Die Zukunft des Onlinejournalismus anhand der „Sozialen Währung“ Reichweite

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Das Erlösmodell des Journalismus steckt in der Krise. Um dem entgegenzuwirken gibt es bereits zahlreiche Konzepte. Nun könnte ein Startup aus Großbritannien mit seiner Idee den Entwicklungen im Onlinejournalismus neuen Schwung geben. Digitale Reichweiten als Währung ersetzten das Bezahlen mit realem Geld.

Seit Jahren steckt das Erlösmodell des Journalismus in der Krise, die Print-Auflagen gehen zurück und es wurde noch immer nicht das optimale Konzept zur Finanzierung von journalistischen Angeboten im Internet gefunden. Im Raum steht sogar die Möglichkeit einer „Apokalypse der Medienwirtschaft“ durch die weitere Fokussierung auf die Werbefinanzierung. Das Überangebot an Werbeflächen im Internet sorgt für niedrige Preise für Onlinewerbung, die nur durch hohe Reichweiten und eine große Anzahl an Anzeigen kompensiert werden kann. Zu dem fehlt eine einheitliche Währung zum Vergleich intermedialer Werbeflächen. Das alles verursacht Schwierigkeiten Journalismus rentabel zu betreiben.

Selbst etablierte Zeitungen werden irrelevant beziehungsweise müssen sogar den Betrieb einstellen. Unter diesem finanziellen Druck leiden die Redaktionen. Kürzungen schaden oft der Qualität des Journalismus. Um diesem Missstand entgegenwirken zu können werden Lösungen gesucht. Diese beschränken sich beim Großteil der traditionellen Medien auf Modelle, die dem Printerlösmodell, umgelegt auf die Optionen die sich Online bieten, ähneln.

In den letzten Monaten und Jahren haben einige Medienhäuser verschiedene Erlössysteme etabliert. Ein Versuch sind Anti-Adblocker-Einrichtungen a‘ la Bild.de, andere Modelle sind zum Beispiel Closed Shop Angebote (NZZ.at) und Freemium, z.B. Süddeutsche.de, so gibt es also zahlreiche Beispiele der aktuellen Versuche dem Zeitalter der Kostenloskultur ein Ende zu bereiten. Nicht nur die Nutzer, sondern auch Experten stehen diesem Vorhaben jedoch skeptisch gegenüber, wie man am fehlenden betriebswirtschaftlichen Erfolg einiger Bezahlmodellangebote erahnen kann.

Es lässt sich also erahnen: Paywalls und die Abstufung derselben sind auch nicht die Lösung des Problems für die Zukunft, da sie nicht dem Nutzerverhalten der Gegenwart entsprechen. Die Aversion gegen Bezahlschranken kann von beiden Seiten, von Nutzern und von Journalisten, teilweise wahrgenommen werden.
Die schon angesprochene Kostenloskultur führt dazu, dass Kritiker der Paywall sich vor den Bezahlschranken fürchten da diese die Leserschaft vergraulen könnte. Auf der anderen Seite sind vor allem junge Leser, die sich eine Zeit in der Informationen im Internet nicht frei zugänglich sind nicht vorstellen können, skeptisch gegenüber Paywalls. Des Weiteren sind die Nutzer in der Lage, die benötigten Informationen ohne viel Aufwand an anderer Stelle innerhalb des Webs aufstöbern. Man ist nicht auf eine bestimmte Informationsquelle angewiesen. Die Anzahl der offenen Angebote ist nach wie vor, trotz zunehmender Versuche (journalistische-) Inhalte im Internet kostenpflichtig zu gestalten, beträchtlich, dies wird sich auch nicht verändern wenn sich einige Medienhäuser für das Einrichten von Bezahlschranken entscheiden. Ihre Aufrufzahlen würden vermutlich nur geringer werden.

Wichtig ist es, bei der Zahlungsbereitschaft zu unterscheiden zwischen Informationen die für den Suchenden essentiell sind und solche die zwar interessant wären aber nicht für wichtig genug gehalten werden, um dafür zu bezahlen. Nischenangebote, zum Beispiel Wirtschaftsinformationen für Brancheninsider, können dieser Theorie nach leichter anhand von Bezahlschranken online vertrieben werden als allgemeine Nachrichten oder gar triviale Informationen.
Vor allem die Tatsache, dass es sich im Internetzeitalter etabliert hat Informationen über Social Media zu beziehen steht dem Erfolg von Paywalls entgegen. Von sozialen Kontakten geteilte Artikel wecken das Interesse der Nutzer. Kann der Artikel dann nicht gelesen werden steigt die Frustration. Folglich bleiben die spontanen Aufrufe, die durch eine Geschichte via Sozialen Netzwerken „durch die Decke gehen“ generiert werden, aus. Es kann gegebenenfalls nicht mehr mit jene Nutzer die durch Social Media oder sonstige Empfehlungen auf einen Artikel aufmerksam werden gerechnet werden, da sie ohnehin ohne Abonnement des betroffenen Medienangebots nicht zugreifen können und deshalb dem Link gar nicht folgen. Prinzipiell kann es für journalistische Angebote, die eine Paywall installiert haben also schwieriger sein Kunden anzulocken und im Anschluss an sein Angebot zu binden sowie die Nutzer davon zu überzeugen ein bindendes Abo für längere Zeit abzuschließen. Deshalb werden zahlreiche Alternativen zu Formen der Bezahlschranken für die Finanzierung von Onlinejournalismus zu finden. Von Crowdfunding bis zu „Longplay-Journalismus“ gibt es Ideen, die aus verschiedenen Ansätzen versuchen einen neuen Weg für den Journalismus und dessen Finanzierung zu finden.

