Warum den Norweger*innen Online-Journalismus Geld wert ist

In vielen Ländern weltweit ist die Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten gering. Jedoch zeigen Zahlen aus Norwegen, dass es auch anders geht. SUMO sprach mit Tim Groot Kormelink, Assistenzprofessor an der Vrije Universiteit Amsterdam, und Jens Barland, außerordentlicher Professor am Kristiania University College in Oslo, über mögliche Gründe und Lösungen.

von CLEMENS GANTNER

Tageszeitungen sind auf die Zahlungen von Konsument*innen für ihr Online-Angebotangewiesen. Der Digital News Report, ein jährlicher Bericht über die Lage von online abrufbaren News auf der ganzen Welt, zeichnet dazu ein wenig vielversprechendes Bild. Eine Analyse von zahlreichen Ländern, darunter die USA, Deutschland und Österreich, ergibt eine insgesamt bescheidene Zahlungsbereitschaft. Lediglich in den nordischen Staaten Schweden und besonders Norwegen zahlt ein höherer Teil der Befragten für Online-Nachrichten. Wie kann das sein?

Der norwegische Weg

Antworten auf diese Frage hat Tim Groot Kormelink, der zu Forschungszwecken in Norwegen war. Aus seiner Sicht sticht vor allem ein kultureller Aspekt heraus: „Norwegen hat eine Kultur, in der man für Nachrichten zahlt. Eine Erklärung dafür ist, dass sie nie free-sheets – also Gratiszeitungen – hatten. Sobald man diese Gratismentalität verinnerlicht hat, ist das sehr schwierig umzukehren. Quasi das Gleiche ist in der Musikindustrie passiert.“ Noch dazu sei die Zeitungslandschaft in Norwegen sehr regional ausgerichtet. In den vielen ländlichen Städten und Dörfern würden die Leute ein höheres Bedürfnis verspüren, sich über ihre Region zu informieren. Andererseits hebt Groot Kormelink die frühen Bemühungen norwegischer Nachrichtenorganisationen im Zuge der Digitalisierung hervor: „Also wurde bereits sehr früh, viel an guter Forschung von den Nachrichtenmedien selbst durchgeführt und mit verschiedenen Strategien experimentiert.“

Doch auch die politische und geschichtliche Ebene des Landes ist bei dieser Thematik nicht zu unterschätzen. Jens Barland ist derzeit als außerordentlicher Professor in Oslo tätig und war zuvor knapp 20 Jahre lang in der Medienbranche beschäftigt. Für ihn spielt das Demokratiebewusstsein, welches in der Bevölkerung der skandinavischen Länder tief verankert ist, eine entscheidende Rolle: „Wir haben über Generationen hinweg eine gut funktionierende Demokratie mit vielen, diversen Medien gehabt. In gewisser Weise haben die Leute die Erfahrung gemacht, dass sie den Medien vertrauen können. Dieses Vertrauen über Generationen hinweg ist entscheidend.“ Konträr dazu hätten beispielsweise einige osteuropäische Länder, die lange Zeit undemokratisch geführt wurden, oftmals einen geringeren Anteil an vertrauenswürdigen Nachrichtenquellen. Besonders problematisch seien in diesem Zusammenhang Seiten im Internet, welche durch ihre Beiträge den Eindruck einer gewöhnlichen Nachrichtenseite vermitteln, jedoch Fake News und Desinformation verbreiten würden.

(K)eine heile Welt?

Ist Norwegen also eine Insel der Seligen für den Online-Journalismus? Nicht, wenn es nach Jens Barland geht: „Sie sind in Schwierigkeiten. Und sie sind schon all die Jahre zuvor in Schwierigkeiten gewesen.“ Ein Umstand, den er in einer von ihm mit zwei Kolleginnen publizierten Arbeit namens „Do Small Streams Make a Big River? Detailing the Diversification of Revenue Streams in Newspapers’ Transition to Digital Journalism Businesses“ verdeutlicht. Denn auch der norwegische Nachrichtenmarkt kann sich gewissen Entwicklungen nicht entziehen. So gingen die Print-Werbeumsätze norwegischer Zeitungen im Zeitraum von 2006 bis 2019 um 65% zurück. Ein ähnliches, wenn auch nicht ganz so dramatisches Bild zeigt sich bei den Einnahmen durch Print-Abonnements. Entwicklungen, welche jenen vieler anderer Länder nahekommen und auch in Norwegen nicht durch den Online-Markt allein kompensiert werden können.

Insgesamt verzeichnet die norwegische Zeitungsindustrie mit den zusätzlichen Einnahmen durch das Online-Geschäft weniger Erlöse als zu Hochzeiten des Print-Geschäfts. Ein Grund dafür ist der stark umkämpfte Werbemarkt im Internet. Große Player wie Google, Facebook oder YouTube würden, Barland zufolge, den Großteil des Werbevolumens beanspruchen. „Das bedeutet, dass das Geschäftsmodell so entwickelt werden muss, dass es mehr auf Einnahmen durch die Leser*innen basiert“, so der Experte. Tatsächlich sind die norwegischen Zeitungen sehr gut darin, Print-Abonnements in Online-Abonnements zu konvertieren. Ein bedeutender Erfolg, der sich in einem starken Anstieg bei den Umsätzen durch digitale Abonnements widerspiegelt. Diese machten 2019 knapp 24% der Erlöse durch die Leser*innen aus. Wobei Barland darauf verweist, dass die eigentliche Zahl an Abonnent*innen nicht unbedingt steigt, sondern die Preise Jahr für Jahr merklich angehoben würden. Dennoch konnten die norwegischen News-Organisationen damit ihre Abhängigkeit von einem erfolgreichen Print-Geschäft verringern.

