Medienskandale im Wandel der Zeit – Geht Qualitätsjournalismus verloren? 

Medienskandale im Wandel der Zeit

Korruption, Verleumdung, Bestechlichkeit. Für eine/n ordentliche/n Bürger*in ist klar: Bei diesen strafbaren Verfehlungen besteht zweifellos Skandalpotenzial.

Doch die Etablierung von Online-Medien hat der Entstehung und der Definition von Skandalen opake Eigenschaften verliehen, wodurch das Feld der Medienskandale unübersichtlicher geworden ist. SUMO sprach mit Junior-Prof. Christian von Sikorski (Univ. Koblenz-Landau) sowie Prof. (FH) André Haller (FH Kufstein) über die Rolle der Medien bei der Aufdeckung von Skandalen, der Bedeutung von unabhängigem Journalismus und über die zukünftige Entwicklung von Medienskandalen. Außerdem diskutierte SUMO mit dem ehemaligen Sportjournalisten Reinhard Spitzer (u.a. „Tips“, ORF Oberösterreich, Ö3, „Life Radio“) über die aufdeckende Funktion des Journalismus bei Dopingskandalen. 

Wirft man einen Blick auf die österreichische Vergangenheit, könnte man zu der Erkenntnis kommen, dass scheinbar alle Bereiche der Gesellschaft von einem speziellen Phänomen geprägt sind: den Skandalen. Basierend auf den jüngeren Ereignissen lässt sich aber die These ableiten, dass Medienskandale hauptsächlich einem politischen Fehlverhalten entspringen und dass somit vorrangig Politiker*innen die Urheber*innen Aufsehen erregender Vorfälle sind. An dieser Stelle sind beispielsweise die BUWOG-Affäre, welche im Jahr 2009 aufgedeckt worden ist, die Causa Casinos, in der seit dem Jahr 2019 ermittelt wird, oder die Ibiza-Affäre erwähnenswert. Dennoch lässt sich die Sache der Skandale nicht allein auf das Feld der Politik beschränken. 

Ab wann spricht man von einem Medienskandal? 

Um das Verständnis der historischen Entwicklung von Medienskandalen und der aktuellen Rolle von Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung von Skandalen zu erleichtern, ist die Definition der Begrifflichkeiten hilfreich. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass für das Zustandekommen eines Skandals drei Faktoren notwendig sind. 

Christian von Sikorski, Junior-Professor an der Universität Koblenz-Landau, nennt hier an erster Stelle die Tatsache, dass es entweder gesetzeswidrige Verstöße oder viele Normüberschreitungen geben müsse, die auch nicht von juristischer Relevanz sein müssten. André Haller, Professor für Marketing & Kommunikationsmanagement sowie Digital Marketing an der Fachhochschule Kufstein, spricht in diesem Zusammenhang von „den Grenzen des guten Geschmacks“, die durch eine Verletzung der Normen gesprengt würden. Als zweite Komponente, damit ein Skandal als ein solcher definiert werden könne, müssten diese Überschreitungen entweder öffentlich ablaufen oder durch Investigativ-Journalismus aufgedeckt werden, so Haller. Außerdem sei es notwendig, dass mehrere Medien über eine gewisse Zeit darüber berichteten. Die öffentliche Berichterstattung sei dann wiederum Voraussetzung für den dritten Faktor, der zur Entstehung eines Skandals notwendig sei. Das Fehlverhalten müsse in der Gesellschaft Verärgerung und Empörung auslösen und der überwiegende Teil der Bevölkerung müsse sagen: „Dieses Verhalten ist zu verurteilen“, so von Sikorski. Wesentlich sei aber auch die öffentliche Äußerung des Unmuts über bestimmte Vorgänge. In dieser Hinsicht erwähnt Haller auch die Verschiebung dieses Prozesses durch Social Media, durch die auch Kleinstgruppen schon minimale Verstöße skandalisieren könnten. Das wirft in Zusammenhang mit einem Fehlverhalten, das überwiegend online skandalisiert wird, die Frage auf, wann man im Jahr 2022 überhaupt noch von einem Skandal spricht. 

Laut Haller gebe es durch Online-Medien mehr Aufregung und Empörung, was auf die neuen Möglichkeiten der Aufdeckung zurückzuführen sei. Denn normale User*innen könnten nun durch verschiedenste Plattformen selbst investigative Recherche betreiben und so Fehlverhalten aufdecken. Als Beispiel nennt Haller sogenannte „Wikis“, durch die sich Nutzer*innen austauschten und beispielsweise nach Plagiaten suchten. Weiters eröffneten digitale Medien neue Kanäle, auf denen skandalöses Verhalten vorkommen könne. Denn während man sich früher nur mündlich austauschte und Gesagtes viel schwerer nachzuweisen war, gebe es jetzt mehr Wege, Beweise zu erbringen. Auch von Sikorski verweist auf das erhöhte Skandalpotenzial, dessen Ursprung in den neuen Medientechnologien liege. Allerdings betont er dennoch die Wichtigkeit herkömmlicher Medien. Denn auch wenn die Skandalisierung durch Social Media oft der Auslöser für eine vertiefte Recherche sei, spreche man heutzutage ohne Berichterstattung der klassischen Medien in der Regel nicht von einem größeren politischen Skandal. 

