Wenn Verbalisierung schwerfällt – Wie digitale Medien Einsatz in der Psychotherapie finden

Kreativität, Social Media und die Digitalisierung haben eines gemeinsam: Sie stehen niemals still. Der Einsatz von kreativen Behandlungsmethoden gewinnt in der Psychotherapie immer mehr an Bedeutung. Zudem darf auch diese Berufsgruppe die voranschreitende Digitalisierung und kommenden Veränderungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Um über die kreativen Methoden in der Psychotherapie mehr zu erfahren und beide Seiten der beschriebenen Thematik zu beleuchten, unterhielt sich SUMO mit Psychotherapeut Gerhard Hintenberger und einer Betroffenen, welche an Depressionen leidet und durch die Psychotherapie ihre Kreativität erleben durfte.  

von Sarah Desch

„Ich bin nicht kreativ. Ich kann das nicht.“ Das ist jener Satz, welcher von den meisten Menschen geäußert wird, wenn man die Frage stellt, ob sie kreativ sind. Kreativität ist für viele Menschen solch ein Phänomen, welches im eigenen Leben nicht existiert. Jedoch gehört es zum Menschsein dazu sich durch Bedrucken, Gestalten, Modellieren, Schreiben oder Formen kreativ zum Ausdruck zu bringen. Auch die Psychotherapie setzt kreative Medien als wertvolle Behandlungsmethode bei Patient*innen ein. Neben dem klassischen Arbeiten mit Farben, Ton, Bild, Puppen, Musik, Symbolen oder auch dem Schreiben werden in den letzten Jahren auch vermehrt digitale Medien in seiner Behandlung eingebunden, berichtet Psychotherapeut Hintenberger. Digitale Medien unterstützen auf vielfältige Art und Weise die psychotherapeutische Arbeit und helfen zudem Ressourcen für die Patient*innen nutzbar zu machen. 

Kreativität erleben  

Die 25-jährige Frau Berger*, welche seit rund einem Jahr an Depressionen leidet, berichtet SUMO, wie sie durch das Malen und Zeichnen von Symbolen eine Möglichkeit gefunden hat ihre Gefühlswelt auszudrücken. Sie erinnert sich noch genau an die Zeichnung eines riesengroßen Regentropfens, welcher zu Boden fiel. „Hier hatte ich keinen guten Tag“, schildert sie. Doch während des Prozesses der Zeichnung änderte sich ihr Gemütszustand. „Ich bin so in meiner Welt versunken, ich war im Flow. Ich vergaß Raum und Zeit und fühlte mich nach der Vollendung meiner Zeichnung ausgeglichener und entspannter“, so Frau Berger. Der Psychotherapeut Gerhard Hintenberger erwähnt diesbezüglich, dass durch das produzierte Kunstwerk der Patient*in, der*die jeweilige Therapeut*in die innerliche Gefühlswelt der Patient*innen besser nachvollziehen kann. Zudem machen solche Therapieformen die weitere Vorgehensweise mit dem*der Patient*in leichter. „Jedes Medium besitzt einen anderen Aufforderungscharakter, der ein bestimmtes Verhalten projiziert oder zu einer Handlung auffordert. Hierbei wird eine Wirkung ausgelöst, welche sich beispielsweise stimulierend oder auch beruhigend anfühlen kann.“ Auf die Frage welche Therapieform man bei welchem*welcher Patient*in anwendet, antwortet Hintenberger folgendes: „Jede*r Patient*in verfolgt ein unterschiedliches Präventionsziel. Hier gibt es kein Schema, welches man bei jedem*jeder anwenden kann.“ Der Begriff Kreativität wird jedoch in der Behandlung vermieden, da dies einen gewissen Druck bei dem*der Patient*in auslösen könnte, welchen man umgehen möchte.  

Frau Berger erzählt beim Interview mit SUMO die spannende Geschichte eines anderen Patienten, der in der Fotografie ein Mittel gefunden hat, seine Gefühle und Emotionen auszudrücken. Ging es dem Patienten schlecht, nahm er die Kamera in die Hand und schoss ausschließlich schwarz-weiß Motive, welche sehr verschwommene und schattige Motive zeigten. All diese Erfahrungen erlebten diese Patient*innen bei einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung. Ihre Kreativität durften sie in der Kreativtherapie ausleben. In dieser Therapie werden psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen herangezogen, bildnerisches und darstellerisches Handeln umfassen den Großteil solcher Behandlungen.  

Social Media als Präventionsmaßnahme  

Nicht nur analog bringt sich Frau Berger zum Ausdruck, sondern sie nutzt auch die digitale Welt, um über ihre Gefühle zu sprechen. Nach wie vor sind Depressionen und weitere psychische Erkrankungen ein Tabu-Thema. „Wenn du mit deiner Seele und deiner inneren Welt zu kämpfen hast, sieht das keiner. Wenn du dir aber deinen Fuß brichst, bemitleiden dich die Menschen und sagen dir, du sollst dich schonen“, betont sie. Frau Berger möchte den Menschen dieses falsche Bild von psychischen Erkrankungen nehmen und Personen, welche sich in beschriebenen Situationen wiedersehen, helfen eine Lösung zu finden. „Wenn ich etwas mit meiner Community teile, kann ich ein Stück meines Ballastes loslassen.“ Immer wieder betont sie, wie sie dadurch an ihrer Persönlichkeit wachsen kann und ihr Gedankenkarussell, welches oft geprägt von negativen Gefühlen und Gedanken ist, wieder verlassen kann. Im SUMO-Interview mit Psychotherapeut Hintenberger wurde hinterfragt, warum Social Media hier einen wertvollen Effekt darstellt. Auf diese Frage antwortet er: „Social Media bietet in dieser Situation einen Weg zurück in die Selbstwirksamkeit.“ Leidet ein Mensch an Depressionen, bedeute das, dass man seine Selbstwirklichkeit verliert. Depressive Menschen haben keine Kraft und Energie aktiv am Leben teilzuhaben. Somit vermindern sich auch die Rückmeldungen des eigenen Umfeldes, ein Teufelskreislauf entsteht: Je weniger Rückmeldung ein Mensch bekommt, desto schlechter fühlt sich dieser. Und je schlechter man sich fühlt, desto weniger tritt man nach außen. Der Auftritt auf den eigenen Social-Media-Kanälen könnte hier als Startsprung aus der Depression dienen, da man wieder Rückmeldungen in Form von positiven Nachrichten und „Gefällt mir“ erhält.  

