Lokaljournalismus ist eine unabdingbare Säule der Medienlandschaft.
SUMO sprach mit Univ.-Prof. Horst Pöttker (Technische Univ. Dortmund), dem Chefredakteur und Herausgeber des Online-Magazins „dolomitenstadt.at“ Gerhard Pirkner, und dem Journalisten Florian Eder („Kleine Zeitung“) über die Auswirkungen der Digitalisierung auf Lokalmedien.
Lokaljournalist*innen informieren Bürger*innen über die Geschehnisse in der Region, ihr Nachrichtenwert ist spezifisch. Über die Inhalte des Geschriebenen wird mit Freund*innen, Verwandten und Bekannten diskutiert, diese Inhalte bewegen, verbinden, führen aber auch zu Meinungsverschiedenheiten. Kaum ein anderes Ressort holt Menschen auf einer dermaßen emotionalen Schiene ab. Kaum ein anderes Ressort hat dermaßen mit dem digitalen Wandel zu kämpfen. Oft sind Lokalredaktionen sehr klein, die dort arbeitenden Journalist*innen schon seit Jahren, teils Jahrzehnten, dort tätig. Die Nachwuchsredakteur*innen zieht es in die großen Redaktionen in den Metropolen. Sie wollen über Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft und Kultur berichten, sie wollen die großen Geschichten schreiben, die das ganze Land lesen will, nicht darüber, was in ihren Heimatorten vor sich geht. Doch das eine schließe das andere nicht aus, meint Gerhard Pirkner, Herausgeber und Chefredakteur von „dolomitenstadt.at“. „Eigentlich muss man als Lokaljournalist*in genau gleich agieren wie bei einem großen Medium. Mit dem einen Unterschied, dass man in der Lokalberichterstattung diese Geschichten auf einen Punkt herunterbrechen muss, der lokal vor Ort stattfindet.“ So lautet seine Herangehensweise: „Das Große klein und das Kleine groß zu machen.“ „Wenn ‚Oben‘, auf Bundes- und EU-Ebene beispielsweise über ein Glyphosatverbot diskutiert wird, berichten wir, wie die Gärtnerei und der Gemeinderat der Stadt Lienz mit diesem Pflanzengift umgehen. Das Große wird so also klein gemacht.“
Naheverhältnisse: Segen und Fluch
Beim Umlegen der großen Geschichten auf lokale Vorkommnisse und auch bei ihrem generellen Handeln und Tun sind Lokaljournalist*innen Naheverhältnissen ausgesetzt. „Man begegnet hier den Personen, über die man – auch kritisch – berichtet doch öfter, als ein/e Innenpolitikredakteur*in dem Bundeskanzler begegnet“, so Florian Eder, Osttiroler Lokaljournalist bei der „Kleinen Zeitung“. „Bei den Naheverhältnissen darf man aber auch nicht auf die Personen vergessen, die man kennt, die auf eine/n zukommen und Themen vorschlagen. Frei nach: ‚Ja, da könntest du etwas darüber schreiben‘. Denn in solchen Situationen verwechseln Personen oft redaktionelle Berichterstattung mit klassischen Werbeeinschaltungen.“
Der Tatsache, dass Lokaljournalist*innen besonders mit dem Geschehen, über das sie berichten, verbunden sind, stimmt auch der Sozialwissenschaftler, Professor und Publizist Horst Pöttker zu. Der Lokaljournalismus sei nach seiner Auffassung „ein Teil des Geschehens, über das berichtet wird.“ Und genau deshalb ortet Pöttker die Unabdingbarkeit der „professionellen Unabhängigkeit“ auch hier. „Die Redakteur*innen dürfen sich nicht für Partikularinteressen instrumentalisieren lassen, sondern müssen immer an die Wichtigkeit für das Publikum und an die Richtigkeit denken.“ Dass man einander kennt, wird sich in der lokalen Berichterstattung nie vermeiden lassen, und es muss auch nicht unbedingt vermieden werden. So fassen etwa die – selten in der heimischen Medienbranche – auf der Website offengelegten Redaktionsrichtlinien des Online- und Print-Magazins „DOSSIER“ diese Problematik treffend zusammen: „Dennoch ist nicht jedes Naheverhältnis eine Gefahr für die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit. (…) Vertrauen zu Ansprechpersonen aufzubauen, steht nicht im Gegensatz dazu.“