Ein relativ neues Konzept zur besseren Rentabilität des Onlinejournalismus nennt sich „Sharewall“ und kommt aus Großbritannien.
Diese Variante Sharewall bedeutet, dass der Nutzer, um Zugang zu Inhalten zu bekommen, nicht mit einer realen Währung bezahlt, sondern den Artikel mit einer bestimmten Anzahl von „Freunden“ teilen muss.
Diese Idee stammt vom gleichnamigen britischen Startup. Das Unternehmen geht von einem Freundschaftskonzept aus, bei dem Menschen sich gegenseitig Gefälligkeiten leisten und journalistische Beiträge miteinander teilen wollen. Darauf basiert das Geschäftsmodell von Sharewall: man „hilft“ seinen Freunden anregende Informationen und interessante Geschichten zu entdecken und zieht gleichzeitig einen eigenen Vorteil daraus – Inhalte gratis zu rezipieren.
Und so funktioniert es: Es ist notwendig sich als Sharewall-Nutzer zu registrieren um das Service nutzen zu können, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten zum Teilen; über Soziale Netzwerke und oder über einen emailbasierten Newsletter. Die Häufigkeit der Aufforderung einen Inhalt zu Teilen hängt vom Umfang des „Freundeskreises“ ab. Je mehr Kontakte mit einem Share erreicht werden können, desto mehr Artikel können ohne weiteres Teilen genutzt werden. Sharewall hat durch Autorisierung von Seiten des Nutzers, die am Beginn erteilt werden muss, die Berechtigung auf die Social Media Accounts der Anwender zuzugreifen um die Reichweite festzustellen und auch um die Entsprechenden Inhalte dort zu teilen. Dadurch bezahlt der Sharewallnutzer mit seiner Reichweite im sozialen Umfeld anstatt mit monetären Werten. Es so kann künstlich eine Viralität erzeugt werden, die Umsätze durch Onlinewerbung steigern sollte.

Naturgemäß kann diese Variante aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Je nachdem wird das Konzept von Sharewall als erfolgversprechend oder als Sackgasse auf dem Weg zum Geschäftsmodell der Zukunft im Onlinejournalismus gesehen.
Positiv beachtet werden kann bei diesem Geschäftsmodell sicherlich die potenzierte Nutzungszeit, die pro Nutzer durch die zahlreichen Weiterleitungen erzeugt wird. Durch einen einzelnen Nutzer werden weitere Visitors zum Artikel gelockt, die dann idealerweise mehrere Beiträge des Medienangebots aufrufen und diese auch wiederum weiterverbreiten. Zusätzlich bringt das Weiterleiten durch die Nutzer einen weiteren Vorteil: Die Empfehlung durch Freunde und soziale Kontakte schafft ein höheres Vertrauen als eine gezielte Werbeaktion durch das Medium selbst. Zwar genießen auch andere Werbeformen ein gewisses Vertrauen, doch laut einer Studie des deutschen Marktforschungsinstituts Nielsen wird der Fürsprache von Freunden und Bekannten sowie Verbrauchermeinungen am meisten Vertrauen entgegengebracht. Das kann dem Konzept von Sharewall entgegenkommen.
Die Nutzer betreiben also einerseits Werbung für die Medienmarke und im andererseits Reichweite für einen Artikel. Dies könnte so verdeckt geschehen, dass mögliche Glaubwürdigkeitsnachteilen anderer Werbeformen umgangen werden können.
Der Nachteil dieser Startup-Idee liegt auf der Hand: das Erlösmodell von Medienangeboten, das Sharewall nutzen basiert weiterhin auf Werbung, wodurch die Schwierigkeiten des ausschließlich auf Werbung basierenden Geschäftsmodells das die meisten journalistischen Angebote im Internet verfolgen prolongiert werden. Durch Sharewall werden zwar neue Visitors auf die Seite geleitet und gegebenenfalls die Werbeeinnahmen gesteigert. Trotzdem löst es, durch die niedrigen Preise bei Onlinewerbung, nicht das Finanzierungsproblem des Onlinejournalismus. Zusätzlich bleibt die die Problematik der Adblocker natürlich weiterhin präsent). Eine Studie der „defacto digital research GmbH“ zeigt, dass Internetnutzer sichtlich genervt von onlineplatzierter Werbung ist. Werbebanner werden, sofern sie nicht von vornhinein ausgeblendet werden, so gut wie nie angeklickt und wollen möglichst ignoriert werden.
Außerdem könnte durch die Durchdringung des Marktes mit dem Sharewallkonzept das Prinzip des Teilens von (Journalistischen-) Inhalten auf Social Mediaplattformen untergraben werden. Aus heutiger Sicht werden Artikel von Privatpersonen über diese Kanäle verbreitet um die Community über eine bestimmte Thematik zu informieren oder auf einen Fakt aufmerksam zu machen, die „Freunde“ interessieren könnte. Aus diesem Vertrauen, dass die betreffende Person das bewusst geteilt hat und es für wichtig hält, wird den Links gefolgt. Steigt das Bewusst sein, dass der Onlinekontakt Inhalte nur über Soziale Netzwerke verbreitet, weil es das Sharewallkonzept so verlangt, könnte dieses Vertrauen auf dem das Modell aufbaut, abgenützt werden und ggf. zu Reaktanzen führen.
Ein zusätzliches Problem des Konzepts besteht darin, dass, wie oben erläutert, Sharewall Zugang zum eigenen Profil gewährt werden muss. Hier stellt sich die Frage inwiefern Nutzer dazu bereit sind dem Unternehmen dieses Recht einzuräumen, Sicherheitsbedenken der Nutzer können an dieser Stelle nicht außer Acht gelassen werden.

