Während die Börse erst um 8 Uhr aufsperrt, ändern sich die Wechselkurse in der Fernsehwelt täglich gegen 3 Uhr morgens. Auf Grundlage der dann veröffentlichten Teletest-Daten werden mehr als eine Milliarde Euro Werbegelder an die heimischen TV-Sender ausgegeben. Wie zuverlässig ist dieses System und welche Kritik bzw. Verbesserungsvorschläge gibt es? Dazu hat SUMO mit Karl Amon, Peter Lammerhuber und Florian Mahrl gesprochen.
Im Jahr 2019 repräsentierten 1.652 ausgewählte Fernsehhaushalte mit 3.252 BewohnerInnen die TV-Gewohnheiten von 7.504.000 erwachsenen ÖsterreicherInnen in Haushalten mit Fernsehgerät. Die aufgezeichneten Daten der linearen und non-linearen Sehgewohnheiten sind die grundlegende Basis für die Verteilung der Fernsehwerbegelder, die laut „Focus Werbebilanz 2018“ fast 1,2 Milliarden Euro betrugen. Obwohl das Messverfahren der „Aktionsgemeinschaft Teletest“ (AGTT) seit vielen Jahren gemeinsam mit dem Marktforschungsinstitut „Gesellschaft für Konsumforschung“ (GfK) durchgeführt wird, gibt es Zweifel an der Validität der erhobenen Daten und Kritik an der Messmethode.
„Vorsintflutliches Messinstrument“
Von Seiten einiger ProgrammanbieterInnen gibt es Kritik an der Zeitmäßigkeit und Genauigkeit des Teletests. Vor allem, dass zu Zeiten, an denen wenig ferngesehen wird einige wenige Leute große Unterschiede ausmachen und einige Sendungen mit null Prozent Reichweite gelistet werden, was unrealistisch sei. Ebenso wurde der Teletest als vorsintflutliches Instrument, das die 1980er Jahre messe und Äpfel mit Birnen vergleiche, bezeichnet. Außerdem beklagen KritikerInnen, dass weder die Fernsehrezeption über Mobilgeräte noch das Besuchen von Sportbars gemessen wird. Laut Peter Lammerhuber, Chairman Of The Board bei GroupM Austria, müsse bei einer Erweiterung des Panels (Anm.: die an Tests fixe Teilnehmergruppe) immer eine Kosten-Nutzen-Relation abgewogen werden. Wenn man das Panel vergrößere, aber jahreszeituntypische Wetterverhältnisse herrschen, wie ein sommerlicher Oktober, dann gingen die Leute zum Heurigen anstatt fernzusehen und dann nütze die Vergrößerung nichts. Grundsätzlich sei ein höheres Panel aber immer aussagekräftiger, das sei eine No-Na-Frage. Aber Telemetrie sei teuer. Würde von den Sendern mehr eingezahlt, könnten die Panels erhöht werden. Denn wie Lammerhuber ebenfalls klarstellt, sei es schwierig, geeignete PanelteilnehmerInnen zu finden und sie motivieren mitzumachen, vor allem bei sozial höhergestellten Haushalten. Außerdem müssten genug Leute aus den einzelnen Bundesländern, aus großen und kleinen Städten und Regionen gefunden werden. Karl Amon, Geschäftsführer von Mediatest, ist der Ansicht, dass der Teletest nicht vorsintflutlich, aber verbesserungsfähig sei. Der Radiotest dagegen sei anachronistisch, weil nur viertel- bis halbjährlich Daten veröffentlicht würden und daher stark verbesserungsfähig. Den Vorwurf, dass der Teletest zu wenige TeilnehmerInnen hätte, sieht er nicht erfüllt. Eine für einen Markt aussagekräftige Gesamterhebung benötige höchstens 5.000 Testpersonen, egal ob der Markt Österreich sei oder zehnmal so groß wie Deutschland und stützt sich dabei auf Belege des SORA-Instituts. Somit wäre der Teletest in dem Panel-Bereich, der für eine präzise Erhebung nötig ist.
Wie manipulierbar ist der Teletest?