Kreativ auf Social Media  

Dass das kreative Schaffen einen Teil von Social Media darstellt, ist für Frau Berger selbstverständlich. Jedoch bemisst sie daran nicht so viel Wert. „Für mich ist es wichtig meine Sprache kreativ einzusetzen. Ich nutze die visuelle Darstellung, um Aufmerksamkeit zu erschaffen, aber das, was ich dazuschreibe, ist für mich ausschlaggebend.“ Die Frage, wie man heutzutage Menschen auf Social Media erreicht, beantwortet sie „mit Authentizität und Spontanität.“ Es stehe außer Frage, dass Kreativität, Ideenreichtum und ein strukturierter Plan wichtig sind, um Menschen auf Social Media zu erreichen. Sich Inspiration von anderen Menschen zu holen, empfindet sie als nicht schlimm. Es sei völlig legitim, dass es einen oft schwer fällt mit einem Instagram-Posting das auszudrücken, was man sich von der Seele reden will.  

Digitalisierung: ein wertvolles Tool 

Seit der Covid-19 Pandemie ist es den österreichischen Psychotherapeut*innen erlaubt, die Therapie auch mittels Telefon oder Video-Calls durchzuführen. Hintenberger erwähnt diesbezüglich, dass viele Psychotherapeut*innen zu Beginn sehr skeptisch gegenüber der Einführung einer elektronischen Therapieform waren: „Manche assoziieren mit einer digitalen Therapieform ein entfremdendes Bild, welches die Therapie schädigen könnte, da die herkömmliche Therapie sehr nah am Menschen arbeitet.“ Er kann die Aspekte seiner Kolleg*innen sehr gut verstehen, jedoch denkt er, dass man in den heutigen Zeiten mit der Digitalisierung Schritt halten muss. „Die Vorurteile gegenüber ein digitales Therapiesetting wurde von meinen Kolleg*innen jedoch nicht bestätigt“, erzählt Hintenberger freudig. Dass die Corona Pandemie die Sichtweise gegenüber elektronischen Therapieformen positiv verändert hat, bestätigt auch eine Studie, in welcher eine quantitative Analyse mit rund 700 befragten Psychotherapeut*innen im Rahmen der SFU-Forschungsbulletin durchgeführt wurde. Inzwischen haben zwei Drittel der befragten Psychotherapeut*innen eine positive Einstellung zu diesen Therapieformen und sehen in der elektronischen Psychotherapie eine positive Sondermöglichkeit. 

Hintenberger hofft, dass die digitalen Medien und das Internet viel mehr Platz in der Therapie finden. Mehrmals betont er, dass man sich auch als Psychotherapeut*in auf die veränderbaren Kommunikationsmittel und neuen Technologien einlassen muss. „Eine E-Mail braucht man heutzutage den jungen Menschen nicht mehr schicken. Der Mailverkehr ist kein Medium der Jugendlichen und schon gar nicht der GenZ.“ Auch digitale Pinnwände wie Padlet oder TaskCards benutzt Hintenberger, um seinen Patient*innen ein multimediale Darstellung zu ermöglichen. „Diese Plattformen bieten eine digitale Darstellung der eigenen Ressourcen, Bedürfnisse und Empfindungen, welche von meinen Patient*innen gerne in Anspruch genommen werden.“  

Eine weitere, sehr hilfreiche in der Psychotherapie einsetzbare Erfindung, welche einige Psychotherapeut*innen schon in Anspruch nehmen, ist die VR-Brille. Menschen, welche an Höhenangst oder anderen angstauslösenden Situationen leiden, kann mittels einer Expositionsbehandlung geholfen werden. Hintenberger erklärt, dass Patient*innen hierbei mit spezifischen angstauslösenden Situationen konfrontiert werden, um so das Vermeidungsverhalten und die Aufrechterhaltung der Angst zu durchbrechen. Die VR-Brille ermöglicht es genau diese Situationen darzustellen. Zudem wurde bestätigt, dass die virtuelle Welt nahezu die gleichen Gefühle und Emotionen auslösen kann, wie bei einem echten Erlebnis, so Hintenberger. Auch bei „Midjourney“, einer künstlichen Intelligenz, welche innerhalb von weniger Sekunden durch ein Stichwort ein visuelles Kunstwerk oder eine Grafik erschafft, sieht Hintenberger Potenzial sie in der Zukunft in seiner Therapie einzusetzen. Der Psychotherapeut betont abschließend, dass die Digitalisierung in Zukunft noch viele unvorstellbare Möglichkeiten in seinem Berufsfeld bieten wird, auf welche wir uns einlassen dürfen. Wir leben in einer digitalen Welt, welche ständig Anpassung erfordert. Was jedoch immer bleibt, ist die Gabe der Kreativität eines Menschen und das Erschaffen von neuen Ideen, Möglichkeiten und Medien.

* Name wurde von der Redaktion geändert