Zunahme an Skandalen und die Rolle der Rezipient*innen 

Aufgrund aktueller Untersuchungen in europäischen Ländern konstatiert von Sikorski, dass sich eine Zunahme an Skandalen abzeichne. Allerdings steige die Anzahl komplexer Fälle nicht äquivalent mit der Anzahl an geringfügigen Normüberschreitungen. Tendenziell würden nämlich unbedeutende Verfehlungen in größerem Maß skandalisiert als tatsächlich relevante Fälle, die ein gewisses Maß an sozialen Schaden nach sich ziehen, so wie beispielsweise die Veruntreuung von Steuergeldern. Die Neigung zur Skandalisierung von geringfügigen Verstößen durch Medien lasse sich durch die damit verbundene Aufmerksamkeit erklären. Denn diese Fälle könnten prinzipiell einfacher dargestellt werden als komplexe Fälle und seien somit für Rezipient*innen leichter verständlich. Von Sikorski stellt in diesem Zusammenhang fest: „Eigentlich sind Rezipient*innen erstmal gut darin zu sagen, was übertrieben ist und was nicht.“ Doch die Komplexität der Fälle und das Kursieren von Fehlinformationen erfordere eine gewisse Quellenkompetenz, die aber tendenziell eher abnehme. Seriöse Quellen könnten durch den Rückgang dieser Kompetenz immer schwieriger identifiziert werden. Darüber hinaus gehe auch die Fähigkeit verloren, sich auf längere Beiträge konzentrieren zu können, was ein gewisses Durchhaltevermögen und Training erfordert. Dieses Verhalten widerlegten auch aktuelle Studien aus dem Feld der politischen Kommunikation. Sogenannte „Hyper-Consumer“, die durchgehend Nachrichten rezipierten, hätten weniger politisches Wissen als Personen, die klassische Medien und weniger Quellen nutzten. Von Sikorski hebt deswegen besonders die Wichtigkeit der Quellenkompetenz hervor, welche schon durch die Bildung in den Schulen ausgebaut werden könne. 

Umgang der Medien mit Fake News 

Zum einen gibt es also auf Seiten der Rezipient*innen Wege, um der Desinformation im Internet und somit inszenierten Skandalen und Fake News entgegenzusteuern. Aber auch aus Sicht der Medien existiert ein Instrument zur Verdrängung von Falschinformationen im Web. „Man muss eine Lanze brechen für den Qualitätsjournalismus“, so Haller. Denn Qualitätsjournalist*innen folgten gewissen Prinzipien, einem Mehr-Quellen-System und einem Kodex innerhalb ihres Berufsstandes, was wiederum bedeute, dass diese sehr transparent in ihrer Arbeit vorgingen. Ein aktuelles Beispiel sei die Ibiza-Affäre, bei der darüber aufgeklärt worden sei, wie die „Süddeutsche Zeitung“ die Informationen erhalten und analysiert habe. 

Medien stehen aufgrund unterschiedlicher Abhängigkeiten und Machtverhältnisse in einem bestimmten Spannungsfeld mit der Politik. Diese Entwicklung habe einen historischen Hintergrund, resümiert Haller. Die Parteipresse sei eben sehr parteinah gewesen, weshalb es da nur eine geringe Objektivität gegeben habe. Durch den Investigativ-Journalismus, der in Volontariats-Schulen gelehrt worden sei, etablierte sich die Unabhängigkeit vom Staat. Da aber Journalist*innen dennoch auf exklusive Quellen und somit enge Verbindungen in die Politik angewiesen seien, sei die Wahrung der Neutralität für den Qualitätsjournalismus von oberster Priorität. „Da steht natürlich jede*r Journalist*in in der Pflicht, dass er bzw. sie sich nicht zum Spielball politischer Akteur*innen macht“, postuliert Haller. 

Über Skandale von Werbekunden berichten Medien kaum 

Doch dieser Interessenkonflikt zeichnet sich nicht nur mit Akteur*innen der Politik, sondern auch bei Werbekund*innen der Medienunternehmen ab. Eine groß angelegte Studie aus dem Jahr 2020, die von Samuel Stäbler (Tilburg University) und dem Kulturwissenschaftler Marc Fisher durchgeführt wurde, zeigt, dass über Skandale von Werbetreibenden bei Magazinen sehr wenig berichtet wird. „Es sollte niemals der Fall sein, dass über Fehlverhalten nicht berichtet wird, weil Unternehmen regelmäßig Anzeigen oder andere Arten bezahlter Werbung schalten“, fordert Haller. Denn unabhängiger Journalismus führe zu höherer Glaubwürdigkeit und halte die Auflagen zumindest einigermaßen stabil. Außerdem haben Medien eine gewisse Verantwortung im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Skandalen. Denn Medien spielten beim Anstoß, der dann zu ersten Ermittlungen führe, eine sehr zentrale Rolle, meint Haller. Die Idee der Medien als vierte Gewalt sei aber dennoch sehr hoch gegriffen. Denn diese könnten zwar einen Verstoß aufdecken, ob dieser schlussendlich strafrechtlich zu ahnden sei, entschieden dann aber Gerichte. 