Der digitale Wandel
Ein weiteres Problem, mit dem der Lokaljournalismus ebenfalls zu kämpfen hat, ist der digitale Wandel und die damit einhergehende Erwartung der Rezipient*innen, dass lokale Publikationen online mit einer Geschwindigkeit und einem Volumen publizieren, wie es die großen Medienhäuser tun. Das Ziel, dieser Erwartungshaltung gerecht zu werden, bringe es laut Pöttker mit sich, dass Redakteur*innen weniger hinausgehen und sich mehr auf extern zugelieferte Inhalte verlassen. Diese Entwicklung bezeichnet er als „die Gefahr, dass die Schuhsohle immer weniger zur journalistischen Recherche verwendet wird.“ Dem zu Grunde liege die Tatsache, dass Anzeigeneinnahmen dem Journalismus als Einnahmequelle zunehmend wegbrechen. „Durch die moderne Kommunikationstechnologie müssen Werbende den Journalismus nicht mehr mitfinanzieren, denn die Streuverluste bei der Zielgruppenansprache sind in den digitalen Netzwerken deutlich geringer“, konstatiert Pöttker.
Komplett auf digitale Inhalte umzustellen kann hier aber auch nicht als Musterlösung verstanden werden. So ist Gerhard Pirkner davon überzeugt, „dass die großen Medien ihr Geld immer noch primär mit der gedruckten Zeitung verdienen.“ „dolomitenstadt.at“ als reines Online-Magazin kann sich so nicht finanzieren. Deshalb sah man dort die Digitalmedien-Förderung des Bundes, welche sich laut Rechtsvorhaben der derzeitigen Regierung „die Absicherung einer eigenständigen österreichischen Medienlandschaft im digitalen Zeitalter und Gewährleistung für Konsumentinnen/ Konsumenten, dass österreichische Medieninhalte, insbesondere auch regionale Inhalte, auch weiterhin verfügbar bleiben“ zum Ziel setzt, als willkommene finanzielle Unterstützung. Allerdings wurde „dolomitenstadt.at“ von dieser Förderung kategorisch ausgeschlossen. Grund: „dolomitenstadt.at“ sei ja schon vollkommen digital. Hier liege laut Pirkner der Denkfehler vor, dass Medien, die ohnehin nur online publizieren sich nicht trotzdem weiterentwickeln müssen. „Mit dieser Förderung will man Printmedien das Umsatteln auf digitale Plattformen erleichtern. Was dabei vergessen wird, ist, dass es beispielsweise 2010, als wir mit ‚dolomitenstadt‘ online gingen, ‚WhatsApp‘, ‚Instagram‘ und Co. noch gar nicht gab. Ich glaube, fast niemand kann sich vorstellen, was sich hinter dem Backend eines digitalen Mediums tut. Wir mussten 2015 das gesamte Layout neugestalten, um eine ansprechende Darstellung auf mobilen Endgeräten zu gewährleisten. Das unterstreicht, dass sich jede Publikation im digitalen Mediensegment ununterbrochen weiterentwickeln muss.“
Die mächtigen Bezahlschranken und die Welt dahinter
