Wer füttert wen: Künstliche Intelligenz als Zukunft des Lokaljournalismus?

Von Tobias Krammer

Texte kürzen, einfache Fragen stellen: Viele Jugendliche informieren sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) über das tägliche Leben. Wie sieht’s gerade in der Champions League aus? Was hat es mit der Chat-Affäre auf sich? Add-Ons oder die neuesten Versionen von KI-Bots geben Antworten. Machen sie Zeitung, Radio und TV damit obsolet oder befördern sie die Medienwelt auf eine neue Ebene?

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„Ich liebe übrigens die KI. Sie wird uns nicht ersetzen, wir werden ihre Kontrolle“, twittert Anna Thalhammer, Chefredakteurin des Nachrichtenmagazins profil am 15. Mai 2023. Doch, stimmt das? Bereits jetzt nutzen viele Medienhäuser KI für den digitalen Vertriebsweg oder in der Produktion. Die Abozahlen von ChatGPT sind nicht öffentlich einsehbar – aber haben sie die von österreichischen Tageszeitungen bereits überholt? „Bei uns wird Journalismus noch ohne KI geschrieben. Für uns ist die Nähe zur Nachricht ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit – und den kann die KI nicht liefern“, sagt Barbara Eidenberger, Leiterin der Online-Redaktion der Oberösterreichischen Nachrichten. Mit knapp 1,8 Millionen Besucher*innen alleine im März 2023 zählt nachrichten.at zu den Top-Ten der am meisten genutzten Nachrichtenportale in Österreich. Gerade für lokalen Journalismus sei die KI noch weit weg von einem sinnvollen Nutzen, da noch nicht ausreichend Informationen eingespeist seien. Die Folge: Stellt man der KI eine Frage, erhält man eine nicht korrekte Antwort. „ChatGPT ortet den oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer zum Beispiel als Linzer Bürgermeister“, sagt Eidenberger.

Klar sei daher, dass eine neue Geschichte mit Artificial Intelligence nicht geschrieben würde, denn: „Eine KI fällt mit ihrer Datenbasis, die sie hat. Solange ich als Medium diese Basis erst herstellen muss, ist sie für mich unattraktiv“, so die Journalistin. Konkurrenz fürchtet sie daher vorerst nicht: „Gerade im Lokaljournalismus wird es noch lange dauern, bis diese Datenbasis vorhanden ist“, lautet ihre Prognose. Allerdings hätte KI in anderen Bereichen durchaus schon jetzt Potenzial: „Gerade zum Kürzen von großen Textmengen wie Rechnungshofberichten oder den vielen Chat-Protokollen [Anm.: In Österreich kam es in den letzten Jahren vermehrt zur Veröffentlichung von strafrechtlich relevanten Chat-Protokollen zwischen hohen Politiker*innen] wird die KI sehr gut hergenommen. Auch Bild-Tools wie Midjourney sind im Einsatz.“ Midjourney ist eine künstliche Intelligenz, mit der jede*r zur oder zum Künstler*in wird: Einfach ein gewünschtes Bild in einem Chatbot beschreiben und schon generiert die Künstliche Intelligenz mehrere Versionen dieses Bildes. Dabei bleiben dürfte es jedoch nicht: „Unser Weg muss sein, dass wir ganz klar den Unterschied zwischen KI-generierten-Texten und Journalismus ausarbeiten“, sagt Eidenberger. Diese Ausarbeitung wiederum müsse den Leser*innen bewusst gemacht werden: „Im Gegensatz zu KI-generierten-Texten handelt es sich bei journalistischen Texten um von Menschen bearbeiteten und bewerteten Inhalte – und das verleiht unseren Endprodukten Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Ein KI-Text hingegen hat nur die Qualität, welche der Server liefern kann“, sagt Leiterin von nachrichten.at. Gerade durch Newsbots können immer öfter KI-generierte Fake News in den Umlauf kommen, da die KI oft die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Stories nicht erkennen kann.

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Ins Auto steigen und das Radio anmachen

Am Frühstückstisch die KI-generierte Zeitung aufschlagen – im Auto dann das KI-generierte Radio hören? Was noch sehr futuristisch klingt, ist in den USA dank dem Radiosender RadioGPT schon Realität. Dieser Radiosender mixt automa­tisiert Musik und die KI umrandet das Ganze mit den passenden Informationen und Nachrichten. Als Pilotversuch gestartet ist RadioGPT mitt­lerweile rund um die Uhr live im Web verfügbar, eine weitere Ausrollung steht bevor. Laut den Betreiber*innen dieses Radiosenders bringe die­se neue Form des Radios einige Vorteile: Gerade in ruralen Gegenden oder in kleineren Zielgruppen sei das Betreiben eines Radiosenders meist wirt­schaftlich nicht begründbar. Dort leiste KI einen Beitrag zu mehr Mediendiversität: „Wo man früher Radiosender aufgrund der hohen Personalkosten einstellen musste, kann man jetzt zum Beispiel wieder Sender mit regionalem Bezug hochfahren“, sagt Rüdiger Landgraf, Head of Digital & Strategy bei dem österreichischen Radiosender Kronehit. Kronehit wolle sich dank KI künftig auf kleinere Nischen im Musikmarkt spezialisieren können. Mit über 921.000 Hörer*innen über die letzten zehn Jahren wurde das Unternehmen im Radiotest zum reichweitenstärksten Privatradio gekürt.

