Repressive Medienpolitik – wie geht die EU damit um?

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Medien stellen in erster Linie Öffentlichkeit her und spielen in einer Demokratie eine zentrale Rolle in der Informationsvermittlung und der Kontrolle von EntscheidungsträgerInnen. Ein hohes Gut, das auch in der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ verankert ist, ist die Sicherstellung von Presse- und Meinungsfreiheit.  Allerdings halten sich hier nicht alle EU-Staaten daran. SUMO wollte diesem Thema auf den Grund gehen im Gespräch mit Natascha Zeitel-Bank, Dozentin am Institut für Medien, Gesellschaft und Kommunikation der Universität Innsbruck und Expertin im Bereich Europäische Medienpolitik. 

Medienpolitische Organe der EU 

Die Europäische Kommission besteht aus verschiedenen fachspezifischen Generaldirektion, vergleichbar mit nationalen Ministerien. Hierbei sind vor allem die Bereiche Binnenmarkt, Wettbewerb, Bildung / Kultur sowie Jugend, Medien und Sport relevant.  Die drei Akteure im Gesetzgebungsprozess der EU sind die Europäische Kommission als oberste Verwaltungsbehörde (unterbreitet einen Gesetzesvorschlag), das Europäische Parlament als die gewählte Volksvertretung und der Rat der Europäischen Union, besser bekannt als Ministerrat, in dem sich die FachministerInnen der einzelnen Mitgliedstaaten regelmäßig treffen. In den meisten Bereichen stimmen Rat und Europaparlament gleichberechtigt über einen Gesetzesvorschlag ab. Im Bereich Medienpolitik werden viele Bereiche auch ausschließlich auf der nationalen Ebene behandelt, vor allem wenn es um die Wahrung der kulturellen Errungenschaften geht. Einen wichtigen Einfluss auf die europäische Medienpolitik hat auch der Europäische Gerichthof, vor allem dann wenn es um die Wahrung der Grundrechte geht. 

Ungarn als Problemstaat  

In Ungarn üben die regierenden PolitikerInnen immer größeren Einfluss auf die Medienunternehmen aus und diese sind in ihrem Handeln immer stärker eingeschränkt. „Der Standard“ berichtete bereits am 29.11.2019 über diese Entwicklungen gegen die Pressefreiheit. Die Orbán-Regierung soll seit zehn Jahren daran arbeiten, kritische Medien zu unterdrücken. Damals fand die Regierung eine Möglichkeit, auch ökonomischen Druck auf die Medienunternehmen auszuüben. Mehr als 80 Prozent des staatlichen Werbeetats sollen an die regierungstreuen Medienhäuser gehen. Die dadurch gut geförderten, quasi staatlichen Medien bestimmen die Themen und für kritische Recherche und Berichterstattung fehle den neutralen Medienhäusern oft das Geld. Ohne kritische Berichterstattung aber sind die Informations- und Kontrollfunktion in einem Staat und somit grundlegende demokratische Rechte gefährdet. Überdies wurden ab 2018 erst alle öffentlich-rechtlichen Rundfunksender, danach 500 regierungsnahe in die staatliche und zentral koordinierte Medienholding Media Services and Support Trust Fund (MTVA) überführt und auf rechtskonservativen Kurs getrimmt. Die einzige Nachrichtenagentur ist in Staatsbesitz, die Medienbehörde Staatliche Behörde für Medien und Nachrichtenübermittlung (NMHH) überwacht sowohl den öffentlich-rechtlichen als auch privaten Rundfunk, Zeitungen und Onlinemedien. Solche Entwicklungen bedürften eigentlich eines Handelns seitens der EU. Natascha Zeitel-Bank, die in Brüssel in der Presseabteilung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie im Sprecherdienst arbeitete, bevor sie in der dem Kommissionspräsidenten unterstellten Presseabteilung für drei Jahre als Redakteurin tätig war, sieht eine klare Problematik in Ungarns aktueller Situation. Laut Zeitel-Bank ist es wichtig, dass die EU-Parlamentarier/innen gegen die schwerwiegenden Verletzungen europäischer Grundwerte vorgehen. 2018 drohte gegen Budapest ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge, dies kann zum Stimmrechtsentzug im Ministerrat führen. Am 17. April 2020 gab es erneut eine Beschlussfassung im Europäischen Parlament gegen Ungarn. Die Europaabgeordneten kritisierten den Regierungschef dafür, dass er die Corona-Pandemie und die damit verbundene Krise zur eigenen Machterweiterung (Notstandverordnung) ausnutze und die Opposition dadurch ausschalte, so Zeitel-Bank. Bei der Frage, ob es eine klarere Struktur der Medienpolitik auf EU-Ebene brauche, um stärker eingreifen zu können, meint Zeitel-Bank, die Medienpolitik liege immer noch zu weiten Teilen in den Händen der Nationalstaaten. Allerdings wird die Medienpolitik nun als Teil der digitalen Binnenmarktstrategie gesehen. Hierdurch geraten wirtschaftliche, kulturelle und demokratiewahrende Aspekte (Stichwort: Plattformökonomie) in den Vordergrund.  Hinsichtlich Medienfreiheit und Medienpluralität habe die EU mit der 2009 Rechtsverbindlichkeit erlangten Charta der Grundrechte der Europäischen Union einen zentralen Meilenstein gesetzt. Damit erfolge eine wichtige vertragliche Verankerung auf europäischer Ebene. Dennoch gebe es laut Zeitel-Bank im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit von Land zu Land, vor allem in einigen osteuropäischen Ländern wie Polen, Ungarn, Bulgarien andere Auffassungen. Das Ranking zur Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ zeige diese Unterschiede und Problematiken sehr gut auf. 

