„Paroli“: Experimentierwerkstatt für Onlinejournalismus

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Florian Stambula, Obmann von „Paroli“, dem Verein zur Förderung des Onlinejournalismus, erläutert SUMOmag, wie es zur Entstehung des Vereins gekommen ist und welche Herausforderungen dem Onlinejournalismus bevorstehen.  

Martin Möser/SUMO: Im Jahr 2012 wurde der Verein gegründet, zu einem Zeitpunkt, als Onlinejournalismus augenscheinlich doch längst allgegenwärtig war. Doch wie war die Situation am Medienmarkt vor acht Jahren tatsächlich? 

Florian Stambula: Wir haben den Verein gegründet, um eine rechtliche Plattform für unser Medium „Paroli“ zu haben. Der Verein hat den Zweck „den Onlinejournalismus zu fördern“. 
Heute existiert der Verein noch, allerdings gibt es den Beschluss den Verein aufzulösen. Seit einigen Jahren ist die „Paroli“-Redaktion inaktiv, während die Website noch im Zuge von Lehrveranstaltungen benutzt wurde. Der Verein hat etwa ein Dutzend Mitglieder, wobei das Kern-Team aus fünf bis sechs Personen bestand. Zu „Parolis“ aktivsten Zeiten waren zwischen 20 und 30 Personen immer für das Medium im Einsatz. 
Mit diesem wollten wir – die fünf GründerInnen – für uns einen Raum schaffen, um mit digitalem Journalismus zu experimentieren. Zwar hatten es 2012 schon alle Verlage in Österreich – mal schlechter, mal besser – ins Internet geschafft, zum allergrößten Teil bestand Onlinejournalismus aber darin, Printzeitungstexte 1:1 auf die Website zu stellen. Was wir verändern wollten, war die Art, wie Journalismus im Internet funktionieren und wie vielfältig digitaler Journalismus sein kann. In den Strukturen der österreichischen Verlage war das damals nicht möglich und daher haben wir uns mit „Paroli“ einen Ort geschaffen, wo wir ohne Scheu alles ausprobieren konnten. 

SUMO: Bekannte JournalistInnen beklagen immer wieder die zu geringen finanziellen Mittel für investigativen Journalismus. Das untermauert auch eine Untersuchung der Euromedia Research Group im ersten Halbjahr 2020, die in 18 Ländern (z.B. Belgien, Chile, Finnland, Italien, Griechenland oder Österreich) weltweit nachfragte, wie Nachrichtenmedien einer Krise wie Corona begegnen und was Medienpolitik dagegen unternimmt. Ein Ergebnis war, dass die finanziellen Mittel für investigativen Journalismus tatsächlich ausdürren – und die Corona-Krise beschleunigt dies nun. Doch allgemein gesprochen: Steckt der Onlinejournalismus allgemein in der Krise? 

Stambula: Der traditionelle Journalismus ist in einer Krise – redaktionell, wirtschaftlich, organisatorisch, aber nicht der Journalismus generell. Es waren noch nie so gute Zeiten, um (digitale) journalistische Projekte zu beginnen! 

SUMO: Leidet die Qualität des Journalismus unter dem Zeitdruck, der online stattfindet? 

Stambula: Es kommt darauf an, welches journalistische Konzept man verfolgt: Beruht das Konzept darauf, „der Erste zu sein“ – dann ja, der Konkurrenzdruck ist enorm und nationale Medien können hier nur in Nischen mit den internationalen Agenturen und Medien mithalten. Wenn das journalistische Konzept „Qualität“ ist, dann spielt Zeitdruck keine Rolle. 

SUMO: Was wäre denn Ihr Lösungsansatz, um den Onlinejournalismus zu stärken? 

Stambula: „Onlinejournalismus“ kann viele Dinge bedeuten. Zuerst einmal ist Onlinejournalismus heute einfach nur noch „Journalismus“, denn alles, was nicht vordergründig für das Web produziert wird ist nur noch in der Nische interessant.  