Ein Schweizer Journalist des Portals „Medienwoche“, der zufällig für die schweizerische Fernsehreichweitenmessung, die dem Teletest ähnlich ist, ausgewählt wurde, berichtete 2013, wie leicht es sei, die Reichweitenmessung zu manipulieren. Hätte er die Tasten für alle HausbewohnerInnen und Gäste auf der Fernbedienung gedrückt, wäre die Zahl der ZuseherInnen sieben Mal höher. Auch das Phänomen der Sozialen Erwünschtheit trat beim Tester ein, da er sein Fernsehverhalten änderte, weil er wusste, dass man ihm zuordnen konnte, welche Programme er ansah. Außerdem gab er an, sich nicht immer eingeloggt zu haben, oder auch den Knopf für seine Frau gedrückt zu haben, da diese das Programm auch gesehen hätte. Abschließend kam er zu dem Fazit, dass das System Lücken hätte und nur erfasst würde, wer welchen Sender sehe, nicht aber ob diejenige Person wirklich zusieht.
Reichweitenmessung mittels Smartwatch
Abhilfe für die genannten Probleme könnte eine innovative Messtechnik schaffen, die vom österreichischen Unternehmen „Media Test Research GMBH“ (Mediatest) entwickelt und in ähnlicher Form in Skandinavien und zur Messung der Radioreichweiten in der Schweiz verwendet wird. Der ehemalige ORF-Radiodirektor Karl Amon, Geschäftsführer von Mediatest, erklärt im SUMO-Gespräch die Vorzüge und die Funktionsweise dieser Messemethode. Grundsätzlich erfolgt die Messung mittels einer Uhr (Smartwatch). Darauf aufbauend gibt es zwei Messmethoden: Auf der einen Seite das Marking-Verfahren. Hierbei sendet der Fernseh- oder Radiosender ein unhörbares Codingsignal über das Audiosignal mit, welches von einer Applikation in der Messuhr entschlüsselt wird. Daraus resultiert der Nachteil, dass die Rundfunkanstalten einen Encoder in ihre Sendeanlagen einbauen müssten, was nicht bei allen der Fall sei. Auf der anderen Seite gibt es das Matching-Verfahren, welches laut Amon mit dem Abgleich von Fingerabdrücken verglichen werden könne. Eine App in der Uhr misst das eingefangene Signal, vergleicht es in Sekundenschnelle mit dem Gesamtprogramm eines jeweiligen Landes und kann somit das gesendete Fernseh- oder Radioprogramm zuordnen. Durch dieses Livesignal können Sendungsverantwortliche sehen, wie gut eine Sendung performt, noch bevor sie vorbei ist. Das könne helfen, das Programm schneller an die ZuseherInnen-Interessen anzupassen. Das Matching-Verfahren, so Amon, sei im Vergleich zum Marking-Verfahren das bessere. Generell sei die Messvariante von Mediatest wesentlich besser zum Datensammeln geeignet und noch dazu preiswerter als der Teletest. Ein kleines Problem gebe es derzeit nur mit KopfhörernutzerInnen. Testpersonen müssten manuell angeben, wenn sie dies täten. Dies sei der einzige Fall, bei dem Testpersonen gezwungen wären, die reine Passivität der Fernsehnutzung zu verlassen, TV einschalten ausgenommen, und eine aktive Handlung zu setzen. Aber auch diese Aktivität solle zukünftig passiv gelöst werden können. Derzeit kommen die Mediatest-Messuhren nur in Tests zum Einsatz. Bislang gab es drei Feldphasen. Während dieser Phasen wurden unterschiedliche Belohnungen ausgegeben. Es hatte keine Auswirkung auf die Verlässlichkeit der ProbandInnen, ob diese keine Incentives, eine Sachentlohnung oder 30 bzw. 60 Euro erhielten. Auch die international übliche Drop-out-Quote von zehn Prozent während der Testphase blieb in allen Phasen gleich. Während des Gesprächs mit Karl Amon (Mitte November 2019) fand die vierte Testphase in einigen Regionen statt. Er betont jedoch, dass sich ein technisch sehr ähnliches System in den skandinavischen Ländern seit einigen Jahren