Ein Plädoyer für Klimajournalismus mit Biss

Ernteausfälle, Hitzewellen, Überschwemmungen.

von LENA HASLINGER

Die Auswirkungen der Klimakrise bekommen wir auch in Österreich immer drastischer zu spüren. Wenn wir nicht endlich vernünftig handeln, werden wir in eine Klimakatastrophe schlittern. (Und nein, das ist jetzt nicht übertrieben.) Viele von uns sind sich der Dramatik dieser Krise nicht bewusst, aber die Zeit läuft uns buchstäblich davon. Diese Krise wird das Leben, wie wir es jetzt kennen, grundlegend verändern. Und was macht die österreichische Politik? Sie drückt einfach den Snooze-Button und verschläft es, endlich proaktiv vernünftige Maßnahmen zu setzen.

Reinhard Steurer, assoziierter Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien, findet klare Worte: „Mit der derzeitigen Klimapolitik werden wir die Klimaneutralität nicht einmal bis 2050, ja vermutlich nicht einmal bis 2060 erreichen. Die Politik agiert hier zu wenig und zu langsam. Es läuft somit auf Scheinklimaschutz hinaus. Scheinklimaschutz bedeutet, dass man offiziell ein ambitioniertes Ziel hat, aber nicht die nötigen Maßnahmen setzt, um dieses auch tatsächlich erreichen zu können. Die österreichische Klimapolitik ist somit oftmals mehr Schein als Sein.“

Politische Versäumnisse

Das Gerücht, dass Österreich viel zu klein sei, um nachhaltig etwas bewirken zu können, hält sich hartnäckig. Politische Entscheidungsträger:innen brüsten sich mit ambitionierten Gesetzen und Reformen, die in der Realität allerdings kaum oder zu wenig Auswirkungen haben. Laut Reinhard Steurer müsse die Politik endlich ehrlich sein mit der Bevölkerung und anerkennen,dasswirgeradewegs auf eine bedrohliche Krise zusteuern. „Das muss man gegenüber der Bevölkerung auch genauso kommunizieren, der derzeitige Bundeskanzler macht das Gegenteil. Er spricht von Untergangsirrsinn und hält mit Märchenerzählungen dagegen,“ sagt Steurer.

Es gehe also darum, endlich unsere Verantwortung wahrzunehmen. Österreich muss die Emissionen pro Kopf deutlich senken – aktuell liegen diese über dem globalen Schnitt. Doch auch hier fehlt laut Steurer eine entsprechende Reaktion des Bundeskanzlers: „Der gegenwärtige Bundeskanzler tut auch da das Gegenteil, er redet unsere Verantwortung klein und redet von den berühmten 0,2 Prozent. Er tut so als ob das, was wir tun, egal ist. Es ist aber nicht egal.“

Fakt ist, es braucht konkrete Maßnahmen. Die nötigen Maßnahmen sind unpopulär, vielfach wird beispielsweise das Tempo 30 – 80 – 100 diskutiert. Laut Umweltbundesamt waren die wesentlichen Verursacher der österreichischen Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2022 die Sektoren Energie und Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Der Verkehrssektor ist für 28 Prozent der Treibhausgase in Österreich verantwortlich.

Beim Tempo 30 – 80 – 100 geht es darum, die Geschwindigbeitsbeschränkungen im Ortsgebiet auf 30 km/h, auf Freilandstraßen auf 80 km/h und auf Autobahnen auf 100 km/h zu senken. Der Verbrauch und damit der CO2-Ausstoß so wie auch die Emissionen der Schadstoffe würden mit abnehmender Geschwindigkeit laut der wissenschaftsbasierten Initiative „Tempolimit-Jetzt.at“ deutlich sinken. Obwohl die Daten vielversprechend sind, macht man sich mit derartigen Gesetzen bei einem Großteil der Bevölkerung unbeliebt.

Die Uhr tickt und wir können es uns nicht länger leisten, die Schlummertaste zu drücken. Noch ist es möglich, die Klimakrise zu entschärfen.

