Wer heutzutage stirbt, ist nicht tot – denn: Das Internet vergisst nicht. SUMO sprach mit dem Medienjuristen Thomas Höhne über digitalen Nachlass.
November 2016: Die „Instagram“-Seite der deutschen TV-Moderatorin Miriam Pielhau zeigt dutzende Bilder einer Toten – ihr selbst. Auf dem „Twitter“-Account des Journalisten Frank Schirrmacher findet sich kein Hinweis, dass dieser vor mehr als zwei Jahren gestorben ist. Tausende Verstorbene leben im Internet weiter. Was online von uns übrigbleibt, wenn wir sterben, nennt man digitalen Nachlass.
Tot ist nicht gleich tot
Eine allgemein gültige Definition, was unter den Begriff digitaler Nachlass fällt, gibt es nicht. „Nachlass ist alles an Vermögen, Rechten und Pflichten, die ein Verstorbener zurücklässt. Digitaler Nachlass ist also das, was davon digital vorhanden ist“, so die juristische Definition laut Thomas Höhne, Partner der Kanzlei Höhne, In der Maur & Partner. Dazu zählen Social Media-Accounts, E-Mail-Konten, Dateien auf Festplatten. Unterschieden wird zwischen materiellem und immateriellem digitalen Nachlass, entscheidend ist die Aufbewahrungsform der Daten: Daten, die auf USB-Sticks, Festplatten oder ähnlichen Medien gespeichert sind, werden zum materiellen digitalen Nachlass gezählt, da sie ein physischer Bestandteil eines Mediums sind. Sie sind nicht nur rein elektronisch vorhanden, sondern auch verkörpert. Unter immateriellem digitalen Nachlass versteht man Daten, die auf externen Servern gespeichert wurden, dem Erblasser also nicht unmittelbar zuordenbar sind. „Facebook“-Profile, „YouTube“-Kanäle oder „Parship“-Accounts sind nur einige Beispiele dafür.
Fest steht, dass ein Mensch, der Social Media nutzt eine Unmenge an Daten im Internet hinterlässt. Aber „auch ein Mensch ohne Social Media-Aktivitäten, hinterlässt eine digitale Spur“, so Höhne: Mail-Accounts, Video-on-Demand-Abonnements, Cloud-Dienste und Online-Bezahlsysteme sind verantwortlich dafür, dass von jedem im Netz tätigen Mensch Relikte verbleiben.
Das Erben digitalen Nachlasses
Was geschieht mit den digitalen Überresten einer verstorbenen Person? Sofern nicht im Vorhinein geregelt ist, was mit dem Nachlass geschehen soll, sieht der Paragraph 801 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs die Gesamtrechtsnachfolge vor: Gemäß diesem erhält der Erbe bzw. die Erbin den gesamten Nachlass „in einem Akt“ eingeantwortet. Ob der oder die Verstorbene gewollt hätte, dass ErbInnen Zugang zu privaten Konten bekommen, sei dahingestellt. Immerhin antworteten bei einer Umfrage des Portals „futurezone“ auf die Frage, ob man den digitalen Nachlass geregelt hätte, 50,6% mit „Nein“ und 45,8% mit „Wie geht das?“. Bloß 3,6% haben sich folglich mit ihrer digitalen Hinterlassenschaft auseinandergesetzt.
Ist man nun Erbe oder Erbin, stellt sich die Frage des Zugriffs auf Accounts. Gelangen die ErbInnen, über Aufzeichnungen oder automatische Logins, an die Zugangsdaten, dürfen sie diese auch benutzen. Intime Nachrichten, private Fotos und ähnliches werden dadurch für die Hinterbliebenen sichtbar. Thomas Höhne vergleicht dies mit dem Vorfinden von Liebesbriefen in der Wohnung des oder der Verstorbenen. Ähnlich wie Chatnachrichten seien diese nicht für Dritte gedacht, jedoch könne man dagegen wenig unternehmen.
„Nicht das ganze Leben lässt sich juristisch erfassen“
Hat man als Hinterbliebene/r aber keine Einsicht in die Onlineaktivitäten des oder der Verstorbenen, kann dies schnell zu Problemen führen. So werden etwa Zeitungsabonnements weiterhin bezahlt oder Beiträge auf der Pinnwand gepostet. Rechtlich gesehen gibt es keine eindeutige Regelung, wie Höhne erklärt: „Erbrecht und Telekommunikationsgesetz widersprechen sich in bestimmten Aspekten: Ob etwa ein Telekommunikationsanbieter ErbInnen Zugang zu Daten gewähren muss, ist bislang eine offene Frage.“ Auch Urheberrecht und Persönlichkeitsrecht müssen berücksichtigt werden, wenn es um die gesetzliche Regelung von digitalem Nachlass geht.
Trotz der Aktualität gibt es in Österreich bis dato keine Gesetzesnovellen zu diesem Thema. „Nicht das ganze Leben lässt sich juristisch erfassen. Sobald wird sich an den Gesetzen nichts ändern“, vermutet Höhne. Das Problem dabei sei, dass ein neues Gesetz zu dieser Problematik anderer rechts-normierter Bereiche (z.B. Telekommunikationsgesetz) allzu stark tangiert und somit auch letztere einer Überarbeitung bedürfen.
Das Geschäft mit dem Tod versus Recht auf Vergessen
Im Gegensatz zur regulären Bestattung ist jene der digitalen noch relativ unbekannt. Früher mussten Tote nur rein physisch begraben werden – heutzutage gilt es, das digitale Leben auch noch zu bestatten. Mittlerweile haben auch Unternehmen die Bedeutung des digitalen Todes wahrgenommen. So bietet seit Oktober 2016 eine Tochtergesellschaft der „Wiener Städtischen“ einen „Digitalen Nachlass Service“. Dieser beinhaltet das Auffinden von Accounts, Blogs, aber auch Verträgen, die online abgeschlossen worden sind. Für KundInnen dieser Versicherung beträgt der Zusatzservice abhängig von Alter und Prämienzahlungsdauer zwischen 1,40 € und 1,90 € pro Monat.
Nur sehr wenige Menschen sind sich der Tatsache bewusst, dass man im Laufe seines Lebens ein zweites, digitales Leben aufbaut, welches nicht automatisch „mitstirbt“. Dies macht einen Gedankenexperiment des Statistikers Hachem Saddiki deutlich: Da „Facebook“ die Profile von Toten nicht löscht, nimmt er an, dass im Jahr 2098 die Zahl der toten „Facebook“-Mitglieder die der lebenden User des sozialen Netzwerks übersteigt.
Die Relevanz wird in den nächsten Jahren steigen, denn mehr und mehr Menschen, die sterben, hatten ein digitales Leben. Ungeachtet dessen, welches digitale Dasein der/die Tote geführt hat, sollte jeder/jede das Recht haben, vom Internet vergessen zu werden. Der Tod ist ein Problem der Lebenden, nicht der Toten.
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