen der Schallplatten eng verknüpft, da diese ursprünglich nur wenige Minuten Spieldauer fassen konnten. In den 1920er-Jahren sei dann aufgrund der werbetreibenden Radioindustrie die „Drei-Minuten-Single“ populär geworden. Heutzutage ist Spotify „state of the art“ und beeinflusst die Musikproduktion. Das wiederum erfreut nicht jede*n Kreative*n. Die Sängerin „Boy Jr.“ geht mit ihrem kritischen TikTok-Video „Streaming Plattforms killed the Bridge in Pop Songs“ viral und findet viel Zustimmung. Instrumentalpausen und Überleitungen finden in kurzen Liedern nämlich keinen Platz. Tschürtz findet bedauerlich, dass diese Anpassungen an den Markt wenig Freiraum für tatsächliche Originalität zulassen. Dass soziale Netzwerke jedoch immer wichtiger werden, lasse sich nicht bestreiten. Neue Künstler*innen hätten eine höhere Chance zum Erfolg, wenn sie bereits online Reichweite und viele Follower*innen besäßen.

Der Einfluss von Trends auf Musik

Im Zeitalter von Social Media scheint es jeden Tag einen neuen Trend zu geben. Als Musiker*in da mitzuhalten verlangt viel ab. Doch einige Artists probieren genau das. Sie würden in Songwriting-Sessions gezielt auf die neuesten Entwicklungen hinarbeiten, so Weisz. Doch nur weil man sich Trends zur Vorlage nehmen würde oder einen ähnlichen Sound produziert, hieße dies nicht, dass das resultierende Lied keine eigene Note mit sich bringen könne. Jede*r Sänger*in, sowie Produzent*in schafft Individualität, welche in der Musik zu hören sei. Bei tausenden von Uploads pro Tag und nur zwölf Noten im System, sei es ohnehin kaum möglich etwas zu komponieren, das es noch nie zuvor gab. Hannes Tschürtz bestätigt die steigende Orientierung an bewährten Schemen und erzählt, dass neue Künstler*innen immer öfter aufgrund von Trends und Playlist-Vorlieben unter Vertrag genommen werden. Jedoch erzählt er von seiner Präferenz von eigenständiger Musik, die sich nicht nach dem Zeitgeist richtet. Seiner Meinung nach wäre die Branche sonst sehr langweilig.

Unbeständigkeit der Branche

An einem Tag ist man auf Platz eins der Charts, am nächsten „yesterdays news“. Besonders „One-Hit-Wonders“ können den Ruhm des Bekanntseins nur kurz genießen. Ein erfolgreicher Song verspricht schon lange keine erfolgreiche Musikkarriere. Doch auch umgekehrt kann es laufen. Durch das „richtige“ Lied zur „richtigen“ Zeit kann sich das Leben eines*r Newcomer*in in einem Augenblick wenden. Welche Musik bei den Hörer*innen gut ankommt, kann man, laut Weisz, jedoch zuvor nicht wissen. Es sei nicht möglich einen sogenannten „Evergreen-Song“ gezielt zu schreiben. Der Erfolg eines Liedes lasse sich nur so weit vorhersagen, wie ihn das Label finanzieren kann und der*die Interpret*in bereits etabliert ist. Diese Faktoren würden einen Song pushen, seien aber trotzdem keine Garantie. Herr Tschürtz nennt die Unvorhersehbarkeit des Erfolgs das Schöne und Grausame an dem Markt. Durch gesammelte Erfahrung hätte sein Label jedoch einen „ziemlich guten Riecher“ entwickelt. Ein universelles Rezept gäbe es in diesem Geschäft aber nicht.

Kreativität vs Business

Nicht jede*r Sänger*in ist auch gleich Urheber*in und somit Schaffer*in seiner*ihrer Musik. Es sei auch üblich, dass Songs, geschrieben von Songwriter*innen, an Artists gepitcht werden würden und diese somit keine Teilnahme an der Komposition gehabt hätten, so Weisz. Im kleineren Bereich sei die Einbindung des*der Interpret*in jedoch üblich und für eine authentische Vermarktung unentbehrlich. Die Persönlichkeit des*der Musiker*in hätte auch großen Einfluss auf die Lieder selbst. Kreativität und Business – steckt darin nicht ein Widerspruch in Idee und Anspruch? Hannes Tschürtz und Daniel Weisz, Vertreter dieser zwei Seiten, zeigen jedoch, dass sich wirtschaftliches Denken und künstlerisches Schaffen nicht ausschließen, sondern unterstützend aufeinander aufbauen können. Tschürtz ist der Meinung, ohne die Arbeit der Künstler*innen gäbe es erst gar kein Produkt. Das Musikgeschäft jedoch ökonomisch zu bewältigen, würde ebenso enorme Kreativität erfordern: „Also sehe ich den Widerspruch nicht“.

von Iris Göbl