Schönheitsideal bunt? Wie nahe wir einer diversen Darstellung in Frauenmagazinen tatsächlich sind

Schönheitsideal bunt? Wie nahe wir einer diversen Darstellung in Frauenmagazinen tatsächlich sind

Groß, blond, schlank. Dieses und ähnliche Schönheitsideale haben unsere Gesellschaft lange dominiert und die Inhalte von Modemagazinen definiert. Jetzt werden immer mehr kritische Stimmen laut, dass die Vielfalt an Schönheit bei Frauen abgebildet werden muss. Reagierend auf diese Rufe begann die Modebranche damit, mit dem Schlagwort „Diversity“ um sich zu werfen. Doch wie viel davon ist tatsächlich nachhaltiger Wandel und wie viel nur Marketing-Gag? Über diese Frage und die Rolle von Modemagazinen in diesem Diskurs hat SUMO mit der Fashion Director von „Woman“ und Chefradakteurin des „The Curvy Magazine“ gesprochen. 

Dass Vielfalt die Würze des Lebens ist wusste bereits der deutsche Schriftsteller Ernst von Wildenbruch. Heute, über 100 Jahre nach seinem Tod ist dieses Zitat aktueller denn je. Diversität wird in vielen Bereichen des Lebens thematisiert und diskutiert. Es tut sich immer mehr und mehr, so auch in der Modebranche, wie Michaela Strachwitz sagt. Die Fashion Director des österreichischen Frauenmagazins Woman meint, dass sich in den letzten fünf bis sieben Jahren schon einiges getan habe, was das Bewusstsein für diese Thematik angehe. „Die Gesellschaft verändert sich und ist immer im Wandel. Man muss mit der Zeit gehen. Die Leute wollen dieses perfekte glattgebügelte Bild von Frauen nichtmehr“, sagt sie. 

Noch ein langer Weg 

In der Modebranche tue sich mittlerweile einiges, man sei aber noch lange nicht dort, wo man sein sollte, sagt Strachwitz. „Man sieh immer mehr Models mit verschiedenen Backgrounds am Catwalk. Mit den Größen passiert das noch nicht so stark, aber auch hier hat man immer öfter Curvy Models. Ich finde auch, dass man in der Produktfotografie und den Sujets einiges merkt“, erläutert sie. Das Magazin „Woman“ kauft meist internationale Modestrecken an und arbeitet auch zusätzlich mit Bildern, die es von Marken oder Agenturen zur Verfügung gestellt bekommt. „Da hat sich die Vielfalt an Models in allen Alterskategorien, Formen und Größen auf jeden Fall sehr weiterentwickelt. Früher waren diese Bilder schon sehr klassisch und auch stärker retuschiert. Diese Bildbearbeitung wird ebenfalls weniger, vor allem bei jüngeren oder nachhaltigeren Labels“, erklärt die Fashion Director. 

Sie selbst finde diese Entwicklung auch extrem wichtig: „Es ist schade, wenn man nur große dünne blonde Frauen abbildet. Das macht ein Magazin langweilig und realitätsfern. Deswegen bin ich sehr glücklich, dass sich da etwas getan hat. Wir bekommen auch viel positives Feedback von den Leser*innen dazu.“ Badestrecken mit kurvigen Models beispielsweise gehörten also ebenso zum Daily Business und dürften nichts außergewöhnliches mehr sein. „Das Model sieht eben aus, wie das Model aussieht. Das braucht man nicht dezidiert dazuschreiben“, sagt Strachwitz. Und genau das sei der Weg, den man gehen müsse. Das Ziel sei erst erreicht, wenn man von diesem Gedanken des diversen Casts wegkommt und ganz selbstverständlich die gesamte Vielfalt an Frauen meint. Auch ohne den speziellen Zusatz „divers“. 

Nieder mit der Quotenfigur 

Noch nicht alle Unternehmen haben das schon verinnerlicht. Besonders im High-Fashion-Bereich gebe es zwar einige Shows die sehr divers und extrem spannend sind, aber auch noch eine nicht zu vernachlässigende Zahl, bei denen zwei Quotenfiguren ein ganzes Spektrum abbilden müssten. „Das finde ich extrem schade. Da müsste sich auf alle Fälle viel mehr tun“, ist Michaela Strachwitz überzeugt.  

