„Guten Abend zur ZiB2“. Eine Glocke läutet, „Hier ist das Erste deutsche Fernsehen“.
Anmoderationen der wichtigsten Nachrichtensendungen im deutschsprachigen Fernsehen. Sind sie nach wie vor führend in puncto Agenda Setting? SUMO diskutierte über deren Rolle mit Tanja Köhler, Professorin für Digitalen Journalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, und Matthias Schrom-Kux, Chefredakteur von ORF 2.
Die erste „Tagesschau“ bestrahlte am 26. Dezember 1952 nur wenige Zuseher*innen in Deutschland. Die Idee dahinter war es, Nachrichten für das Fernsehen und nicht für das Kino zu produzieren. Zu Beginn wurde sie dreimal pro Woche gesendet, am folgenden Tag wurde sie jeweils wiederholt. Die erste „Zeit im Bild“ in Österreich wurde erst am 5. Dezember 1955 ausgestrahlt. Diese wurde sehr schnell zu einem der beliebtesten Programme des neuen Mediums. Vorbild für die Sendung war die Nachrichtensendung „Nine O’Clock News“ der „BBC“. Der Name geht auf den Fernsehjournalisten Teddy Podgorski zurück. 1975 wurden die Nachrichten um die „Zeit im Bild 2“ ergänzt. Diese wurde unter dem Titel „Zehn vor zehn“ bis 1984 gesendet. Ab den 2000ern wurden diverse „Spin-off“ aufgesetzt – etwa „newsflash“ oder „ZIB20“. Warum? Nachrichten sind das härteste Geschäft, ein teures – und für öffentlich-rechtliche Sender die Hauptlegitimation. Und zu legimitieren bedeutet sich zu behaupten, eben öffentlich und rechtlich. Das kommt teuer.
Der privat-kommerzielle Konkurrent „PULS 24“ startete Mitte 2019 in der App „ZAPPN“. Dieser wurde als Pop-up-Kanal für Breaking-News-Inhalte geplant. Ende 2019 verkündete das Unternehmen, dass der Sender via Antenne, Kabel und Satellit ohne Zusatzkosten verbreitet werde, Bundespräsident Van der Bellen drückte den roten Startknopf. Das Alleinstellungsmerkmal: 24 Stunden, 7 Tage die Woche live. Auch Zeitungsverlage – 1964 initiierten sie ein Volksbegehren gegen den Rundfunk-Proporz (und für eine Liberalisierung) – setzten nach, vor allem im Boulevard-Segment. Warum aber im Nachrichten-Segment?
Das Zusammenspiel von Nachrichtenarten und -vorbereitung
Das wichtigste Kriterium für die Verständlichkeit von Medieninhalten ist die Sprache. Schrom-Kux sowie Köhler erwähnen, dass seit dem Beginn der Corona-Pandemie deutlich geworden sei, wie wichtig der Zugang zu journalistischen Informationsangeboten ist. Köhler betont, dass die Verständlichkeit im Auge der/s Rezipientin/en liege. Deshalb hätten in den letzten Jahren Konzepte der Leichten und Einfachen Sprache an Bedeutung gewonnen. „Leichte Sprache“ wendet sich an Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Lernschwierigkeiten, „Einfache Sprache“ an Menschen mit geringen Kenntnissen der Mehrheitssprache sowie geringer Lese- und Schreibkompetenz. Die Anzahl dieser potentiellen Nutzer*innen sei nicht zu unterschätzen. In Österreich sind es bis zu eine Million Menschen, in Deutschland laut der LEO-Studie der Universität Hamburg 15 Millionen. Nachrichten in leichter und einfacher Sprache sorgen für stärkere Diversität im Journalismus. Aber zu welchen Nachrichten?
Köhler erklärt, dass es in der Medien- und Kommunikationswissenschaft unterschiedliche Theorien gibt, die erklären, warum aus einem Ereignis eine Nachricht wird. Eine davon sei die Nachrichtenwerttheorie. Diese habe unterschiedliche Merkmale zusammengetragen, die verantwortlich dafür seien, ob ein Ereignis zu einer Nachricht wird. Je stärker diese Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto höher ist der Nachrichtenwert und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es für die Nachrichten ausgewählt wird. Die Nachrichtenaufbereitung gehe allerdings weit über die Nachrichtenfaktoren hinaus, Faktentreue oder fundierte Recherche spielten beispielsweise ebenso eine Rolle, so Köhler. Zudem ginge es bei der Nachrichtenproduktion zwar immer auch um Schnelligkeit, wichtiger aber sei Genauigkeit. Denn Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien schneller verspielt als aufgebaut.
