Von Genia Mayerböck
„Stillstand ist der Tod, geh‘ voran“ – 1998 hat Sänger Herbert Grönemeyer angestimmt, was heute in puncto Künstliche Intelligenz im Journalismus Realität ist: Sie wird sukzessive auf die eine oder andere Art in den Newsrooms implementiert. Doch wie gelingt der Sprung vom Versuchslabor in den Redaktionsalltag? Eine Spurensuche.
„Die APA setzte zur EU-Wahl auf automatisierte Wahlberichterstattung“, hieß es im Horizont, einer Fachzeitschrift für Marketing, Werbung und Medien, am 27. Mai 2019. Bevor diese Schlagzeile veröffentlicht werden konnte, bedeutete dies für den Newsroom der Austria Presse Agentur jedoch, sich neuen Herausforderungen anzunehmen.
„Also im Prinzip unterliegt alles der Adoptiontheorie, davon bin ich der festen Überzeugung“, sagt Rüdiger Landgraf, zuständig für Strategie und Digital bei Kronehit. Er meint damit die Theorie von Everett M. Rogers. Diesem Ansatz zufolge kann unter anderem der Entscheidungsprozess, ob Menschen – im konkreten Fall Journalist*innen – eine Künstliche Intelligenz (KI) im Newsroom annehmen oder nicht, nachvollzogen werden. Dieser Prozess sei als Adoptionsprozess zu bezeichnen, welcher in fünf Phasen unterteilt werden könne:
In der ersten Phase, „Knowledge“ genannt, wird nach Rogers der*die Journalist*in darüber informiert, dass es beispielsweise ein neues Textautomatisierungsprogramm für die Medienbranche gibt. In der zweiten Phase, der „Persuasion“, beginnt der*die Journalist*in, sich eine Meinung zu bilden und eine Einstellung dem Programm gegenüber zu entwickeln. Diese Meinungsbildung wird durch Schlüsselpersonen, wie Mitarbeiter*innen aus der Chefredaktion, dem Innovationsmanagement oder auch durch andere Journalist*innen beeinflusst. „Decision“ bildet dann die Phase, in welcher die Einstellung sozusagen manifestiert wird, beziehungsweise der*die Journalist*in das Textautomatisierungsprogramm für gut oder schlecht befindet. Das Programm wird dann in der Phase der „Implementation“ in den Redaktionsalltag integriert, bevor der*die Journalist*in in der „Confirmation“-Phase versucht, Bestätigung für die Entscheidung zu suchen. Aus diesem Grund wird in dieser Phase oftmals auch widersprüchlichen Informationen aus dem Weg gegangen, da diese Informationen die Entscheidung des*der Journalist*in nicht bestätigten könnten. In der APA zum Beispiel gibt es dafür eine eigens eingerichtete Task Force, wie Katharina Schell, stellvertretende Chefredakteurin bei der APA, SUMO berichtet: „Wir haben eine APA-übergreifende „Task Force AI“ (Anm.: AI steht für Artificial Intelligence), da sind Personen aus allen Bereichen vertreten. Zum Beispiel sind unsere Hauptinnovationsmanagerin, ich, als Vertretung der Redaktion, jemand aus unserer IT-Abteilung und jemand von unserer Komm-Tochter involviert.“ Neben dem Schwerpunkt, Maßnahmen und eine Art Programm für die Hebung der generellen AI-Literacy in der APA zu setzen, sei dieses Sammelsurium an unterschiedlichen Bereichen, eben auch für die Entwicklung und Weiterentwicklung von KI-Produktionswerkzeugen zuständig.
Fundament Unternehmenskultur
Der Adoptionsprozess wird durch die äußere Umwelt beeinflusst. Dabei sind in einem Unternehmen vor allem die Unternehmenskultur und das Mindset entscheidend: „Kommunikation und wie sie erfolgt hängt natürlich ursächlich damit zusammen, wie die Innovation selbst erfolgt ist und kommt auf die ganz individuelle Unternehmenskultur an“, sagt Schell. Unter Unternehmenskultur sind gemeinsame Werte, Normen und Einstellungen innerhalb eines Unternehmens zu verstehen. Dabei würde beispielsweise eine gewisse Innovationsaffinität bei den „Product Ownern“, wie Landgraf die Rolle der Person oder der Personen beschreibt, welche eine Innovation ins Leben rufen, eine Voraussetzung darstellen. Aber auch die Redakteur*innen, welche mit den verschiedenen KI-Produktionswerkzeugen arbeiten sollen, würden ein Faible für Innovationen benötigen.
Einen Einfluss durch die äußere Umwelt würde auch die Organisationsstruktur darstellen, welche Teil der Unternehmenskultur ist, zeigt die Studie AI.AT. Media – AI and the Austrian Media Sector: Mapping the Landscape, Setting a Course, vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, aus dem Jahr 2021. Durch welche Motivation und von welchen wesentlichen Impulsgeber*innen eine Idee entstehen würde, seien in diesem Zusammenhang die leitenden Fragen. Für die Kommunikation ist es aber genauso wichtig, wer diese schlussendlich in den Newsroom vermittelt, also ob dies der Studie nach Top-Down oder Bottom-Up geschehe. Welche Organisationsstruktur dann gewählt werden würde, sei am Ende des Tages wieder von der Unternehmenskultur abhängig.
