Ich tue es, gebe es ungerne freiwillig zu, aber aufhören will ich damit auch nicht: es geht um Trash-TV. Ein Genre, das hohe Reichweite generieren kann. Wieso ich mir fast täglich diese „Verblödung“ gebe, was die sogenannte kognitive Dissonanz damit zu tun hat und warum sogar der TV-Riese RTL jetzt einen anderen Weg gehen möchte, wird in diesem Artikel behandelt.
von Melanie Pejic
Trash-TV – Was ist das überhaupt? „Trash“, aus dem Englischen übersetzt „Müll“ und „TV“ für „Fernsehen“ ergeben zusammen Müllfernsehen. Eine Definition, mit der ich nicht viel anfangen kann, weswegen mich die Recherche tiefer ins World Wide Web führte.
Laut yourdictionary handelt es sich dabei um ein Genre des Fernseh-Talkshows, mit wenig Lerninhalten, die vor allem auf Kontroverse-Themen und Konfrontation ausgerichtet ist. Das Lexikon der Filmbegriffe weist Trash-TV Attribute auf, durch die es erkennbar wird: Unhöflichkeiten, Beleidigungen, Demütigungen und Erniedrigungen durch auftretende Talkshow-Moderatoren. Auch Slang, lautstarke Streitereien, verbaler Krawall, Anmache durch Körperfetischismus wie Piercings und Tattoos, aber auch plumpe Erotik sind Attribute des Trash-TV.
In der Medienwissenschaft wird „Trash-TV“ angelehnt an den Begriff „Unterschichtenfernsehen“ aber auch „Affektfernsehen“. Dabei handelt es sich laut Wikipedia um ein medienpsychologischen Ausdruck für unterschiedliche moderne Fernsehformate wie Talk-, Beziehungs- oder Spielshows. Es handelt sich hierbei um jene Fernsehangebote, die die Eigenschaften der Zentrierung auf Einzelschicksale, der Fokussierung auf emotionale Befindlichkeiten und der Überschreitung der Grenze zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit umfassen.
Es kann also gesagt werden, dass es zu Trash-TV einige Definitionen gibt, jedochan dem Fernsehgenre kein gutes Haar gelassen wird. Auch als ich mich in meiner näheren Umgebung bezüglich dieses Themas umgehört habe, fallen Schlagwörter wie „Verblödung“, “Müll“ oder „Zeitverschwendung“.
Warum schauen wir Müllfernsehen?
Warum wir uns eine solche Verblödung regelmäßig ansehen, ist eine Frage, die wir uns nicht nur selbst stellen, sondern mit der sich auch Experten und Wissenschaftler schon beschäftigt haben.
Während der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler in einem Interview meinte, dass Trash-TV überwiegend wegen des Mitfieberns der Zuseher*innen geschaut werde. Auch das Mitfühlen mit Kandidat*innen und das hämische Mitlachen den Zuseher*innen Spaß bereiten und bindet diese darüber hinaus an die Protagonisten und die Sendung, den Sender selbst. Eine tiefer reichende Ansicht diesbezüglich ist das medienpsychologische Konzept der kognitiven Dissonanz.
Kognitive Dissonanz ist ein Phänomen, das man nicht alltäglich hört, deswegen gilt es vorab zu klären, was dies überhaupt bedeutet. Kognitive Dissonanz ist ein negativer Gefühlszustand, der durch nicht vereinbare oder sich gegenseitig sogar ausschließende Wahrnehmungen ausgelöst wird. Dies können sowohl widersprüchliche Gefühle, Vorstellungen, Wünsche aber auch Ziele, Einstellungen, Meinungen und Absichten sein. Aber welchen Zusammenhang findet sich dazu zu Trash-TV?
Als Musterbeispiel der kongitiven Dissonanz wird oft das Rauchen von Zigaretten genommen. Wie auch im Buch von Gerhard Raab et. al. „Marktpsychologie“ wird das innere Abwägen, ob Rauchen nun gut oder schlecht sei, herangezogen. Fast allen Rauchern sei klar, dass Rauchen erhebliche Gesundheitsgefahren mit sich bringe, wenn der Tabakkonsum fortgesetzt werde. Fragt man Raucher nach den Gründen ihres Konsums, antworten diese meist damit, dass sie gerne rauchen, oder dass ihnen die Zigarette einfach schmecke. Außerdem erfolgt oftmals die Antwort, sie kennen viele Leute, die trotz Rauchens lange gelebt hätten. Durch die Theorie der kognitiven Dissonanz kann dieses Verhalten einfach erklärt werden: Wer raucht, kann die die Differenz des eigenen Verhaltens in Bezug auf Ziele wie Gesundheit und langes Leben nicht ertragen und entwickelt in der Folge Strategien, um diese Dissonanz zu überwinden. Dies erfolgt beispielsweise durch Betonung anderer wichtiger Gefühle, also beispielsweise des guten Geschmacks einer Zigarette bis zur schlichten Verleugnung von offensichtlichen Tatsachen.
