Das Gebäude in der Argentinierstraße 30a im vierten Wiener Gemeindebezirk ist unübersehbar: Ein riesiges buntes Ohr schmückt den Vorplatz und in großen Lettern steht über dem Eingang „ORF Funkhaus“. Aus der Heimat etlicher Radiogrößen aus Ö1 oder FM4 sendet seit 28 Jahren auch das „Kunstradio-Radiokunst“.
Vom Ordnen der Kassetten zur Chefredakteurin
Die damalige Chefredakteurin Heidi Grundmann rief die Sendung 1987 ins Leben. 1991 stieß ein junges Mädchen – noch unwissend, was sie in ihrem Leben tun soll – dazu und half Kassetten und Tonbänder zu ordnen. Etwas muss ihr wohl gefallen haben, denn das junge Mädchen blieb bei Ö1. Dieses Mädchen trägt den Namen Elisabeth Zimmermann und ist seit 1998 Chefredakteurin der Sendung „Kunstradio-Radiokunst“ auf Ö1. Diese Hörfunksendung ist eine der gar nicht so vielen Kunstradiosendungen weltweit. Die wirkenden KünstlerInnen setzen sich mit dem Medium Radio und dessen Veränderungen auseinander und präsentieren ihre Arbeit dann über das Medium selbst, im Falle Österreichs über „Kunstradio-Radiokunst“. Die Produktionsweisen sind sehr unterschiedlich. Nur ein Grundsatz sei entscheidend, so Zimmermann: „Die KünstlerInnen sind die ExpertInnen, es ist ein Radio by artists: eine Fläche, wo Künstler und Künstlerinnen im Radio, mit dem Radio, durch das Radio, rund um das Radio Kunst machen und kommunizieren können.“
Die Prävention des digitalen Todes
Doch so wie jede Kunstform befindet sich auch das „Kunstradio“ im Wandel. Die Produktions-, Verarbeitungs- und Rezeptionsweisen verändern sich. Und die Digitalisierung bringt nicht nur Positives. „Das gehört natürlich auch zu Big Data, dass wenn sich die Formate ändern, manche Dinge eben obsolet werden und sozusagen einen digitalen Tod sterben“, wirft Zimmermann ein. Davon können auch andere Medien ein Lied singen, denn etwa – als ein Beispiel – das Archivierungsproblem wird zum Problem aller. Wie alte Daten speichern, wenn sie mit neuen Datenbanksystemen nicht mehr kompatibel sind? Und wie alte Datenbanksysteme mit neuen Technologien vereinbaren? Um wichtige Daten nicht zu verlieren, hat sich das Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg (Bremen) ein neues Ziel gesetzt. „Sie haben beschlossen, dass Radiokunst eben auch eine Künstlerpublikation ist und begonnen ein großes Archiv für Radiokunst anzulegen, um sie für Wissenschaft und Forschung zugänglich zu machen. Alle digitalisierten Kunstradiobänder sind auch in Bremen archiviert und sollen dort bearbeitet werden für deren Archiv. Radiokunst aus aller Welt zu sammeln und aufzubereiten ist natürlich ein sehr großes Projekt, das nie wieder aufhören kann“, postuliert Zimmermann. Auch www.kunstradio.at, die offizielle Homepage von „Kunstradio-Radiokunst“, hat ein Archiv zur Hörfunksendung angelegt. Stück für Stück werden alle Werke vom Beginn 1987 digitalisiert und auf die übersichtlichere Plattform hochgeladen. Man kann sich das Stück anhören, eine Beschreibung der Arbeit und eine Biografie der KünstlerIn lesen. Allein solche Online-Archive verändern auch die Rezeptionsweise der ZuhörerInnen, man ist nicht mehr an eine bestimmte Sendezeit gebunden. Live-Streams am Laptop, Radio Applications am Smartphone oder auch Online-Archive machen eine große Menge an Daten jederzeit zugänglich.
Nicht nur kann man nun die Sendungen allerorts rezipieren, sondern auch zuhause produzieren. Die Kreativität der KünstlerInnen und ein geeignetes Programm am PC können schon ausreichen, um eigene Werke zu erschaffen. Studio und TonmeisterInnen werden nicht mehr gebraucht. Früher war das Kunstradio eine der wenigen Möglichkeiten radiophone künstlerische Arbeiten publik zu machen. Mit dem World Wide Web kamen eigene Websites, Homepages, Diaries (Vorläufer der heutigen Blogs) und damit auch die Möglichkeit für eigenständige Produktionen.
Vernetzen über Ars Acustica
Trotz dieser Möglichkeiten fehlt es „Kunstradio-Radiokunst“ nie an KünstlerInnen. Durch Gruppen wie die Ars Acustica Gruppe der europäischen Rundfunkunion vernetzen sich Kunstradiosender und schaffen somit fruchtbringenden Austausch. Elisabeth Zimmermann – von 2010-2014 Vorsitzende der Ars Acustica, nunmehr Vice Chair – betont die Vorteile des Vereins: „Die Acustica Gruppe hat sich vor über 25 Jahre gegründet, um im Bereich Radiokunst, der stärker wurde, eine Plattform zu bilden, damit man auch gemeinsame Projekte erschaffen kann. Außerdem gibt es einen Pool, in dem jeder Produktionen hinzufügen kann, und für ein Jahr darf jedes Mitglied der Ars Acustica Gruppe diese Produktionen in seinem Programm einmal, ohne Honorar, senden.“ Die Ars Acustica zählt aktuell 66 aktive und 51 außerordentliche Mitglieder.
Und die Zukunft?
Kunstradio ist also keine unbekannte Kunstform und vernetzt sich mittlerweile auf vielen verschiedenen Ebenen. Auch wenn diese Art von Vernetzung, laut Zimmermann, „zum Alltäglichen“ geworden ist, schafft sie wiederum Möglichkeiten für innovative Inhalte. Denn gerade darum geht es im „Kunstradio“: „Jeder Künstler und jede Künstlerin bringt etwas Anderes mit: eine andere Idee, ein anderes Projekt, einen anderen Zugang zu einem Thema, einen anderen Umgang mit der Material. Es ist auch spannend zu sehen, wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt hat.“ Aber wohin entwickelt sich die Radiokunst künftig? „Ich wünsche mir, dass es in der Radiokunst auch weiterhin eine Auseinandersetzung gibt, in den verschiedenen Generationen an Künstler und Künstlerinnen, mit dem Medium selbst und seinen Veränderungen. Es entsteht auch die Frage, wo es Sinn macht, welche Räume es braucht, ob es das normale FM-Radio überhaupt noch benötigt. Oder ist es dann auch schon Radiokunst, wenn es nur im Netz ist? Und ich würde mir auch mehr Diskussion und theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema wünschen.“
Was die Zukunft für Elisabeth Zimmermann und möglicherweise alle MitarbeiterInnen im seit 76 Jahre bestehenden Funkhaus angeht, so ist der bevorstehende Auszug schon sicher. Man bemerkt die Bedenken, wenn sie darüber spricht. Noch ein Wandel, deren Auswirkungen unvorhersehbar sind. Es bleibt die Hoffnung, dass weder das „Kunstradio“, noch andere Hörfunksendungen darunter leiden werden: Veränderung schön und gut, die Qualität aber soll bleiben.
Tipp: „Kunstradio-Radiokunst“ wird wöchentlich am Sonntag von 23:03-23:59 auf Ö1 ausgestrahlt.