Wie viel Einfluss Modemagazine hier haben? Ein österreichischer Titel leider wenig: „Wir sind als österreichisches Magazin natürlich nicht so wichtig, dass sich bei den ganz großen Playern jemand Gedanken darüber macht, welche Strecken wir wählen. Vielleicht hätte es Wirkung, wenn die Vogue eine länderübergreifende oder gar global erscheinende Geschichte bringt, aber wir können – wenn wir international einkaufen – nur aus dem auswählen, was auf dem Markt ist.“ Trotzdem ist es wichtig, dass alle Magazine diese Entwicklung nicht verpassen. Man solle nämlich den Leser*innen gegenüber eine gewisse Aufklärungsfunktion erfüllen. „Ich glaube, je öfter wir etwas sehen, umso normaler wird es und gerade diese vielfältigen Abbildungen müssen zur Normalität werden. Dass wir jetzt noch darüber reden müssen ist das eigentliche Problem“, sagt Michaela Strachwitz. Sie erklärt auch, wie die „Woman“ ihren Teil leistet: „Natürlich steht das Styling und das Modethema im Fokus. Die ausgewählten Strecken und Looks müssen dazu passen. Wenn ich aber die Wahl habe, entscheide ich mich für ein ungewöhnlicheres Model. Ungewöhnlich in dem Sinne, dass es nicht ein veraltetes Schönheitsideal repräsentiert.“ Außerdem werden bei Woman seit jeher keine zu dünnen Models gezeigt. „Da hat man eine ganz klare Verantwortung, was man den Leser*innen präsentiert“, erklärt sie. 

Ganz normale Konsument*innen 

Etwas mehr Einfluss schreibt Carola Niemann, Chefredakteurin des „The Curvy Magazine“, Frauen- und Modemagazinen zu. „Ich finde schon, dass man sehr viel machen kann. Man bricht Sehgewohnheiten und in dem Moment, wo eine solche geändert wird, gesundet auch der Mensch.“ In ihren Augen sei die Bezeichnung „divers“ in der Modeindustrie noch mehr Marketingtool als moralischer Wert. „Unser Magazin besteht beispielsweise seit 2018 und hat sich seit damals auf die Repräsentation von kurvigen Frauen spezialisiert. Wir sind bis heute die einzigen im deutschsprachigen Raum. Das finde ich in der heutigen Zeit erschreckend“, sagt sie. 

Sie sehe diese Beobachtung auch in der Suche bei Marketinggeldern wieder. Oft bekomme sie eine Absage, weil Unternehmen „momentan nicht einmal eine Kampagne in diese Richtung“ hätten. Für Niemann eine vollkommen unverständliche Antwort: „Ich habe oft kurz davor Kampagnen von ihnen gesehen. Was heißt dann ‚keine Kampagne in diese Richtung‘? Keine Kampagnen für Frauen? Denn was ich mache ist ja nichts anderes außer Frauen und Schönheit, Pflege, Kosmetik oder Schmuck. Es geht um reguläre Frauen.“ 

In vielen Bereichen sehe sie keine Notwendigkeit für Differenzierungen. Auf die Frage, ob sie bei Werbekunden auf eine bestimmte Einstellung zum Thema Diversität achtet antwortet Niemann: „Nein. Natürlich ist es bei Kleidung wichtig, dass die entsprechenden Größen produziert werden und kurvige Frauen diese Teile auch kaufen und tragen können. Ich sehe aber bei Schuhen, Schmuck, Handtaschen, Waschmaschinen, etc. keinen Grund zu differenzieren. Curvy Frauen sind ganz normale Konsument*innen.“ 

Jede Frau ist schön 

Carola Niemann habe auch an die Models mit denen sie arbeitet keine besonderen Anforderungen. Sie arbeite mit Models ab Kleidergröße 44 – Haarfarbe, Herkunft, Alter egal. „Es kommt immer darauf an, was gerade zur Story passt. Bei einer Schwarz-Weiß-Strecke würde ich eher mit dunkelhaarigen Frauen arbeiten, bei einem Mustermix suche ich mir vielleicht eher ein rothaariges Model, einfach, weil ich das cooler finde“, erklärt sie.  

„The Curvy Magazine“ arbeitet aber nicht nur mit professionellen Models, sondern auch mit Bloggerinnen und Leserinnen. „Ich bin der Meinung, dass jede Frau schön ist“, sagt die Chefredakteurin. Sie wolle ihren Leserinnen damit zeigen, dass es in Hochglanzmagazinen wie ihrem ein ganzes Team gebe, dass sich stundenlang um Harre und Make-Up kümmere und das optimale Licht vorhanden sei. „Da fühlt sich jeder Mensch wunderschön, wenn du von einem ganzen Team betreut wirst und dann nur noch vors Scheinwerferlicht gehen musst. Egal ob Model, Blogger oder Normalo.“, sagt Niemann. 

