Telegram als Plattform zur Radikalisierung?

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Telegram ist ein Instant-Message Dienst und der unterscheidet sich in seinen Grundfunktionen gar nicht so sehr vom altbekannten zuckerberg‘schen WhatsApp. Dennoch liegt ein gewisses Etwas über Telegram, einerseits Berichte über die bessere Verschlüsselung der eigenen Daten und andererseits die Anonymität, mit der die Plattform wirbt. Immer wieder kursieren mediale Berichte über politisch extrem ausgerichtete Kanäle, die Telegram zur Kommunikation aber auch als Plattform für die Verbreitung ihre Inhalte nutzen. Ein in Österreich medial oft aufgegriffenes Beispiel wäre der Kanal Jenny Klaus TV. Was steckt dahinter? Wie viel ist dran an dem Mythos um den Messenger?  

von Martin Zimmermann

Der digitale Nomade 

Denkt man an Facebook so kommt einem wohl ziemlich schnell ein bestimmter Mann in den Kopf: Mark Zuckerberg. Er verkörpert die Marke wie kein zweiter, steht auch für den Misserfolg und für die Kritik in der Öffentlichkeit, der sich sein Unternehmen in den letzten Monaten aussetzen musste. Doch nach dem Telegram-Zuckerberg sucht man eher vergeblich. Der Gründer des Messenger Dientes heißt Pawel Durow, gibt nur sehr selten Interviews, bezeichnete sich in der Vergangenheit selbst als digitalen Nomaden und lebt, zumindest zeitweise, mit seinem Team in Dubai. Russland kehrte er den Rücken zu – und das wohl nicht ganz freiwillig. Im Jahr 2006 gründete er dort mit seinem Bruder das soziale Netzwerk Vkontakte.ru, das heute als vk.com vor allem in Ex-UdSSR Staaten, aber zunehmend auch in Deutschland, enorm populär ist. Durow machte im Jahr 2014 Millionen mit dem Verkauf seiner Anteile am Unternehmen, wohl eine Reaktion auf Druck durch den Kreml. Denn vk.com und später auch Telegram boten Kritker:innen des russischen Regimes eine Plattform, ein Faktor der zweifelslos zu Durows Image des Freiheitskämpfers beiträgt. 

Telegram wurde im Jahr 2013 von Durow nach eigenen Angaben in Berlin gegründet und gehört heute zu den beliebtesten Apps weltweit. Funktional gibt es einige Unterschiede zur Konkurrenz. Die Kommunikation in Privatchats und Gruppen etwa kann auch unter einem gewählten Nutzernamen erfolgen, die verknüpfte Telefonnummer bleibt für die Gesprächspartner somit anonym. Auch gibt es die Option „geheim“ zu chatten, hierbei werden die privaten Chats ausschließlich verschlüsselt auf den beiden Endgeräten gespeichert. Chats, die diese Funktion nicht erfüllen, können von Telegram allerdings nach wie vor entschlüsselt werden, meinte die Medieninformatikerin Marianne Westenthanner im Oktober 2022. 

Islamismus, Rechtsextremismus und Verschwörungstheorien 

Seit 2015 positioniert sich die Telegram aktiv gegen die Verbreitung islamistischer Inhalte auf der Plattform, damals vor allem in Zusammenhang mit dem sogenannten Islamischen Staat. Doch auch heute scheint das Thema islamistischer Hassbotschaften, die über den Messenger Verbreitung finden nicht vom Tisch zu sein. Die deutsche ministeriumsnahe Plattform Jugendschutz.net schrieb in ihrem Bericht 2022 von dschihadistischen Gruppen auf Telegram. Drastische Gewaltdarstellungen und Homophobie stünden nach wie vor auf der Tagesordnung. Die Verfasser:innen der Postings würden auf weniger Regulierungen als bei gängigen sozialen Netzwerken hoffen. Man will ein junges Publikum erreichen. Auch Hakenkreuze und Holocaustleugnung würden von Telegram nicht verbannt werden, so ein Bericht aus dem Jahr 2020, dem Jahr in dem auch die sogenannte Coronaleugnerszene die Plattform begann aktiv für die Verbreitung ihrer Inhalte zu nutzen. Von Demomobilisierungen bis zur Veröffentlichung sogenannter Feindeslisten inklusive Gewaltandrohungen gegen die betroffenen Personen, berichtet Die Presse 2022. Die Kanäle des rechtsextremen Aktivisten Attila Hildmann wurden 2022 von Telegram gelöscht, Mordfantasien würden andere weiterhin veröffentlichen. 

Screenshot aus einem Telegram-Kanal, selbst angefertigt 

Don’t shoot the messenger? 

Telegram gilt als attraktiv für das einfache Senden von Nachrichten an eine Vielzahl von (fremden) Menschen. Einer Gruppe könnten, laut Eigenangaben, bis zu 200.000 Leute folgen, ein Kanal kann von unbegrenzt vielen Nutzer:innen abonniert werden. Das wurde in der Vergangenheit nicht nur von Verschwörungstheoretiker:innen genutzt, sondern auch etwa in Zuge der Proteste in Hong-Kong 2019/20 gegen das chinesische Regime. Nachrichten erreichen mit einem Klick zehntausende Menschen, ein Grund beispielsweise für den Iran, Telegram 2018 komplett zu verbieten. In Europa würde eine Zensur der Plattform kaum möglich sein. Doch gerade die starke Präsenz öffentlicher Gruppen macht auch Telegram keineswegs zu einem rechtsfreien Raum. In der Vergangenheit wurden bereits Hausdurchsuchungen anhand von Telegram Chats angeordnet und kriminelle Aktivitäten von der Polizei frühzeitig erkannt. Telegram fungiert als Übergangsmedium, das auf Grund seiner genannten Funktionalitäten gute Rahmenbedingungen für Radikalisierung bieten kann, da sind sich Extremismusforscher:innen einig. Die Plattform per se zu verteufeln oder vollständig zu verbieten wäre langfristig keine Lösung, alternative Plattformen wären früher oder schneller gefunden, sie existieren auch heute bereits. Ursachen für Radikalisierung können breit gefächert sein. Fehlendes Vertrauen in die Politik und der Wunsch nach einem starken Führer sind nur zwei der jüngsten Umfrageergebnisse in Österreich. Die globale Verbreitung von radikalen Inhalten im Internet von heute auf morgen zu stoppen wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Radikale Tendenzen in der Gesellschaft früh zu erkennen und seitens der Politik zu handeln, bevor es zu Hassbotschaften und Morddrohungen, wie zuletzt gegen Lisa-Maria Kellermayr, wäre allerdings dringend notwendig – besser heute als morgen.

Über den Autor

Copyright: Martin Zimmermann

Martin Zimmermann ist Student des Bachelorstudiengangs Medienmanagement an der FH St. Polten. Als Ausbildungsschwerpunkte hat er Contentmanagement, Strategisches Management sowie Praxislabor Online gewählt. Sein Erasmus-Semester verbrachte er im WS 2021/22 an der Avans University of Applied Sciences in ’s-Hertogenbosch, Niederlande.