Wer zahlt denn für News?

Die digitale Stärke norwegischer Zeitungsverlage spiegelt sich in Erhebungen wider, die sich mit Zahlungen für Online-News beschäftigen. Laut einer Umfrage des bereits angesprochenen Digital News Reports aus dem Jahr 2024 zahlen 40% der norwegischen Befragten für Online- Nachrichten. Zum Vergleich: Der Durchschnitt über 20 Länder hinweg liegt bei 17%. Österreich verzeichnet mit 14% dabei einen Platz im Mittelfeld, schneidet aber leicht besser ab als Deutschland (13%).

Allerdings ist es für Nachrichtenorganisationen auch essenziell, zu verstehen, welche sonstigen Faktoren zu dieser niedrigen Zahlungsbereitschaft beitragen und welche Maßnahmen gesetzt werden können. Es kommt nicht überraschend, dass wohl der Preis selbst den größten Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft der Leser*innen hat. Groot Kormelink fand in seiner Studie „Why people don’t pay for news: A qualitative study“ jedoch heraus, dass einige Personen in den Niederlanden nicht ausreichend über die Preise digitaler Abonnements informiert seien und deren Preise tendenziell überschätzten, was die Problematik zusätzlich befeuere.

Ebenso unzufriedenstellend für Nachrichtenmedien ist das Konsumverhalten der Generation der 18– 29-Jährigen. Dazu formuliert der Experte für Journalistik folgenden Befund: „Vor allem junge Leute besitzen eine sogenannte „news find me“-Wahrnehmung. Das bedeutet, dass sie das Gefühl haben, dass die wichtigsten Nachrichten sie erreichen, auch wenn sie nicht spezifisch danach Ausschau halten. Wenn Personen nicht das Gefühl haben, aktiv nach Nachrichten suchen zu müssen, dann ist es nicht überraschend, dass sie nicht unbedingt dafür zahlen wollen.“

Eine Spur Zuversicht

Doch welche Strategien sollten Nachrichtenorganisationen anwenden, um hier gegenzusteuern? Ein Stichwort ist Diversifikation: Die Möglichkeiten der Gestaltung von Online-News-Seiten sind vielfältig. Ein gutes Beispiel dafür ist die New York Times, welche neben klassischen Nachrichtenformaten Spiele oder auch Kochrezepte auf ihrer Seite anbietet. Grundsätzlich wichtig sei, dass ein zusätzlicher Wert für die Leser*innen entstehe. Ebenso seien kurzfristige Investments, um eine Bindung zu vor allem jüngeren Konsument*innen im Internet herzustellen, sehr lohnenswert, so Groot Kormelink.

Aus Jens Barlands Sicht wird die Zukunft der Branche vor allem von einem geprägt: Engagement.  Dabei sieht er Parallelen zu den Geschäftsmodellen der Sozialen Medien: „Man betreibt es als digitalen Service. Nicht gleich, aber ähnlich, wie Social Media mit Algorithmen arbeitet. Das bedeutet, dass man Daten sammelt, wodurch man viel über die Leser*innen weiß.“ Dadurch könnten die Anbieter Profile ihrer Kund*innen erstellen und wüssten genau, welcher Content zu Engagement führt. Jedoch: „Man sollte sich nicht nur auf Kundenwünsche fokussieren, denn das ist nicht Journalismus. Man muss sicherstellen, dass eine journalistische Dienstleistung dem Leser Qualität vermittelt. Das Wichtigste ist, dass man das überprüft und dann erst Inhalte für ein höheres Engagement bereitstellt. Die Rezipient*innen müssen dem Content vertrauen können. Das ist der Kern von Journalismus.“

Schlussendlich sei es die große Herausforderung des Online-Journalismus‘, dass sich qualitativ hochwertige Nachrichtenquellen von weniger vertrauenswürdigen Seiten abheben und nicht das Vertrauen der Leser*innen verlieren, erklärt Barland. Einigermaßen optimistisch erweist sich der Blick von Tim Groot Kormelink in die Zukunft. Er geht zwar von erneuten Einbußen der Branche im Print-Geschäft aus, rechnet aber dafür mit einer leichten Steigerung bei der Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten. Schlussendlich gebe es immer eine gewisse Zahlungsbereitschaft für Nachrichten: „Ich denke, solange die Welt so komplex bleibt und Leute das Bedürfnis haben, die Welt um sie herum zu kennen und zu verstehen, wird es immer eine Bereitschaft, für Nachrichten zu zahlen, geben.“

Tim Groot Kormelink | Copyright: privat
Jens Barland |Copyright: Kristiania University College