Die Medien in der Klimakrise

Die Medien üben als „Vierte Gewalt“ eine wichtige demokratische Funktion aus: Es ist ihre Aufgabe, die Menschen wissenschaftsbasiert zu informieren und Missstände aufzuklären. Zurzeit ist die Berichterstattung zur Klimakrise zu sporadisch und verharmlosend. Genau hier kommt der Klimajournalismus ins Spiel: Wir brauchen Journalist:innen, die kritische Fragen stellen und die eigene Verantwortung betonen. Laut Reinhard Steurer sei es auch ihre Aufgabe, notwendige und sinnvolle Maßnahmen zu diskutieren. „Der Klimajournalismus weist zu selten auf die politischen Versäumnisse hin. Das heißt die Tatsache, dass wir nicht auf Zielkurs sind, dass wir die Ziele für 2030 und 2040 sehr wahrscheinlich verfehlen werden, wird viel zu selten thematisiert. Die Politiker:innen werden wenig zur Rechenschaft gezogen.“

Gunter Sperka war Klimakoordinator des Landes Salzburg und hat die Stabstelle Klimaschutz und Nachhaltigkeit des Landes Salzburg geleitet. Als Klimakoordinator hat er gute Erfahrungen im Umgang mit den Medien gehabt. Er hat aber ein Gefälle zwischen Qualitäts und Boulevardmedien bemerkt: Während Qualitätsmedien umfassend und professionell recherchierte Geschichten publizieren, fehle es bei Boulevardmedien oft an Expertise und Tiefgrund. Hier seien viele auf schnelle Schlagzeilen aus. Generell bleibe die Berichterstattung oft an der Oberfläche und die Medien seien nicht kohärent in ihrer Haltung: „Man liest auf der einen Seite, wie furchtbar der Klimawandel ist und auf der nächsten Seite wird der neue BMW getestet und hochgelobt. Also das passt nicht zusammen.“

Die Medien spielen in dieser Krise also eine ganz entscheidende Rolle. Denn es braucht im Endeffekt eine Mehrheit für Klimaschutz. Und diese Mehrheit kommt nur dann zustande, wenn es eine entsprechende Berichterstattung gibt. Hier geht es auf der einen Seite um die Ernsthaftigkeit dieser Krise und auf der anderen Seite um die Zielverfehlung. Es ist die Aufgabe der Medien all das richtig einzuordnen.

Für Reinhard Steurer haben die Medien das ganze Ausmaß der Krise noch immer nicht verstanden. Er sagt: „Die Realität sieht natürlich so aus, dass Medien ihre Verantwortung nicht wahrnehmen und dass sie glauben, sich neutral verhalten zu müssen. Wobei dann eben die Frage aufkommt, neutral zu was eigentlich? Neutral zum Untergang der Zivilisation? Das ist meiner Meinung nach eine komische Neutralität. Das ist ungefähr so, als ob man sagen würde, ich verhalte mich neutral zur Demokratie oder Diktatur. Die Tatsache, dass sich Journalist:innen nicht neutral gegenüber demokratischen Grundrechten, sehr wohl aber gegenüber der Klimakrise verhalten, zeigt eines ganz deutlich. Sie haben letztere noch nicht als existenzielle Bedrohung verstanden.“

Klimaschutzstrukturen in Österreich

Es liegt auf der Hand – es muss sich etwas verändern. Aber wie funktioniert Klimaschutz in Österreich auf politischer Ebene? Und wie sieht es mit einem Klimaschutzgesetz aus? Gunter Sperka dazu: „Wir haben in Österreich das System der mittelbaren Bundesverwaltung. Das heißt, Österreich besteht aus dem Bund und den Bundesländern, mit jeweils unterschiedlichen Kompetenzen. Im Klimaschutz liegen etwa 80 Prozent der tatsächlichen Reduktionsmöglichkeiten beim Bund bzw. der EU und 20 Prozent bei den Bundesländern.“

Das österreichische Klimaschutzministerium wird derzeit von Leonore Gewessler geleitet. Sie ist unter anderem für Klimaschutz, Verkehr und Infrastruktur zuständig. Dort, wo die Kompetenzen eindeutig sind, ist es einfach, bei den meisten Maßnahmen hängen die Kompetenzen von Bund und Ländern allerdings zusammen. Hier ist die Zusammenarbeit von Bund und Ländern gefragt, das passiert theoretisch in der Landesumweltreferent:innen-Konferenz, hier setzen sich die zuständige Bundesministerin und die Länderreferent:innen zusammen und versuchen, die Politiken abzustimmen.