Zukünftige Entwicklung der Skandale 

Medien hätten nicht mehr dieselbe Macht wie früher, zu definieren, was ein Skandal sei, weil ein großer Teil der Bevölkerung Nachrichten auf sozialen Medien rezipiere. Das liege zum einen an der selektiven Auswahl der Nachrichten und zum anderen am Algorithmus, der über die Inhalte bestimme, die den Leser*innen zukommen. Das führe dazu, dass klassische Medien an Macht verlieren, weshalb es umso essentieller sei, dass sich Medienunternehmen nicht ausruhen und unabhängig arbeiteten. „Man braucht unabhängige Qualitätsmedien, die weiterhin stark sind“, betont von Sikorski und beantwortet so die Frage, wie sich die Stellung der Medien bei der Aufdeckung von Skandalen in Zukunft entwickeln wird. Auch Haller hebt den Qualitätsjournalismus als fundamentalen Bestandteil objektiver Berichterstattung hervor. 

Journalisten*innen als Ersatz der Behörden bei Dopingskandalen? 

Auch die Branche des Spitzensports ist für etliche Skandale empfänglich, vor allem für Skandale im Zusammenhang mit Doping. Zahlen aus aktuellen Berichten der World Anti-Doping Agency zeigen, dass die Anzahl an Dopingfällen gemessen an den durchgeführten Blut- und Urin-Proben zwischen den Jahren 2014 und 2019 weltweit nur von 21% auf rund 15% zurückgegangen ist. Das bedeutet also, dass es zwar grundsätzlich einige Dopingfälle gibt, ob diese aber schlussendlich aufgedeckt werden, ist von einigen Faktoren abhängig. 

Reinhard Spitzer, Sportjournalist bis 2021, nennt hier zu Beginn die internationalen Nachrichtenagenturen, die den Journalist*innen prinzipiell die ersten Informationen zu Dopingfällen liefern. „Wenn man so etwas als Journalist*in selber mitbekommt, wäre es eher ein Zufallstreffer“, behauptet Spitzer nach jahrzehntelanger Berufserfahrung im Sportsektor. Allerdings betont er auch, dass es ohne den unnachgiebigen Journalismus einige der großen Dopingskandale vermutlich gar nicht gegeben hätte. Grundsätzlich werde über internationale Dopingfälle zwar in regionalen Medien berichtet, selbst nachrecherchieren tue man aber meist nur, wenn es Sportler*innen aus der geografischen Nähe zu den Medienunternehmen betreffe. Auch Spitzer betont in Bezug auf die Recherche den hohen Stellenwert der Objektivität und nennt außerdem die Ethik als grundlegenden Pfeiler bei der Berichterstattung. Denn wenn Sportler*innen Fragen ehrlich beantworteten, liege es an der Einschätzung und Ehrlichkeit des Journalisten, wie viele Informationen letztendlich der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden würden. „Schlussendlich bleibt aber der Journalist immer der Objektive“, so Spitzer. Allerdings würden die wenigsten Sportler*innen die ganze Wahrheit ans Licht rücken, was unter anderem auf den Druck durch das Sponsoring zurückzuführen sei. Denn für viele Sportler*innen sei die Geldleistung der Sponsoren existenziell und das Risiko, dass diese Leistungen ausblieben zu hoch. 

Genaue, feinfühlige Recherchen seien daher von großer Relevanz. Diese nehmen jedoch viel Zeit in Anspruch, welche durch Effizienzsteigerungen in den Redaktionen vor allem bei privaten, gewinnorientierten Medienunternehmen oft nicht mehr verfügbar sei. „Das Tempo geht auf Kosten der Qualität“, konstatiert Spitzer. Auch die fehlenden finanziellen Ressourcen spielten dabei eine wichtige Rolle, weshalb vor allem öffentliche Förderungen zur Wahrung der Unabhängigkeit von äußerster Wichtigkeit seien. 

In Zukunft weniger Dopingskandale? 

Der zukünftigen Entwicklung von Dopingskandalen sieht Spitzer eher betrübt entgegen. Denn: „Die Dopingsünder sind immer einen Schritt voraus. Der Sünder agiert und die anderen reagieren.“ Weiters beschränke sich die Sache der Dopingvorfälle nicht allein auf das Feld des Spitzensports, sondern auch auf den Amateursport, in dem es aber keine medizinische Kontrolle gebe. Das gehe dann auf Kosten des Gesundheitssystems und schade auf lange Sicht einer Volkswirtschaft. Darum sei eine öffentliche Presseförderung für Medienunternehmen, welche eine uneingeschränkte und unabhängige Recherche garantiere, umso wichtiger und essentiell zur Wahrung der Demokratie. „Öffentliche Presseförderung bedeutet mehr Unabhängigkeit von den Mächtigen“, ergänzt Spitzer. 

von Hannah Schinagl 

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