Von Emilija Ilić und Sophie Eder
Licht ins Dunkel ist eine der größten europaweiten Hilfskampagnen für Menschen mit Behinderungen. Seit über 50 Jahren ruft der ORF unter anderem mit einer Fernsehsendung zum Spenden auf. Betroffene sehen darin ein großes Problem und fordern die Abschaffung der Sendung.
Licht ins Dunkel
Vor 50 Jahren gründete der ehemalige niederösterreichische Landesintendant Kurt Bergmann die Hilfsaktion „Licht ins Dunkel“. Anlässlich einer geplanten Unterstützungsaktion für die „Lebenshilfe Sollenau“, lief am 24. Dezember 1973 eine einstündige Sendung im Radio Niederösterreich, mit der insgesamt 33.854,- Schilling (2400,- Euro) gesammelt werden konnten. Das Konzept ging auf und fünf Jahre später wurde die erste, siebenstündige Live-Fernsehsendung „Licht ins Dunkel – Feiern und Helfen“ ausgestrahlt wurde. Ein weiterer Meilenstein erfolgte rund zehn Jahre später, durch die Gründung des Vereins LICHT INS DUNKEL. Dieser gab der Aktion Struktur und eine rechtliche Grundlage.. Im Jahr 2000 kam ein Soforthilfefond dazu, der sich auf Einzel- und Kathastrophenfälle spezialisiert, um Gelder gezielt und schneller einsetzen zu können. Insgesamt 360 Milliionen Euro sammelte LICHT INS DUNKEL seit 1973.
Die Aktion Licht ins Dunkel erfreut sich großer Beliebtheit. Die jährliche LICHT INS DUNKEL-Live-Sendung am 24. Dezember, versammelt ein Aufgebot an namhaften Prominenten und Politiker:innen, die die Aktion öffentlich unterstützen. „Das 50. Jahr von LICHT INS DUNKEL ist ein Statement für eine inklusive Gesellschaft und für die volle Teilhabe sowie ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen. Das ist wichtig für jeden einzelnen, für den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die Stärkung der Demokratie in Österreich.“, so LICHT INS DUNKEL-Präsident, Kurt Nekula in der Show. Rund 19 Mio. Euro kamen im Jubiläumsjahr zusammen.
Politiker:innen profilieren sich mit einer solchen Summe. Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich dankbar gegenüber den vielen Spendern: „Gerade in herausfordernden Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, brauchen wir diesen Zusammenhalt besonders. Es macht Mut zu sehen, dass wir in einem Land leben, in dem es den Menschen nicht egal ist, wie es anderen geht.“
Das Spenden-Problem
Menschen mit Beeinträchtigungen kritisieren die Sendung „Licht ins Dunkel“ seit über 15 Jahren. 2022 wurde diese Kritik besonders laut. Der Dokumentarfilm „Das Spenden-Problem“ sorgte für große mediale Aufruhr. In der Dokumentation kritisierten betroffene Personen, Wissenschaftler:innen und Expert:innen, die Sendung stark.
Einer der vielen Vorwürfe gegen das Konzept der Sendung ist, dass Menschen mit Behinderung als arm und bedürftig dargestellt werden. Licht ins Dunkel suggeriere, dass Menschen mit Beeinträchtigungen immer auf Hilfe oder auf andere Personen angewiesen seien. Zur Weihnachtszeit, zu der Spenden gesammelt werden, müssten sie dann von Bürger:innen, Politiker:innen und Unternehmen „gerettet“ werden. Dieses Narrativ zieht sich seit etlichen Jahren durch die Sendung. Die Sicht der Betroffenen geht in dabei völlig unter. Sie kritisieren die Darstellung ihrer Person. Menschen mit Behinderung führten ein Leben wie jedes andere, und seien keine bemitleidenswerten Menschen, die von privilegierten Personen gerettet werden müssen. Untersucht man Szenen aus der Sendung, in denen Betroffene dargestellt werden, erkennt man, wiederkehrende Muster. Menschen mit Beeinträchtigung werden als Opfer dargestellt, und nicht als gleichwertige Menschen. Oft fließen Tränen, traurige Musik wird im Hintergrund abgespielt. Der Fokus liegt häufig auf Kindern. Behinderung wird als ein großes Problem dargestellt.
Die Verantwortung der Gesellschaft, teilnehmender Poltiker:innen und von Unternehmen rückt in den Hintergrund oder findet gar keine Beachtung. In der Gesellschaft gibt es viele Barrieren und Hindernisse, die die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen erschweren. Laut Inklusionsforscherin Ursula Naue sei mit der Vorstellung, dass jede Person mit Behinderung arm, bedürftig und hilflos ist, keine inklusive Gesellschaft möglich. Licht ins Dunkel fördert genau diese Vorstellung.
Sieht man sich die Auftritte der Politiker:innen und Unternehmen an, die jedes Jahr um Spenden bitten, erkennt man eine gewisse Doppelmoral. Politiker:innen rufen in der Sendung zu Spenden auf, in ihrer täglichen Arbeit beschließen sie jedoch Gesetze, die von Menschen mit Behinderung stark kritisiert werden. Ein Beispiel hierfür ist Sebastian Kurz. Dieser trat 2020 bei Licht ins Dunkel auf, lobte die Sendung und machte auf dringende Spenden aufmerksam. Im Jahr zuvor, kürzte er jedoch die Sozialleistungen für Menschen mit Beeinträchtigung und reagierte bis dato auf keine Kritik dazu. Kurz ist nicht der einzige, der sich bei Licht ins Dunkel mit seiner Anwesenheit rühmt, in der Realität jedoch zu wenig für Menschen mit Behinderung leistet, oder ihnen sogar Hindernisse in den Weg stellt. Politiker:innen verlassen sich auf die Spenden der Bevölkerung, anstatt selbst zu handeln, so die Kritik von „andererseits“ und vielen anderen Betroffenen.