Vor allem in der Verkehrs- und Raumplanung und in der Bautechnik können die Bundesländer etwas bewirken. Die Umsetzung der Bundesgesetze erfolgt vielfach durch das jeweilige Bundesland, die Landesregierung agiert hier als Organ des Bundes. Es ist in Österreich oft schwer zu transportieren, wer wirklich wofür zuständig ist.

Maßnahmen gegen die Klimakrise sollten immer auch in EU-Aktivitäten eingebunden sein. Laut Sperka kann man aber auch auf nationaler Ebene viel tun. Den Verkehr sieht er als das größte Sorgenkind: „Hier haben wir national einen relativ großen Spielraum, um nachhaltig etwas zu verändern.“

Österreich verfügt über ein Klimaschutzgesetz (KSG). Dieses wurde 2011 beschlossen und im Jahr 2017 abgeändert. Im Wesentlichen legt es für die Sektoren Energie und Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und fluorierte Gase Emissionshöchstmengen bis zum Jahr 2020 fest. Außerdem soll es die Erarbeitung und Umsetzung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen regeln.

Das brisante an der Sache: Das KSG beinhaltet nur Sektorziele bis zum Jahr 2020, ab 2020 hätten wir also ein neues KSG gebraucht. Formal gesehen ist es aber nicht ausgelaufen, das Gesetz gilt weiterhin. Gunter Sperka findet in Bezug auf das österreichische Klimaschutzgesetz klare Worte: „Ich habe in meiner Laufbahn immer eine Hitliste der schlechtesten Gesetze gehabt — das Klimaschutzgesetz war hier lange an erster Stelle. Denn wenn man einen Blick in das alte Klimaschutzgesetz reinwirft, bemerkt man, dass da im Wesentlichen nichts drinnen steht, außer wann Bund und Länder auf welcher Ebene zusammenkommen. Aber es steht nicht drinnen, was konkret rauskommen soll.“

Die aktuelle Klimaschutzministerin scheint prinzipiell engagiert, aber der Koalitionspartner ÖVP bremst bei wesentlichen Fragestellungen wie generellen Tempolimits massiv. Wir brauchen in Österreich einen neuen rechtlichen Rahmen für Klimaschutz, denn dieser fehlt zurzeit. „Das bedauere ich zutiefst, der Klimawandel ist da. Wir haben aber wenig rechtliche Handhabe um dagegen vorzugehen. Seit mittlerweile mehr als 1.000 Tagen ist ein neues Klimaschutzgesetz ausständig. Ein aktuelles Klimaschutzgesetz, das auch seinen Namen verdient. Denn es wäre notwendig alle Akteure in die Pflicht zu nehmen und klare Verantwortungen zuzuweisen. Am besten geschieht das auch durch klar definierte Sanktionsmöglichkeiten bei Zielverfehlung — von wem auch immer“, so Gunter Sperka.

Mut zur Veränderung

Laut Sperka ist Klimakommunikation nicht leicht. Bei einem K3-Kongress zur Klimakommunikation machten Kommunikationsexpert:innen darauf aufmerksam, dass man langsam und positiv kommunizieren müsse, Klimaexpert:innen entgegneten, dass keine Zeit mehr für positive und langsame Kommunikation zur Verfügung stünde.

Man hätte viel früher ein positives Narrativ erfinden müssen und zeigen sollen, wie man gut und klimagerecht leben kann. Mittlerweile müssen wir in einer unglaublichen Geschwindigkeit Emissionen senken. Das erfordert massive Änderungen im Lebensstil der meisten Menschen – viele empfinden das als gefährliche Drohung und weigern sich. Der klassische SUV-Fahrer, der gerne Schnitzel isst, findet keinen Gefallen an niedrigeren Tempolimits oder einer fleischlosen Ernährung. Resignation und Bequemlichkeit bringen uns in dieser Krise aber nicht weiter.

Genau hier muss der Klimajournalismus ansetzen: Es ist seine Aufgabe den Menschen bewusst zu machen, dass wir JETZT etwas ändern MÜSSEN. Zurzeit haben wir es sehr wahrscheinlich noch in der Hand – durch konsequente und wohl-überlegte Maßnahmen können wir unsere Zukunft noch lebenswert gestalten. Das erfordert jedoch unangenehme Einschnitte in unser Leben. Doch viel unangenehmer sind die Auswirkungen, wenn wir nichts tun.

Lena Haslinger | Copyright: Julius Nagel