Bosnien und Herzegowina – handelt hier die EU? 

Probleme, wie sie in Ungarn zu finden sind, gibt es auch in europäischen Nicht-EU-Staaten. Ein selten genanntes Beispiel ist Bosnien und Herzegowina. Der Staat, der aus den beiden Entitäten Föderation Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska besteht, hat aufgrund seiner Geschichte und der politischen Situation auch im Mediensektor mit Problemen zu kämpfen. Ein Beispiel für die Problematik repressiver Medienpolitik ist der private bosnische Radio- und Fernsehsender Radio Televizija Bijeljina (RTV BN). Der Sender hatte nach eigenen Angaben des Öfteren mit Anfeindungen seitens Milorad Dodiks (Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums) aufgrund kritischer Berichterstattung zu kämpfen. In dem Beitrag „Novi napad Milorada Dodika na BN TV!“, zu Deutsch „Ein neuer Angriff Milorad Dodiks auf BN!“, von RTV BN (08.05.2014), schildert der Sender die Angriffe. Im Jahr 2010 stürmten Beamte das Gebäude des Radio- und Fernsehsenders wegen angeblicher Steuerhinterziehung, RTV BN behauptete aber, dies sei ein Racheakt des Politikers Dodik gegen eine kritische Berichterstattung. Auch deckte der Sender 2014 auf, dass Dodik seinem Sohn aus staatlicher Kasse 10 Mio. Euro für sein Unternehmen zukommen ließ. Dodik dementierte die Vorwürfe und nutzte alle folgenden Pressekonferenzen, um den Sender schlecht zu machen. 2018 wurde einer der für den Sender arbeitenden Reporter, der über einen Protest gegen Dodik berichten sollte, brutal zusammengeschlagen. „Reporter ohne Grenzen“ (ROP) warnen vor diesen negativen Entwicklungen und betrachten die Situation in Bosnien kritisch. Der Staat liegt in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit laut ROP auf Platz 58 – Ungarn auf Platz 89 (zum Vergleich: Österreich auf Platz 18). Auf keines dieser Ereignisse in Bosnien-Herzegowina hat die Europäische Union reagiert, wiewohl der Staat 2016 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hatte. Die Medienhäuser kämpfen selbstständig gegen die Anfeindungen der PolitikerInnen. 

Eine neutrale und kritische Berichterstattung zu gewährleisten, sollte das Ziel eines jedes demokratischen Staates sein. Wenn dies nicht gewährleistet wird, müssen Schritte gegen diese Entwicklungen unternommen werden, um die Demokratie in Europa zu sichern. 

Von Anja Stojanovic