Wann kommt in Österreich das erste komplett KI-generierte Radio? „In Österreich haben wir auf jeden Fall die Eigenheit der Sprache. Es gibt sehr wohl bereits deutsche Sprachmodelle, aber ein österreichisches ist noch nicht auf dem Markt. Deshalb klingt KI-generierte englische Spra­che schon sehr flüssig und lässt sich kaum von „echter“ unterscheiden – deutsche bzw. öster­reichische Sprache klingt noch sehr roboterhaft. So lange dies noch nicht geschehen ist, wird es auch für einen KI-Radiosender in Österreich schwierig.“ Sobald dieses Modell am Markt ist, soll es Anwendung finden. KI unterstützt Radiosender bereits jetzt in technischen Bereichen.

Facebook, TikTok, ChatGPT?

KI eignet sich also noch nicht als Journalist*in, der oder die Artikel und Meldungen entwirft und an die Leser*innen und Hörer*innen bringt. Sehr wohl liegt in ihnen aber das Potenzial, als Vermittler und Aufbereiter von Nachrichten zu agieren: „Gerade um Jugendliche zu erreichen, liefern wir Großkon­zernen Inhalte und schauen bei Werbeeinnah­men bereits jetzt durch die Finger“, kommentiert Eidenberger die aktuelle Lage. Medien nutzen verschiedenste Social-Media-Plattformen, die Werbeeinnahmen stecken sich Plattformen zu großen Teilen oder gar ganz ein. Neben Meta und ByteDance, welche die Unternehmen hinter Face­book, Instagram sowie auch TikTok sind, könnte auch Microsoft als Eigentümer von OpenAI, wel­ches ChatGPT betreibt, künftig dazuverdienen.

Vereinfacht ausgedrückt: Sollten Nachrichten über KI-Bots rezipiert werden, geht das eigentliche Geschäftsmodell von klassischen Medien immer weiter zu Grunde. „Qualität muss auch Jugendlichen etwas wert sein. Und da ist die Politik gefragt!“, betont die Leiterin der Online-Redaktion. Medienbildung, Media Literacy oder auch die vielfach diskutierte Medienförderung sind nur drei Beispiele, wo die Politik ansetzen könne. „Wir für unseren Teil versuchen mit unseren Kindernachrichten, vertrauenswürdigen Inhalt an die jüngste Zielgruppe durchzubekommen – mit Erfolg“, sagt Eidenberger.

Wer hat wen unter Kontrolle?

Wird also Anna Thalhammer künftig zu einer Kontrolleur*in der Künstlichen Intelligenz? Wo derzeit noch Journalist*innen am Werk sind, könnten künftig viele Arbeitsschritte durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Ob Medien die KI wirklich unter Kontrolle haben – oder ob KI künftig vielen Medienhäusern zu schaffen macht, wird sich zeigen. Wie sich die Medien entwickeln sollen, entscheiden alleinig die Rezipient*innen dieser. Muss KI kontrolliert werden? In einem offenen Brief des Future of Life-Institutes, in dem über 1800 Personen, unter anderem auch Elon Musk, unterzeichnet haben, fordert das Institut eine sofortige Forschungspause. Diese Pause soll dazu genutzt werden, Sicherheit und Regulative für KI herzustellen. Auch Digitalisierungsminister Tursky forderte eine KI-Regulierungsbehörde in der Europäischen Union – und zwischenzeitlich auch für Österreich.

Die Kontrolle über tagesaktuelle Nachrichten hat jedoch nur der Journalismus. Die KI kann immer nur auf bereits bestehende Daten zugreifen, keine neuen erschaffen oder diese weiterentwickeln. Für Medienhäuser gilt es allerdings jetzt schon, sich mit KI zu befassen, denn: Ohne Fortschritt und ohne Entwicklung und mit denselben Einnahmequellen wie Jahrzehnte davor, wird es weiterhin zu Personalabbau kommen, wie Ende Februar zum Beispiel, bei der Kleinen Zeitung kommen. Um nicht unter Kontrolle der KI zu gelangen, soll es also künftig heißen: Mutig und offen in die Zukunft, statt Kulturpessimismus und Stagnation.

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