bewährt und dort die Währungsmaßstäbe für die dortige Werbewirtschaft verändert hätte. In der Slowakei und Tschechien kommen ähnliche Systeme zum Einsatz, wenn auch nicht flächendeckend. Ebenfalls habe sich die Schweizer Radioreichweitenmessung mittels Kontrolluhr in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, so Amon. In Österreich will Mediatest bei der nächsten Neuausschreibung des Teletests um diesen Auftrag rittern. Peter Lammerhuber hat jedoch generelle Bedenken in Bezug auf Matchingverfahren und meint, dass diese grundsätzlich das Problem hätten, dass die Uhr ein Fernsehsignal einfange, aber die RezipientInnen auch in der Küche sein könnten und nichts vom Fernseher mitbekommen. Dem entgegen steht die Argumentation von Karl Amon, dass die Smartwatch erkenne, wie viele Personen vor dem Fernseher sitzen, ohne die Datenschutzbestimmungen zu verletzten. Dafür werden die einzelnen aufgenommenen Tonhüllen mit dem Zentralcomputer verglichen. (Gesprächs-)Inhalte werden nicht wahrgenommen. Für Florian Mahrl, Director Research & Development bei GroupM Austria, ist jedoch die Tatsache ein Problem, dass die Leute dazu gebracht werden müssten, diese Uhr immer zu tragen. Das Ziel von Mediatest sei es, eine vollumfassende Messung für die audiovisuelle Mediennutzung mittels Smartwatch zu erhalten. Zu 90 Prozent sei dies laut Karl Amon bereits gelungen. Unter anderem erkenne die Uhr auch Fernsehen via Computer, Smartphone oder auch welche Musiknummer gerade gespielt wird. Mit den Messuhren gelinge es, in Anlehnung an Wahlhochrechnungen, auf Zehntelprozentpunkte genaue Livezuseherzahlen zu generieren und das nicht nur am Wahlsonntag, sondern immer.
Selbstmessung bei „Sky“
Der britisch-deutsche Pay-TV-Anbieter ist im Gegensatz dazu einen komplett eigenen Weg gegangen. Da es bei der Messung der TV-Reichweiten zwischen „Sky“ und der deutschen Reichweitenmessung zu Diskrepanzen kam, hat sich das Unterföhringer Unternehmen bereits 2015 dazu entschlossen, seine Reichweiten selbst zu erheben. Der Pay-TV-Anbieter nutzt dazu ein Multi-Source-Model. In diesem werden mehrere Panels und Messungen vereint. Mit Hilfe des modularen Messsystems „Sky360“ wird sowohl die lineare, als auch die non-lineare Rezeption der „Sky“-Angebote gemessen. Dadurch werden neben den Fernseh- und On-Demand-Übertragungen auch die Übertragungen in öffentlichen Räumen (Sportbars) ermittelt. Die Nutzungszahlen der Onlineabrufkanäle „Sky Go“ und „Sky Online“ werden mittels Trackingtool von „Adobe“ erfasst. Die lineare Programmenutzung und der „Sky Receiver“ werden über ein von „Kantar Media“ aufgebautes Panel überwacht. Für die Out-of-Home-Datenerhebung wird von „Ipsos“ jährlich ein zweistufiges Verfahren durchgeführt, wobei 4.000 repräsentative Online-TeilnehmerInnen befragt und 1.000 TeilnehmerInnen in Teilstichgruppen wöchentlich befragt werden. Laut der Geschäftsführung werde das tatsächliche Sehverhalten durch die eigene Messung wesentlich genauer abgebildet, wodurch den WerbekundenInnen eine bessere Entscheidungsgrundlage geboten würde. Für Florian Mahrl gilt es jedoch, diese Eigenmessungen kritisch zu hinterfragen, denn die Sender würden immer ihre Highlights und ihre besten Zahlen zeigen, etwa wenn ein Spiel der Champions League Achtungswerte erreiche. Mahrl führt weiter aus, dass bedacht werden müsse, dass ein Jahr 365 Tage hat. Für eine TV-Werbekampagne zähle nicht alleine die Reichweite um 20:15, sondern auch die am Nachmittag. Daher betont Mahrl, dass für WerbevermarkterInnen und WerbekundInnen eine verlässliche Reichweite Tag für Tag wichtig sei.
