Horror spielt mit unseren Gefühlen. Wir wollen aber immer mehr – düstere Szenen, Nervenkitzel, Angstlust. Im Endeffekt bekommt das Publikum (meist), was es will.
SUMO hat im Gespräch mit dem Schriftsteller, Literatur- und Filmwissenschaftler Thomas Ballhausen und dem Film- und Serienproduzenten Marvin Kren erfahren, was moderne Horrorserien so attraktiv macht und wie diese geschaffen werden.
Einen fast zwei Stunden dauernden Film oder doch eine 40-minütige Folge einer Horrorserie ansehen? Gemäß Thomas Ballhausen bieten die modernen Serien neue Ansätze und effektive Elemente sowie eine effiziente Nutzung von Filmstrategien. Ausgehend von den Strukturen fungieren in den Serien die tradierten Momente. Worin aber liegt der Unterschied? „Bei den Serien kann sich die Erzählungssicht ganz anders entfalten. Der Film hat sich immer für den menschlichen Körper interessiert“. Der Wissenschaftler weist außerdem darauf hin, dass in den Fernsehserien andere Momente von Horror abgespielt werden als in traditionelleren Medien. Er erwähnt das Beispiel „Dracula“: Das Werk hat verschiedene Ausformungen – Roman, Theaterstück, Spielfilm, Fernsehserie – und jede Erscheinungsform sei anders gestaltet.
Horrorserien und Horrorfilme benutzen dieselben Instrumente des Schreckens auf verschiedene Weise. Die Filme lassen ZuschauerInnen oftmals durch sogenannte „Jump scares“ – plötzlich abgespielte heftige Momente, die gewöhnlich durch einen Anstieg der Lautstärke begleitet werden – erschrecken. Es ist dunkel, niemand ist im Zimmer, es regnet, plötzlich springt eine Frau schreiend aus dem Schrank – als klassisches Beispiel. Horrorproduzent Marvin Kren betont, dass alle Menschen, die Horror ansehen, Angst nur vom Ton bekämen. „Der Ton ist alles, die einzige Geheimwaffe“. Der Ton bestimme 90 Prozent der Qualität des Filmes, und: „16 Scares verteilt auf 90 Minuten – das macht, technisch gesehen, einen guten Horrorfilm aus.“ Laut Kren würden auf Basis dieser Grundrechnung die Drehbücher geschrieben. Wenn der/die Zuschauer/in sich auch noch mit der Geschichte identifizieren könne, werde er/sie zum Teilnehmer bzw. zur Teilnehmerin des Geschehens.
Horrorserien versuchen zusätzlich, die Aufmerksamkeit fortdauernd aufrechtzuhalten und oftmals übernatürliche sowie gewalthältige Situationen in den Vordergrund zu bringen. Bei den Serien ist es möglich, die dauernde und tiefe Entwicklung der Gefühle und der Charaktere der Hauptfiguren zu beobachten. Im Film ist alles sehr komplex und schnell, die Handlung steht stärker im Zentrum als die Persönlichkeiten. SUMO hat sich auch dafür interessiert, welche Aspekte beim Drehen eines Horrorfilms berücksichtigt werden müssen. „Drehen ist nicht so schwer, es gibt nur Aufforderungen“, so Kren. Er verweist darauf, dass es manchmal schwierig sein könnte, den SchauspielerInnen Angstgefühl zu vermitteln. Die SchauspielerInnen müssen zusammen mit den ZuschauerInnen an die jeweilige Situation glauben und sich wirklich fürchten. Er betont aber, dass Erstere das auch ganz gut könnten. Manche ProduzentInnen benutzen solche Tricks wie „Ein totes Kaninchen ins Gesicht werfen“, Marvin Kren hält aber nichts davon.
Warum haben wir Spaß, erschrocken zu werden?
Thomas Ballhausen meint, dass Horror eine Erfahrung ist, die gerne mit FreundInnen geteilt werde, etwa „vor der Pandemie … gemeinsam eine Pizza zu bestellen und einen Horrorfilm anzuschauen“. Auch spielten die neuen Distributionskanäle für Horrorserien eine Rolle, die „anders befüllt und aufbereitet sind“. Der Horror schließe laut Ballhausen „auf unbewusste Ängste und Träume an und verbindet auf bewusste Weise, was in einer Gesellschaft schief gehen kann und was es bedeutet, ein Mensch zu sein“. Ist die Wahrnehmung der Horrorserien bei Männern und Frauen unterschiedlich? Er zweifelt daran, ob es einen „female-friendly“ Horror gäbe, konstatiert jedoch, dass „das Horrorgenre eines der ersten ist, das die Heldinnen stark gemacht hat. Eine unwahrscheinliche Figur darf zur Heldin werden“. Marvin Kren stimmt dem Filmwissenschaftler zu und betont, dass weibliche Heldinnen schon seit langem als Hauptfiguren auftreten. Auch gebe es die Tendenz, dass heute Serienfiguren in Bezug auf Herkunft, sexuelle Ausrichtung und Religion diverser werden.
Die Philosophie hinter „The Walking Dead“
Horrorserien sowie Horrorfilme sind in verschiedene Genres unterteilt. Ziehen wir eine der repräsentativsten Horrorserien im Genre „Tote“ heran – „The Walking Dead“. Die Serie stellt eine bunte Mischung aus verschiedenen Erzählstrategien dar: Horror, Abenteuer, Western, Katastrophe, Science-Fiction und Thriller. Heutige DrehbuchautorInnen versuchen unterschiedlichste dramaturgische, Film- und Sprachstile, HeldInnen-Konstrukte und Handlungen miteinander zu kombinieren. Marvin Kren hat nur die erste Staffel der Serie angesehen, diese aber „spannend, toll und originell“ gefunden.
Jede/r hat sich schon Gedanken gemacht, was hinter dem Leben steckt. „The Walking Dead“ öffnet für uns eine mögliche Variante. Aber was fasziniert Millionen von Menschen? Die Antwort ist – der Tod. Die Toten, die jederzeit aus dem Grab kommen können und einem in den Hals beißen. Die erste Pilotserie erschien Ende Oktober 2010 und wurde vom amerikanischen Fernsehsender AMC erstellt. Heute umfasst die Serie zehn Staffeln, die elfte Staffel erscheint 2021. Darüber hinaus hat AMC auch das Prequel „Fear the Walking Dead” produziert, welches ebenso ziemlich erfolgreich ist. Die Horrorserie lässt uns nicht nur von einer großen Anzahl an Toten und einer düsteren Atmosphäre erschrecken, sondern bringt uns auch auf Gedanken, die uns gewöhnlich kaum im Alltag erscheinen. Worin liegt der Unterschied zwischen Zombie und Menschen? Lohnt es sich gegen die Moral anzugehen, die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Freiheit zu verletzen, wenn die Situation gefährlich ist? Ist es besser, alleine den Weg zum Überleben zu suchen oder sich an die Gruppe zu halten? Sind die Opfer sinnvoll? „Es werden die Geschichten von den Menschen erzählt, von deren Zusammenleben und Zusammenhalt“, so Kren. Die ZuschauerInnen versetzen sich an die Stellen der Hauptfiguren und grübeln, wie sie sich in der einen oder anderen Situation verhalten würden. Es ist sicher schwer, die eindeutigen Antworten auf obige Fragen zu finden. Vor Hunderten von Zombies stehend, die nur ihnen Hunger stillen wollen, treten die moralischen sowie philosophischen Aspekte in den Hintergrund.
von Elizaveta Egorova