An diese Realität müssen sich traditionelle Verlage anpassen. International ist der Druck wirtschaftlich so groß, dass dies bereits in vollem Gange ist und in Skandinavien, Deutschland oder Großbritannien finden sich heute schon Verlage mit modernen Strukturen – in den Redaktionen, in der Produktentwicklung, im Verkauf. In Österreich jedoch ist der Innovationsdruck durch fast 200 Millionen Euro an öffentlichem Geld pro Jahr – Inserate plus diverse Förderungen – derart gesenkt, dass das Modell „Printzeitung“ (Werbung und Abo) immer noch im Mittelpunkt steht. Dadurch wird wenig in Innovation investiert. Bestehende Strukturen bleiben, neue Skills und Know-how für digitale Prozesse finden nur schleppend Einzug. 

SUMO: Sind Paywalls der richtige Weg? 

Stambula: Als Medienmanager gesprochen: Es kommt darauf an. Es gibt Medien, für die ist eine Paywall eine valide Option, um damit neue Umsatz-Quellen zu erschließen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Produktion von Journalismus diesem Geschäftsmodell anpassen muss. In Österreich sehen wir aktuell, wie dieser Prozess in traditionellen Verlagen (Styria, Mediaprint, „Salzburger Nachrichten“, „Oberösterreichische Nachrichten“, etc.) stattfindet und mit welchen Schmerzen das in diesen verbunden ist, weil alle am liebsten weiter täglich eine Printzeitung befüllen wollen, anstatt sich an neue Gegebenheiten anzupassen. 

Als Konsument gesprochen, habe ich kein Problem mit Paywalls, da ich der Meinung bin, dass Journalismus genauso ein Produkt ist wie meine Fitness-Studio-Mitgliedschaft. Im Journalismus wollen wir uns manchmal als „Vierte Gewalt“ sehen, aber genauso wie niemand auf die Ideen kommen würde, „Gesundheit muss aber kostenlos sein“ zu schreien und Einlass zum Fitnessstudio zu fordern, genauso wenig muss Journalismus kostenlos sein. In Österreich heißt es immer, die Bezahlbereitschaft für Medien sei niedrig, wenn man etwa den „Digital News Report“ heranzieht. Dabei leisten sich viele ein ORF-Abo und zahlen deutlich mehr via GIS-Gebühr als für ihr Fitness-Studio. Ich würde also sagen, dass KonsumentInnen durchaus bereit sind, Journalismus zu bezahlen. 

SUMO: Ist „Künstliche Intelligenz“-Journalismus die Zukunft bzw. wird er in den nächsten Jahren eine größere Rolle spielen? 

Stambula: Gegenfrage: Was verstehen wir unter „Künstlicher Intelligenz“? Wenn das so etwas ist wie GPT-3 (Generative Pre-trained Transformer 3, Anm. d. Red.), dann ja: In gewissen Nischen – Sport, Finanzen, Rezepte – und überall dort, wo es strukturierte Daten gibt, wird das eine Rolle spielen. Für das Kerngeschäft – recherchierte journalistische Inhalte – in den nächsten fünf Jahren hingegen international nicht und schon gar nicht in Österreich. Algorithmen aber sind heute schon in vielen anderen Bereichen von Medien im Einsatz, etwa wann und wo etwas veröffentlicht, welchen UserInnen was angezeigt, zu welchen Preisen ihnen ein Abo angeboten wird, etc. 

SUMO: Wohin beziehungsweise wie wird sich Onlinejournalismus in den nächsten zehn Jahren entwickeln? 

Stambula: In Österreich wird es noch eine ganze Weile so weitergehen wie bisher. Die öffentliche Hand und die Medien brauchen einander zu sehr, als dass eine größere Reform der Presseförderung oder ein Ende des Inseraten-Systems zu erwarten ist. Österreichische Medien-KonsumentInnen halten sich aber immer weniger an Landesgrenzen und lesen internationale Medien. Deutsche Medien etwa haben Österreich längst als Zielmarkt entdeckt. Jüngere Menschen verabschieden sich generell vom traditionellen Nutzungsverhalten, lesen Nachrichten in Social Media-Plattformen statt im Print-Abo. Im Qualitätsbereich ist für mich aktuell die „Ent-Bündelung“ der interessanteste Trend, so wie er im englischsprachigen Raum schon unter anderem via der Veröffentlichungsplattform „Substack“ stattfindet. Die Frage ist, ob einzelne AutorInnen auch im deutschsprachigen Raum oder nur im österreichischen Markt ein genügend großes Publikum finden, um davon leben zu können. Ich würde meinen: ja – und das wird neue journalistische Ansätze und Talente mit sich bringen.  

von Martin Möser