Legen wir dieses Beispiel jetzt auf Trash-TV um: Es gibt Menschen, die Trash-TV wahrnehmen, es wird aber gar nicht erst eingeschaltet und die Sendung schon im Vorfeld als unangemessen abgewertet. Viele Menschen können jedoch nicht widerstehen Trash-TV zu schauen, obwohl sie wissen, dass es für schlecht oder gar für „hirnlos“ gehalten wird. Später setzt dann ein Gefühl von Schuld, Wut und moralischen Ärger ein – sogar über sich selbst. Dabei kollidiert das Handeln in einer kognitiv-affektiven Neubewertung mit eigenen Vorstellungen, eigenen Ansprüchen oder mit jenen wahrgenommenen der Gesellschaft. Danach redet man sich selbst ein, sich nicht wie die Personen im Fernsehen zu verhalten und stellt sich selbst als besser dar, als die Motivation gehabt zu haben, Trash-TV gezielt auszuwählen. Eine Selbstvergewisserungstaktik. Dies geschieht, um die kognitive Dissonanz zu vermindern oder gar zu überwinden.
TV-Riese RTL geht neue Wege – Aus für Trash-TV?
Offensichtlich gibt es das Phänomen der kognitiven Dissonanz aber nicht nur bei einzelnen Individuen. Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass auch der TV-Riese, die Mediengruppe RTL, Dissonanzen bei sich feststellen konnte: Jahrelang sahen wir auf RTL Trash-TV-Shows wie „Teenie Mütter“, „Der Bachelor“ oder auch „Temptation Island“.
Bereits im Jänner 2019 wurde die neue Geschäftsführung der Mediengruppe RTL vorgestellt. Anfang des Jahres kündigte das Medienunternehmen RTL an, neue Strategien umzusetzen und neue Wege des kommerziellen Unterhaltungsfernsehens gehen zu wollen. Unterm Strich folgten daraufhin einige Konsequenzen: Der Vertag von Urgestein Dieter Bohlen wurde nicht verlängert, es folgten weitere Ausstiege von Moderator*innen aus dem Sender, etwa von Ralf Schmitz, der dem Sender den Rücken kehrte und zu seinem Heimatsender Sat. 1 zurückkehrte. Auch ein Kurswechsel des Senders wurde angekündigt: In einem Interview gab ein Mitarbeiter bekannt, dass sich das „neue“ RTL nicht nur auf ein neues Logo beschränken soll. Das neue Multi-Colour-Logo von RTL sei in seiner Farbenvielfalt einzigartig in der europäischen Medienlandschaft. Das Logo folgt der Regel: Der Inhalt definiert die Marke. Die Farben sind individualisierbar, um verschiedene Themen und Partnerschaften in unterschiedlichen Kontexten herauszustellen. RTL will auf einmal nicht mehr RTL as we know it sein.
Die neue Markenstrategie geht mit einer neuen Programmausrichtung einher. So setzt der RTL weiterhin auf ein umfangreiches Informationsangebot und baut dieses um zwei weitere Stunden täglich aus. Ein Aus für Trash-TV zeigt sich trotz allem dennoch nicht. „Ich bin ein Star holt mich hier raus“, auch bekannt unter dem „Dschungelcamp“, wird wie RTL bereits bestätige auch 2022 wieder ausgestrahlt, zwar wird dieses Mal nicht im Australischen Dschungel gedreht, sondern in Südafrika. Wenn man sich das Programm von RTL heute anschaut, fällt außerdem auf, dass auch „Der Bachelor“, „Temptation Island“, aber auch „Teenie Mütter“ nach wie vor ausgestrahlt werden. Ob die neue Strategie von RTL damit das Publikumsinteresse trifft und sich diese Strategie bewährt, wird die Zukunft zeigen. Es zeigt sich jedoch: Ein Aus für Trash-TV gibt es trotz des Kurswechsels in ein seriöses und familienfreundliches Programm nicht und ich kann mich auch weiterhin an dieser „Verblödung“ erfreuen. Meine Dissonanz ist gelindert. Die von RTL offenbar auch.
Über die Autorin
Melanie Pejic wurde 1996 geboren, lebt in Kottingbrunn und schoss ihr Medienmanagementstudium 2022 erfolgreich ab. Ihre gewählten Schwerpunkte sind Marketing & Sales und Contentmanagement. Ihre Freizeit verbringt sie mit ihrem Hund, Sport, sowie Reisen.
Kontaktmöglichkeit: mm191006@fhstp.ac.at