Entscheidend ist laut Schell auch die Zusammenarbeit im Unternehmen: „Medienhäuser, in welchen die IT und die Redaktion sehr stark getrennt sind und in denen es eventuell nur ein Auftraggeber*innen- Auftragnehmer*innen-Verhältnis gibt und nicht mehr, werden sich [Anm.: in der Zusammenarbeit] schwerer tun, als jene Medienhäuser, die in ihren redaktionellen Teams Menschen haben, die digital- und technologieaffin sind, aber auch in ihren IT-Teams Menschen haben, die ein Grundverständnis für Journalismus und für die Arbeitsweise der Journalist*innen im Haus mitbringen.“
Ziel der Nicht-Ziele
Nachdem klar ist, dass Kommunikation mitunter auch von der Unternehmenskultur und dem vorherrschenden Mindset in einem Unternehmen abhängt, stellt sich die Frage, wie neue KI-Produktionswerkzeuge, wie beispielsweise Textautomatisierungsprogramme, kommuniziert werden müssen. Schell betont, dass es nicht nur essenziell sei, zu kommunizieren, was getan wird, sondern auch zu kommunizieren, warum etwas getan wird, was die Ziele und Überlegungen dahinter sind und somit für Transparenz zu sorgen. Als Beispiel nennt sie ein Pilotprojekt für eine automatisierte Wahlberichterstattung: „Beim allerersten Pilotprojekt beziehungsweise Prototypen für automatisierte Wahlberichterstattung, wurde ganz klar von Anfang an gesagt, welche Ziele wir damit verfolgen und welche nicht.“
Beispielweise sei ein Ziel gewesen, herauszufinden, ob die Kund*innen diese Implementation überhaupt brauchen und ob diese auch mit den Texten was anfangen können. Herauszufinden, was die Software überhaupt kann, sei ein weiteres Anliegen gewesen. „Ein Nicht-Ziel war, Berichterstattung, die bisher am Wahltag von der Innenpolitik-Redaktion gemacht wurde, durch die Maschine zu ersetzen. Das war von Anfang an ein dezidiertes Nicht-Ziel, das man genauso deutlich sagen muss“, betont sie. Maximale Transparenz und ein Spiel mit offenen Karten seien dabei Schlüsselfaktoren. Landgraf verweist in der Kommunikation vor allem auf den „relativen Vorteil“, welchen Everett M. Rogers geprägt hat. Diesen gilt es in der Kommunikation herauszuarbeiten, um die Adoptionsentscheidung der Redakteur*innen positiv zu fördern. In der Praxis bedeute das, dem*der Journalist*in aufzuzeigen, welchen Vorteil und welche Verbesserung diese*r hätte, wenn er*sie KI-Produktionswerkzeuge in seinem*ihrem individuellen Redaktionsalltag in Verwendung hätte. Auch das wirkungsbezogene Denken sei laut Landgraf ein wesentlicher Faktor, um den relativen Vorteil zu erkennen: „Ich glaube, das Entscheidende ist das wirkungsbezogene Denken. Und dann kommt man relativ schnell drauf, dass man primär nicht in einer Struktur oder einem fixen Arbeitsplatz arbeitet, sondern prinzipiell eine Funktion hat. Und in dieser Funktion kann dir die Technologie helfen, besser zu werden und deine Funktion besser zu erfüllen.“ Wichtig in der Kommunikation ist auch die Vermittlung von KI-Skills in den Newsroom. Dafür hält die APA beispielweise interne Vorträge und Workshops und befragt ihre Mitarbeiter*innen: „Ich habe gerade heute einen Fragebogen an unsere gesamte Redaktion verschickt, wo ich sehr niederschwellig nachfrage: ‚Habt ihr ChatGPT schon verwendet, beruflich oder privat? Was für Sachen habt ihr ausprobiert, wie ist es euch damit gegangen? Und wir machen demnächst einen kleinen Hack-Shop, wollt ihr da mitmachen?‘“, erzählte Schell.
Wohin müssen die Schienen gelegt werden?
Gute Kommunikation gilt folglich als fundamentaler Faktor, um KI-Produktionswerkzeuge erfolgreich in einen Newsroom zu implementieren. Damit aber nicht genug: eine für Innovationen ausgelegte Unternehmenskultur und auch ein dementsprechendes Mindset sind ebenfalls erforderlich, wie sich aus dem Interview mit Schell, aber auch aus der Studie AI.AT.Media herauskristallisiert. Abzuwarten bleibt, ob der Durchbruch von KI im Journalismus weiter voranschreitet und wie dieser dann vor allem den Journalist*innen österreichischer Medienhäuser „verkauft“ und nähergebracht wird. Denn ja, Stillstand ist der Tod, wie Grönemeyer singt, aber auch ja, KI wird laut Schells Prognose noch eine lange Zeit den Platz der Assistenz einnehmen. Statt der Schlagzeile „Die APA setzte zur EU-Wahl auf automatisierte Wahlberichterstattung“ ist im Horizont in entfernter Zukunft vielleicht aber doch der Titel „KI revolutioniert Journalismus und erstellt Online-Magazin vollständig autonom“ zu lesen. ChatGPT ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt schon in der Lage, diese zweite genannte Schlagzeile autonom zu generieren.