Köhler weist darüber hinaus darauf hin, dass es ein Mythos sei, vom Journalismus als Talentberuf zu sprechen. Journalismus sei ein Handwerk, welches man erlernen könne, sonst würde es keine Journalistenschulen geben. Insofern sei auch der Nachrichten-Journalismus erlernbar. Nachrichten im TV und Radio seien übrigens auch von der Sendezeit abhängig, betont die ehemalige stellvertretende Nachrichtenchefin des Deutschlandfunks. Bei TV-Nachrichten sei darüber hinaus das Zusammenspiel von Text und Bild ein wesentlicher Faktor. Auch Schrom-Kux betont, dass das Bild den Text unterstützen müsse. So soll der Text Eindeutigkeit schaffen, und somit keine Irritation entstehen.
Ethik und Wagnisse
Im ORF 2 unterscheidet man zwischen der „Zeit im Bild 1“ und der „Zeit im Bild 2“. „ZIB1“ sei laut Schrom-Kux tagesaktuell: Einordnungen, Analysen, sowie Korrespondentenschaltungen sind vor allem hier zu finden. Die „ZiB2“ ist von der Sendezeit länger und tiefgründiger. Im Unterschied zur „ZiB1“, wo es sieben bis acht Beiträge gebe, spiele man nur vier Beiträge aus. Der Kern der „ZiB2“ sei ein langes Interview. Schrom-Kux erwähnt dazu auch ein Beispiel: Bei einer Lawinenkatastrophe erfährt man in der „ZiB1“, was passiert ist. In der „ZiB2“ hingegen werde darauf eingegangen, warum es Lawinenabgänge gibt. Generell jedoch sei die besondere ethische Verantwortung zu bedenken. Ein Beispiel sei der Terroranschlag vom 2. November 2020. Einige Nachrichtenplattformen veröffentlichten Videos währenddessen, der ORF hatte sich dagegen entschieden. Man diskutiere abwägend und entscheide hernach.
Ein anderes, technologisch wie ökonomisches Wagnis für den ORF war die Erstellung eines „TikTok“-Kanals. Er solle als neue Informationsquelle für die jungen Menschen im Land werden. Diesem folgen 22% der 16- bis 24-jährigen in Österreich. Wird es funktionieren? Die Zukunft von TV-Nachrichten kann niemand voraussehen, im Zuge des Interviews hat Prof. Köhler jedoch eine Prognose gewagt. Mediennutzung und damit auch die Nachrichtennutzung verlagere sich zunehmend ins Digitale, also Nicht-lineare. Immer mehr Personen informieren sich im Netz und in den Sozialen Medien über aktuelle Ereignisse. Gleichwohl: Traditionelle Produkte seien noch immer erfolgreich und haben eine große Reichweite. Die Tagesreichweite der „Zeit im Bild1“ beträgt 1,4 Millionen, von „PULS 24“ 264.000. Auch in Deutschland wird die 20 Uhr Ausgabe der „Tagesschau“ immer noch von Millionen Menschen im linearen TV gesehen. Die Herausforderung für Medienunternehmen sei daher, so Köhler, einerseits bestehende reichweitenstarke Formate nicht zu vernachlässigen, andererseits flexibel auf den Wandel der Nachrichtennutzung zu reagieren. Für junge Menschen seien Soziale Medien DER Ort, um mit Nachrichten in Kontakt zu kommen. Deshalb müssten Medienunternehmen dorthin gehen, wo sich ihre Zielgruppen aufhalten. Auch hier diene die „Tagesschau“ als gutes Beispiel, da sie es geschafft habe, sehr erfolgreich auf unterschiedlichen Drittplattformen, wie „Instagram“, „YouTube“ oder „TikTok“ neue Nachrichtenformate zu etablieren.
Junge Menschen haben eine andere Erwartungshaltung an Nachrichtenangebote. Aber sie erwarten – und nutzen sie.
von Isabella Steiner
Bild-Copyright: adobe.stock/hakinmhan