Auch in dieser Kategorie gilt: es gibt keine spezifischen Anforderungen an die Frau. Niemann erklärt ihrem Umgang mit Diversität, die über Kleidergrößen hinaus geht, folgendermaßen: „Ob diese Frau 60 oder 16 ist, das ist mir egal. Ob sie eine schwarze Frau ist oder eine andere Ethnie hat, das ist mir egal. Ob sie jetzt blond ist oder nicht, das ist mir egal. Wir denken nicht viel darüber nach, wie viel Prozent man wovon braucht um die perfekte Mischung zu haben, wir gehen eher selbstverständlich damit um.“ Dementsprechend habe sich auch nie eine scharfe Zielgruppe für sich festgelegt; „Ob die Leser*innen angesprochen fühlen überlasse ich ihnen und nicht irgendeiner Marketingstrategie. Welches Alter sie haben ist für mich da eigentlich nebensächlich.“ 

Kritiker und Vorurteile 

„The Curvy Magazine“ müsse sich auch immer wieder mit vorurteilsbehafteter Kritik auseinandersetzen. „Kritiker sagen, dass ich einen ungesunden Lebensstil fördere“, sagt Carola Niemann. Diese Aussage erstaune sie immer wieder. Modemagazine gebe es bereits viele Jahrzehnte und haben Frauen jahrelang mit dem Ideal der Figur eines 14-jährigen Mädchens krank gemacht. „Ich rufe Frauen ja nicht dazu auf, maßlos zu sein und alle gesundheitlichen Aspekte über Board zu werfen. Mir ist die mentale Gesundheit der Frauen und Akzeptanz wichtig“, erklärt Niemann. 

Unsere fettfeindliche Gesellschaft und der Perfektionismus, den Frauen haben sollten, sind Themen, die sie bearbeite und bei denen sie für Kritik auf offen sei. Sie könne allerdings nicht sagen, ob eine Frau mit Kleidergröße 48 gesundheitlich fit sei. Das könne nur der Arzt. „Es gibt auch viele schlanke Frauen die krank sind. Hier geht es wieder nur um ein Vorurteil. Das beste Beispiel dafür, dass es auch bewegungsfreudige dicke Frauen gibt, sind Künstlerinnen wie Lizzo und ihre Tänzerinnen die ‚Big Girls‘. Sie tanzen eine komplette Tour durch und sind auch ohne Sixpack fit, lustig und voller Power“, sagt sie.  

Hier gebe es noch Bedarf zum Umdenken, wobei man wieder auf die Sehgewohnheiten zurückkommen kann. Je mehr man etwas in der Öffentlichkeit sehe, umso entspannter wird man und höre auf, die Probleme bei sich selbst zu suchen. „Wenn ich eine Jeans kaufen gehe und nicht hineinpasse, dann muss nicht ich ins Fitnessstudio gehen und 15 Kilo abnehmen, nur um in diese Hose zu passen. Die Modeindustrie muss eine Jeans herstellen, die ich kaufen kann. Es ist eine andere Denkweise zu sagen, es liegt nicht an mir, sondern am falschen Angebot. Man muss sich nicht zwangsläufig verändern, wenn man sich gerade wohlfühlt“, erklärt Carola Niemann. „Aber im Moment, wenn ich die Jeans kaufen will fühle ich mich nicht mehr wohl und das ist eine gefährliche Spirale, in die sich viele Frauen hineinentwickeln. Sie sind mit sich unzufrieden und entwickeln Essstörungen, Depressionen, etc.“ 

Die ideale Zukunft 

Sowohl Carola Niemann als auch Michaela Strachwitz sind sich einig: Diversität und vielfältige Darstellungen müssen zur Normalität werden. „Es geht einfach nicht mehr ohne. Man kann nicht mit Scheuklappen durch die Welt gehen“, sagt Strachwitz. „Die Message der starken Frau muss im Vordergrund stehen. Es kann uns muss alles geben und wir sollten uns gegenseitig stärken.“ Auch Carola Niemann fordert mehr Diversität, gerade in Medien: „Egal ob im Fernsehen bei Moderationen, in Magazinen oder in Filmen, ich wünsche mir eine Mischung, so wie ich sie in meiner Umgebung auch wahrnehme. Dicke Frauen sollten zum Beispiel auch in Filmen das Love Interest sein und generell positiver dargestellt werden.“ Sie ortet auch im Abbau von Vorurteilen noch Bedarf: „Ich wünsche mir, dass sie einfach weg sind. Dass dick oder fett kein Schimpfwort mehr ist, sondern einfach eine Beschreibung, ohne jemanden abzuwerten.“ Die Wünsche für die Zukunft sind also klar: Diskussionen um das Thema Diversität müssen endlich obsolet werden, denn es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, sie zu praktizieren.

Von Mavie Berghofer

Bild-Copyright: unsplash.com/@gemmachuatran