Eine Form dieser Weiterentwicklung sind Paywalls. Also Bezahlschranken für alle, oder bei manchen Publikationen lediglich ausgewählte Inhalte. Das Prinzip ist eigentlich simpel, es ist dasselbe wie beim Erwerb einer gedruckten Tageszeitung. Der/Die Rezipient*in entrichtet ein Entgelt und erhält im Gegenzug eine Publikation unabhängiger, aktueller und faktenbasierter Berichterstattung. Und doch bezahlen User*innen für viele digitale Inhalte jener Publikationen, für die sie am Kiosk ein Entgelt entrichten würden, im Internet gar nicht und wenn „lediglich“ mit ihren Daten. Auch die „Kleine Zeitung“, die schon seit längerer Zeit mit Paywalls arbeitet, erntete laut Florian Eder nach der Implementierung einiges an Unmut der Leser*innen. „Mittlerweile wurde daraus eine Art Resignation. Die Rezipient*innen haben sich entweder damit abgefunden, oder sich abgewandt.“ Jene, die übrig geblieben sind oder in der Zwischenzeit erst zu Leser*innen der „Kleinen Zeitung“ wurden, seien aber laut Eder dankbar für den schnellen, gut recherchierten, unabhängigen Journalismus, der sie hinter der Bezahlschranke erwartet. Laut Hannah Suppas „7 Thesen für einen Lokaljournalismus, der Zukunft hat“, die 2019 auf „journalist.de“ veröffentlicht wurden, entscheide es sich jetzt, ob Menschen auch in Zukunft für Lokaljournalismus Geld bezahlen werden. Einzige Möglichkeit, um den Trend noch hin zur Akzeptanz für Paywalls zu drehen sind laut ihr „Texte über das Wohnen, die Stadtentwicklung, das Familienleben, den Verkehr und die Kinderbetreuung, für die Menschen bereit wären, Geld auszugeben. (…) Es sind Analysen, Hintergründe, Meinungsstücke, Service und auch immer wieder ein überraschend neuer Blick auf die eigene Nachbarschaft.“ Leider stand Hannah Suppa für ein Interview nicht zur Verfügung, doch auch Horst Pöttker sieht die Sache mit den Bezahlschranken ähnlich wie Suppa. Er sieht ihre Potenziale weniger im täglichen News Business, sondern beim „erklärenden Journalismus“. Genau dieses Modell der Paywalls für ausgewählte, investigativ recherchierte, erklärende und in der Produktion aufwändigere Beiträge wird bei „dolomitenstadt.at“ bald Realität werden. Denn dort werden solche Beiträge ab dem Frühjahr 2022 hinter der Paywall verschwinden, während tagaktuelle News-Meldungen weiterhin kostenfrei zugänglich bleiben.
Überlebensfähigkeit vs. Langeweile
Doch ist lokale Berichterstattung durch unabhängige Lokalmedien langfristig gesehen überlebensfähig? „Jein“, meint Florian Eder. Er glaubt, dass dieses Modell in der Zukunft von überdurchschnittlich treuen Leser*innen und langfristigen Anzeigenpartnern abhängig sei. „Ohne diese wird es nicht möglich sein, auf dem gewünschten Niveau zu berichten.“ Er hofft aber, dass diese ausschließlich lokal agierenden Medienplattformen überleben. Denn „Konkurrenz belebt das Geschäft. Es wäre schrecklich, wenn es irgendwann nur mehr die großen Medienhäuser geben würde. Denn gerade diese Fülle an verschiedenen Blickwinkeln und Meinungen im lokalen Tagesgeschäft regen einen selbst dazu an, reflektierter zu arbeiten. Genau diesen Pluralismus schätze ich sehr an der Osttiroler Medienlandschaft und ich wünsche mir, dass der noch lange Zeit erhalten bleibt.“ Darüber, dass die Vielfalt an Medien in Osttirol – so beherbergt der Bezirk neben Redaktionen der „Tiroler Tageszeitung“, der „Kleinen Zeitung“, des „OsttirolJournal“, des „Osttiroler Boten“ und „Radio Osttirol“ auch ein Büro des ORF Tirol und die Redaktion von „dolomitenstadt.at“ – einzigartig sei und unbedingt erhalten werden müsse, sind sich Eder und Pirkner einig.
Es ist den verschiedenen Lokalmedien zu wünschen, dass sie noch Jahrzehnte lang bestehen können. Eines sei laut Horst Pöttker aber sicher: „Die Zukunft der Lokalmedien ist anspruchsvoller als ihre Vergangenheit.“
von Valeria Brunner
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