„Media Server“: Ergänzung statt Ersetzung
Im Gegensatz zur technischen Messung mittels Teletest-Panels erfolgt die Datenerhebung beim Media Server mittels qualitativer Befragung. Im ersten Teil der Studie werden 15.000 Online- oder Face-to-Face-Interviews abgehalten. Hierbei werden unter anderem Tagesablauf, soziodemografische Daten und die Medienrezeption abgefragt. Im zweiten Teil werden die Daten aus den Gattungsstudien, wie dem Teletest, mit dem Media Server kombiniert. Die gewonnenen Daten sollen strategische intermediäre Planungen und den Vergleich der in den unterschiedlichen Gattungen erhobenen Ergebnisse ermöglichen. Neben einer Verbindung zwischen den Studien sollen zukünftige Trends im Rezeptionsverhalten erkenntlich werden. Das ambitionierte Projekt hat mittlerweile jedoch zwei wichtige Partner verloren. Aus Kostengründen sind sowohl die Mediaanalyse als auch die Webanalyse (ÖWA) aus dem Verband ausgetreten. Peter Lammerhuber sieht den Media Server als einen Ansatz, aber Umfragen würden immer auf den subjektiven Wahrnehmungen von Personen beruhen und bilden damit nicht die Wirklichkeit ab. Nachfolgend führt er aus, dass sich die Messsysteme an den Medienverkauf anpassen müssten. Wenn das Produkt digital vertrieben wird, dürfe nicht analog gemessen werden. Die Medienforschung sollte daher versuchen, Systeme zu etablieren, welche die digitale Mediennutzung in allen Bereichen vom Fernsehen über das Radio bis zum Gaming abbilden und aufzeichnen. Besser wäre es daher, eine Single Source-Erhebung durchzuführen, bei der die gesamte Mediennutzung einzelner UserInnen erhoben wird: ein Panel, bei der alle rezipierten Medien der Probandengruppe elektronisch gemessen werden können.
Fernseher als Überwacher?
Im SUMO-Interview beschreibt Peter Lammerhuber eine weitere Möglichkeit der Fernsehreichweitenmessung. Red Bull hat mit Samsung auf Basis von dessen Smart-TV-Geräten eine Trackingvariante entwickelt, bei der das Fernsehsignal so gekoppelt ist, dass verfolgt werden kann, welcher Fernsehkanal wie lange von ZuseherInnen gesehen wird. Ein ähnliches System wird auch von A1-Telekom entwickelt. Bei beiden Varianten benötige es jedoch zusätzliche Forschung, um die Soziodemografie der Haushalte zu ermitteln. Beim Teletestpanel werden diese Daten durch das Ein- und Ausloggen mit der Spezialfernbedienung erhoben. Mittels Smart-TV-Messung könnten die personenbezogenen Daten nur über die im Fernseher integrierte Kamera aufgenommen werden. Das hätte aber Züge eines Überwachungsstaates und wäre mit der DSGVO nicht vereinbar. Zwischen der AGTT, Red Bull und A1-Telekom gab es bereits Vergleichstests der Smart-TV- mit den Teletestdaten. Zur Prime-Time seien die Ergebnisse nahezu deckungsgleich, während in den Randzonen der Fernsehnutzung die Smart-TV-Messungen bessere Ergebnisse liefern würden. Laut Lammerhuber könnte eine Messung mittels Smart-TV, jedoch ohne Kameraüberwachung, nur ein Teil einer neuen Messlösung sein. Denn hier würde weder die Nutzung von Mobilgeräten zum Fernsehen noch das Rezipieren von „YouTube“ und Streaming-Diensten am Computer berücksichtigt. Karl Amon ist der Ansicht, dass an Trackingvarianten wie diesen sehr stark gearbeitet werde, weil die Werbewirtschaft ein großes Interesse daran hätte. Dieses Verfahren sei ein Segment, aber es liefere keine Gesamtabbildung.
Zukunftsprognose und Bewertung des Teletest
Für Peter Lammerhuber biete der Teletest genauere Annäherungen, während die Modelle, die auf Befragungen basieren eher weichere Annäherungen liefern würden. Generell würden MediaplanerInnen aber keine Annäherung wollen, sondern wissen, wie es wirklich ist. Dennoch betont er, dass Österreich gut aufgestellt sei, vor allem da es ein kleiner Markt ist. In Fernsehmärkten wie den USA wäre eine Panelmessung auf Grund der Größe nicht möglich. Dass der Teletest zum Auslaufmodell wird, werde laut Karl Amon nicht so schnell der Fall sein. Die AGTT-EntscheidungsträgerInnen seien sehr technikaffin und würden parallel zum jetzigen Testverfahren neue Methoden entwickeln und testen. Mittelfristig werde sich das System aber sehr stark ändern. Laut Amons Prognose wird die neue Technik in einem Jahrzehnt die alte ablösen, wobei er hoffe, dass diese Annahme nicht zu optimistisch sei.
Von Michael Marsoner