Des Weiteren fällt bei genauere Betrachtung des Konzepts Sharewall gewisse Ähnlichkeiten zum Ablauf eines Schneeballsystems (https://de.wikipedia.org/wiki/Schneeballsystem), auch Pyramidensystem genannt, auf. Dabei es auch gilt eine gewisse Anzahl von Personen ebenfalls für das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung zu gewinnen. Beim, in Österreich verbotenen, Schneeballsystem gibt es jedoch oft kein Produkt oder dieses wird nur als Deckmantel benützt. Da es bei Sharewall um ein tatsächliches Produkt geht und das Konzept nur zur Absatzsteigerung dient ähnelt es eher dem Netzwerk-Marketing.

Diese Überlegungen müssen einbezogen werden, wenn über die Funktionalität des Konzepts von Sharewall diskutiert wird. Es muss abgewogen werden, ob die Mehreinnahmen durch Onlinewerbung den Verzicht auf Paywalls finanziell aufwiegen können. Auch die Möglichkeit, dass das Konzept die Nutzer potenziell abschrecken könnte als die verschiedenen anderen Geschäftsmodelle, muss erwogen werden.

Können Shares zukünftig wirklich eine solche Bedeutung erlangen, dass sie tatsächlich die reale monetäre Aufwendungen als Gegenleistung in der Breite des Onlinejournalismus anerkannt werden? Diese Frage lässt sich so noch nicht beantworten, die aktuelle Situation gibt allerdings schon einen Ausblick. „Likes“ und Klick gelten schon seit einiger als Währung des Social Webs. Bei diesem „Währungen“ wird bekanntermaßen mit allen Mitteln getrickst und geschoben um sich besser zu platzieren als man wirklich ist.

Zusammenfassend lässt sich der Erfolg von Sharewall noch nicht voraussagen. Zwar kann die Startup-Idee als weitere Möglichkeit festgehalten werden, den Onlinejournalismus in Zukunft rentabel zu machen. Trotzdem ist das Sharewall Konzept nicht als Weg aus der Erlösmodellkrise des Onlinejournalismus zu sehen, da das bisherige Erlösmodell nur erweitert nicht aber abgelöst wird. Nach wie vor gilt: Eine Kombination aus vielen Erlösmodellen ist das Mittel der Stunde. Fatal nur, wenn der Verwaltungsaufwand zur Organisation vieler Modelle unter dem Strich weniger Umsatz generieren als die Konzentration auf wenige Modelle. Auch, wenn diese operativ weniger Umsatz generieren als eine Summe an eingesetzten Maßnahmen.

Über die Autorin
Lena Grießer studiert im 4. Semester im Bachelor-Studiengang Medienmanagement an der FH St. Pölten. Als Ausbildungsschwerpunkt hat sie Strategisches Management und Content Management gewählt, außerdem belegte sie die Praxislabore Bewegtbild im 3. Semester sowie Online im 4. und 5. Semester.

Artikel verfasst im Sommersemester 2016.