Das Prinzip der Netzneutralität hat maßgeblich dazu beigetragen, das Internet zu dem zu machen, was es im Idealfall heute ist: ein Raum für Meinungsfreiheit und Innovation, in dem alle Daten gleichbehandelt werden. SUMO hat sich mit Iwona Laub, Communication Managerin bei der Bürgerrechtsorganisation „Epicenter.works“, über die Notwendigkeit von Netzneutralität und die netzpolitische Situation unterhalten.
Es ist nicht überall selbstverständlich, dass alle Datenpakete im Internet gleich schnell übertragen werden und der Zugriff auf Daten stets ohne Einschränkung möglich ist. Netzneutralität basiert auf diesen Prinzipien, und obwohl es sich dabei um einen Grundpfeiler des Internets handelt, haben die Länder unterschiedliche Herangehensweisen. Vielerorts sind zwar Leitlinien und Gesetze vorhanden, doch werden Verstöße gegen diese kaum bis gar nicht geahndet. In der Europäischen Union wurde 2015 die EU-Verordnung für den elektronischen Binnenmarkt verabschiedet, die den Umgang mit Netzneutralität reglementiert, seit 2016 ist diese in Kraft. Nationale Regulierungsbehörden (in Österreich die RTR) sind für die Kontrolle der Einhaltung der Regeln verantwortlich und veröffentlichen jährlich Berichte zum Stand der Netzneutralität. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde sie 2018 gänzlich abgeschafft.
Warum Netzneutralität wichtig ist
Die idente Behandlung von Daten im Netz ist aus gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Gründen essentiell: Sie gewährleistet freie Meinungsäußerung sowie gleiche Markteintrittsbarrieren für alle, die das Internet nutzen. Wo Netzneutralität gesetzlich verankert ist, dürfen große Konzerne gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen von Telekommunikationsanbietern nicht bevorzugt und Daten in keiner Weise technisch diskriminiert werden. Dies passiert beispielsweise im Rahmen des Zero-Rating: Dabei wird, u.a. durch große Internetkonzerne finanziert, die Nutzung mancher Internetdienste auf dem Endgerät des/der Konsumenten/in nicht vom Datenvolumen abgezogen, das im Tarif inkludiert ist. Die Konsequenz ist, dass eben diese Dienste einen Wettbewerbsvorteil gegenüber weniger etablierten Diensten erfahren, die sich einen solchen Vertrag nicht leisten können. Es wird also nicht nur der Wettbewerb eingeschränkt, sondern auch die freie Auswahl. Iwona Laub meint: „Verletzungen der Netzneutralität haben auf jede/n Auswirkungen. Die einen merken es, die anderen nicht.“ Von Zero-Rating profitieren in erster Linie große US-amerikanische Internetkonzerne wie Apple oder Netflix. Laub sieht vor allem ein Problem darin, dass immer mehr europäische Internetnutzer/innen ihre Daten auf US-amerikanischen Servern hosten, da dies die heimische Digitalwirtschaft schwäche und Europa als Wirtschaftsstandort unattraktiver mache.
Aus einer Netzneutralitätsstudie, die 2019 von „Epicenter.works“ veröffentlicht wurde, geht hervor, dass Zero-Rating-Angebote auf lange Frist einen Anstieg der Mobilfunkpreise zur Folge haben. Im Rahmen der Studie wurden 225 Mobilfunkanbieter in der Europäischen Union in Hinblick auf Zero-Rating untersucht und 186 Angebote identifiziert, die als nicht rechtskonform erachtet werden. „Der Bruch der Netzneutralitätsregeln bzw. das Angebot und die Nutzung von Zero-Rating und ähnlichen Diensten wirken teilweise attraktiv, weil der/die Konsument/in das Gefühl hat, etwas geschenkt zu bekommen. Aber es ist unfair gegenüber anderen Wettbewerbern“, so Laub. Explizit verboten wurde die Praxis in der Europäischen Union bis dato jedoch nicht, daher werden nach wie vor Tarife dieser Art angeboten.
Woran es scheitert
Im Rahmen der Netzneutralitätsstudie von „Epicenter.works“ wird auf ein europaweites Transparenzproblem aufmerksam gemacht, das seinen Ursprung in fehlenden bzw. unzureichenden Berichten der nationalen Regierungsbehörden hat. Laub meint, dass in vielen Mitgliedsstaaten die Ahndung von Verstößen gegen die Netzneutralität nicht ausreichend ernst genommen werde, die Länder Irland und Portugal etwa hätten bis heute gar keine Strafbestimmungen erlassen. Den Grund für das unzureichende Einschreiten der Regulierungsbehörden sieht Laub in mangelndem Bewusstsein, obwohl dieses generell in den letzten Jahren gestiegen sei: „Die Kontrollbehörden in den einzelnen Ländern müssen immer wieder daran erinnert werden, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Die Regeln haben schon ihre Kraft, aber es müsste regelmäßiger und transparenter evaluiert werden“, meint sie, und dass sich die Situation seit der Veröffentlichung der Studie kaum gebessert habe. Die Situation in Österreich bewertet sie als gut, da die RTR Netzneutralität sehr ernst nehme und bei Verstößen auch tatsächlich einschreite.
Ausblick
Die Einführung von 5G und das Aufkommen des „Internet of Things“ stellt Netzneutralität auf die Probe: Das Internet soll zukünftig in Ebenen unterteilt werden, was die Zusicherung und Gewährleistung von Bandbreiten ermöglichen soll. Dies ist aus technischer Sicht gerechtfertigt, da man Bandbreiten somit effizienter nutzen kann – allerdings bietet die Unterteilung des Internets in Ebenen auch neue Möglichkeiten, die Netzneutralität zu verletzen. Mobilfunkanbieter werden zwar nicht willkürlich mit den Ebenen umgehen können, aber es wird wichtiger, dass die nationalen Regulierungsbehörden transparent bei Kontrollen und Sanktionen vorgehen. Vom Ausbau der Leitungen im Rahmen von 5G hatten sich besonders Mobilfunkanbieter eine Aufweichung der Netzneutralität erhofft, um die Nutzung der ausgebauten Leitungen im Anschluss gezielter vermarkten zu können. Obwohl hier intensiv lobbyiert wurde, wurde durch die Zivilgesellschaft und verschiedene Medien großer Druck auf Brüssel ausgeübt, was eine Novellierung der Netzneutralitätsregeln zu Beginn des Jahres 2020 zur Folge hatte. Die neuen Gesetze sind zwar noch nicht fix, Richtlinien sollen aber im Juni 2020 beschlossen werden. Im Zusammenhang mit Netzneutralität erachtet Laub Bewusstseinsbildung als sehr wichtig: „Es wird wichtig sein, den Menschen zu erkennen zu geben, wie wichtig solche Gesetze für die Sicherung der Meinungsfreiheit und Vielfalt sind und dass sie nicht selbstverständlich sind. Das ist mit der Datenschutz-Grundverordnung zu vergleichen: Am Anfang stört es vielleicht den einen oder die andere, aber schlussendlich bietet sie einen guten Schutz für alle“. Grundrechte und Freiheit würden ihrer Meinung nach nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten von Amerika wieder in einer richtigen Form stärker in den Fokus rücken. Da das Internet in diesem Zusammenhang eine große Rolle spiele, geht sie davon aus, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika hier in Zukunft an Europa orientieren könnten.
Von Suttner Sebastian