Obwohl die Digitalisierung keine neuartige Thematik ist, scheint die Kontroverse über digitale Medien im Klassenzimmer nicht enden zu wollen.
Um Licht ins Dunkle des Diskurses über Offline-Bildung zu bekommen, sprach SUMO mit der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin Karin Zajec, und mit Susanna Öllinger, österreichische Bundesschulsprecherin 2021/22.
Auch wenn die Nutzung digitaler Medien in Klassenräumen ein modernes Phänomen zu sein scheint, wird doch bereits seit den 1960er Jahren an Risiken und Potentiale dieser im schulischen Kontext geforscht. Wirft man einen Blick auf die zahlreichen Studien zur Nutzung digitaler Medien bei Kindern und Jugendlichen, liegen dabei widersprüchliche Befunde vor. Der britische Neuropsychologe Aric Sigman etwa ist der Überzeugung, dass eine hohe Bildschirmzeit bei Kindern negative Auswirkungen habe und eine hohe Suchtgefahr darstelle. Die amerikanische Gamedesignerin Jane McGonigal stuft die Bildschirmzeit bezüglich Computerspiele als nützlich ein und empfiehlt diese als Therapie gegen Depressionen und als Werkzeuge für den Aufbau von Beziehungsfähigkeit.
Liest man nur diese wenigen differenten Ansätze, stellt sich umso mehr die Frage: Soll gerade Kindern eine Offline-Bildung, d.h. ohne digitale Begleiter, hohe Bildschirmzeit und medialen Einfluss geboten werden? Die Antwort ist ausgewogen: Es müsse auf die richtige Mischung geachtet werden, so Susanna Öllinger. Laut ihr sei es nicht die Zukunft, alles Haptische zu streichen und rein auf digitalem Wege zu gehen, jedoch müsse trotzdem der digitale Fortschritt in Schulen gefördert und ausgebaut werden, da dieser für das spätere Leben der Schüler*innen ausschlaggebend sei.
Digitalen Medien wird oft ein großes Potential zur Steigerung schulischer Leistungen beigemessen. Bereits in den 1990er Jahren wurde, unter anderem von Ronald D. Owston, Professor an der York University in Toronto, dem Internet ein Potential für den Lernerfolg zugeschreiben. Dennoch ist es wichtig, auf das Alter und die Entwicklung der Schüler*innen einzugehen, möchte man digitale Medien im Schulalltag einsetzen. So sieht Öllinger keine Dringlichkeit, bereits in der Volkschule den Unterricht mit digitalen Begleitern zu bereichern. Die Aufklärung über mögliche Gefahren und Risiken sei dafür umso wichtiger. Weiters sieht Öllinger viel mehr Potential, das Internet und den Laptop in Schulstunden in der Oberstufe miteinzubinden und aktiv zu verwenden, da komplexere Inhalte didaktisch anders gelehrt und anspruchsvollere Texte gelesen oder verfasst werden könnten.
Veränderung durch Covid-19: Fernlehre bis hin zur Einsamkeit?
Trotz beziehungsweise gerade wegen digitaler Mediengeräte und Techniken konnte im vergangenen Jahr die Schulbildung aufrecht erhalten bleiben. Geprägt von Fernlehre, Online- Schulstunden und Videokonferenzen stellt sich die Frage: Kann der „neue“ und digitale Schulalltag weitergehen? Der Schulalltag, der nun zum neuen „Normal“ geworden ist? Einsamkeit und Antriebslosigkeit seien nur einige der Faktoren, die für Kinder und Jugendliche zur Belastung werden, konstatiert Zajec. Ihr zufolge haben weiters Ängste, wie Zukunftsangst oder das Gefühl der Perspektivenlosigkeit, zugenommen. Auch sei die Neugierde und die direkte Begegnung fundamental, die vor Allem für die Jüngsten maßgeblich ist, um neue Dinge zu lernen und Erfahrungen zu sammeln. Dieser wichtige Faktor lasse speziell in Zeiten der Fernlehre zu wünschen übrig. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die neuen Klassenzimmer zu Hause die Eigenständigkeit und die Selbstdisziplin fördern können. Selbstorganisation ist das A & O, wenn der gesamte Schulalltag vor einem Bildschirm verbracht wird.
Laut der oberösterreichischen Kindermedienstudie aus dem Jahr 2020 verbringen etwa 45% der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren ihre Freizeit mit Spielen auf elektronischen Mediengeräten. Auch wenn dies nicht die ersten Ränge, wie draußen spielen oder mit Freund*innen Zeit verbringen, vom Podest stößt, darf nicht vergessen werden, dass während der Pandemie die schulische Bildschirmzeit noch dazu kommt. Speziell für jüngere Kinder sei die Handhabung eine Herausforderung und die – oftmals fehlende – Konzentration ein wichtiges Thema. Die Anstrengung gestalte sich nochmals deutlich höher als etwa bei Jugendlichen und die Motorik leide meist unter dem zahlreichen Einsatz digitaler Medien im Klassenraum, weiß Psychologin Zajec. Auch die Bewegung, die ohnehin im Schulunterricht zu wünschen übriglasse, werde dadurch nicht gefördert.
Die berüchtigte Frage nach Veränderung
Veränderung. Ein vielgebrauchtes Wort, das einen Zwiespalt zwischen Anerkennung und großem Misstrauen hervorruft. Susanna Öllinger beginnt mit einer langen Liste von Aufzählungen, als die Frage nach Veränderung fällt. Bezüglich digitaler Medien in der Bildung meint sie, dass es an Aufklärung über diese mangele. Auch Karin Zajec pocht auf die Medienkompetenz mit Nachdruck. Diese müsse sowohl für Schüler*innen als auch für die Eltern und das Lehrpersonal gefördert werden und Möglichkeiten für die Weiterbildung sollten eröffnet und auch wahrgenommen werden. Den Ausführungen Öllingers erfolgend fordert auch die Sichtweise auf digitale Medien im Unterricht eine Veränderung. Die Thematik des Handys als „Störfaktor“ solle überdacht werden, sowie die Sicht auf digitale Endgeräte, die unzählige Chancen böten, den Unterricht attraktiver und reichhaltiger zu gestalten. Information könne multimedial oder interaktiv aufbereitet und die Lerninhalte könnten so auf verschiedenen Ebenen wiederholt und besser verarbeitet werden. Weiters betont Susanna Öllinger, dass die Freiheit zwischen „Ich möchte am Laptop mitschreiben“ und „Ich kann besser in Heften mitschreiben“ unbedingt geboten sein müsse. Die Präferenzen der einzelnen Schüler*innen sollten respektiert werden, denn schlussendlich gelte es, die angestrebten Leistungen der Auszubildenden zu erzielen – ob dies digital oder auf klassische Art mit Papier und Stift passiert, sei je nach Lerntyp variabel. Für das Leben lernen wir schließlich auch individuell.
von Theresa Zahradnik
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