Jährlich spenden Unternehmen Millionen von Euro an Licht ins Dunkel. Dieselben zahlen am Ende des Jahres Ausgleichstaxen, weil sie der Verpflichtung, Menschen mit Beeinträchtigung in ihrem Unternehmen einzustellen, nicht nachgehen. Diese betragen ab 2023 monatlich 292 Euro, für jede Person, die eigentlich zu beschäftigen wäre. Es scheint, als würden nur Politiker:innen, Unternehmen und der ORF selbst von der Sendung profitieren. Nicht unwichtig zu erwähnen ist, dass der österreichische Rundfunk selbst auch Ausgleichstaxen zahlt. Genaue Angaben gibt es dazu keine.
Forderungen von Betroffenen
Nach Veröffentlichung der Dokumentation haben sich Betroffene erneut zusammengetan, um für ihre Forderungen einzustehen. Eine dieser Forderungen ist, dass sich das Narrativ, wie über Menschen mit Behinderung in Österreich gesprochen wird, ändern muss. Es sollte über die Barrieren und Hindernisse gesprochen werden, die von der Gesellschaft auferlegt werden, und nicht der Fokus auf den einzelnen Menschen gesetzt werden. Für die Mehrheitsgesellschaft ist es wichtig zu verstehen, was es für Menschen mit Beeinträchtigung bedeutet, wenn wichtige Gesetze nicht beschlossen werden und die Gesellschaft ihnen Barrieren in den Weg stellt, statt diese zu durchbrechen. Die Politik müsse sich dahingehend ändern, dass Betroffene nicht von Spenden abhängig sind. Stattdessen sollten Gesetze beschlossen werden, die eigentlich ohnehin in der UN-Behindertenkonvention festgelegt sind.
Viele Betroffene fordern ein völlig neues Konzept von „Licht ins Dunkel“, manche auch die totale Abschaffung, da die Sendung es ein problematisches Bild von Behinderung vermittelt und festigt. Redakteurin Sandra Schmidhofer von „andererseits“ findet dazu klare Worte: „Menschen mit Behinderung sitzen nicht im Dunkeln. Und sie wollen auch nicht jedes Jahr zu Weihnachten gerettet werden.“ Die zentrale Forderung ist und bleibt, dass Menschenrechte nicht von Spenden abhängig sein dürfen, sie brauchen Gesetze. Der Staat müsse endlich selbst Verantwortung übernehmen und sich nicht auf die jährlichen Spenden von Licht ins Dunkel verlassen.
Runder Tisch 2023
Nach der Veröffentlichung der Dokumentation lud der ORF am 03.02.2023 zu einem runden Tisch ein. Neben Vertreterinnen und Vertretern der Behindertenverbände und des Vereins LICHT INS DUNKEL nahmen auch ORF-Programmmacher :innen und weitere Expertinnen und Experten teil. Es wurde versprochen, das Programm zu adaptieren und die Kritik umzusetzen. Doch was ist bisher passiert?
„Konkrete Änderungen wurden nicht fixiert. Jedoch wurde festgehalten, dass man die Kritik sehr ernst nehme und in die Weiterentwicklung einfließen lassen wolle. Weiterer strukturierter Austausch ist geplant.“, so heißt es in einem Artikel des ORFs über den runden Tisch. Teilnehmende Vertreter:innen des Österreichischen Blindenverband äußerten sich zu dem runden Tisch wenig überrascht. So heißt es, es „hatte wohl niemand mit Maßnahmenpaketen oder schnellen Lösungen zu einem Problem gerechnet, das seit mehreren Jahrzehnten Diskussionsthema ist“. Es werde aber auch an den Forderungen des Blindenverbands und den ORF internen Frist zur 100-prozentigen Barrierefreiheit festgehalten. „Wenn der ORF ernsthaften Willen zur Zusammenarbeit zeigt, sich die Forderungen und die Kritik von Menschen mit Behinderungen zu Herzen nimmt und sie auch umsetzt, kann er viel dazu beitragen, die breite Öffentlichkeit für die Bedürfnisse zu sensibilisieren. Vom Ziel des ORF, bis 2030 zu 100 Prozent barrierefrei zu werden, darf nicht abgerückt werden.“, so Präsident des BSVÖ Markus Wolf. Das Rechercheteam der Redaktion Andererseits, durch jene die Kritik wieder aufgegriffen wurde, war zu dem runden Tisch nicht geladen.
Über die Autorinnen
Emilija Ilić ist 21 Jahre alt und studiert im 5. Fachsemester Medienmanagement an der FH St. Pölten. Erste journalistische Erfahrungen hat sie bei der Teilnahme der Talentefabrik und Prakitka bei BIBER Magazin und HappyHouseMedia gemacht. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Moderatorin und Social Media Managerin.
IG: @ilicxemilija
Sophie Eder ist 20 Jahre alt und studiert im 4. Fachsemester Medienmanagement an der FH St. Pölten. Sie komnte bereits journalistische Erfahrung in diversen Redaktionen wie der Wiener Zeitung, FUNK oder der Radiofabrik Salzburg sammeln.
IG: @sophiiemalin