Emotionalisierung und Dramatisierung um jeden Preis 

Copyright: adobe.stock.com/lydiageissler

Die Krise der Europäischen Union ist heute fünf Jahre her, trotzdem versuchen täglich Menschen nach Europa zu gelangen. Jeden Tag wird über sie berichtet, aber wie? Was bewirken die bewusst gewählten Begriffe in unserer Mediengesellschaft? SUMO hat dazu mit einem Geflüchteten, sowie mit Univ.-Prof. Fritz Hausjell (Univ. Wien) und Marie-Claire Sowinetz, Mitarbeiterin der UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR gesprochen. 

„Illegale“, „EinwanderInnen“ oder „AsylantInnen werden sie in den Medien genannt. Sie selbst werden kaum zu Wort gebeten. Als Präsident Erdogan am 1. März 2020 verkündete, dass die Türkei syrische Kriegsflüchtlinge nicht mehr an der Weiterreise nach Europa hindern werde, entfachte die Migrationsdebatte erneut 

Der Krieg dauert noch immer an 

Seit neun Jahren herrscht in Syrien ein erbarmungsloser Bürgerkrieg. Ausgelöst wurden die Spannungen durch friedliche Proteste gegen die autoritäre Herrschaft des Präsidenten Baschar al-Assad während des Arabischen Frühlings 2011. Im Laufe des Konfliktes geriet der Gedanke der Demokratisierung zunehmend in den Hintergrund, stattdessen kam es zu einem Krieg unterschiedlicher Religionen und Ethnien. Gegenwärtig kämpfen die Türkei und islamistische Rebellen, sowie Terroristen in der Stadt Idlib gegen die syrische Armee des Präsidenten al-Assad, Russland und Iran. Die Türkei griff in die Auseinandersetzungen ein, um sich kurdische RebellInnen, die das Grenzgebiet beherrschen, vom nationalen Leibe zu halten. Erdogan möchte so progressive und emanzipatorische Bestrebungen der türkischen KurdInnen unterbinden. Zusätzlich werden die Rebellen von Saudi-Arabien und den USA unterstützt, den Erzfeinden des Irans. 

 Flucht vor Diversität in österreichischen Medien und Politik  

Die Wörter „Flüchtlingswelle“ und „illegaler Migrantenstrom“ sind aus der Berichterstattung des Jahres 2015 nicht mehr wegzudenken. Fünf Jahre später ist die Sprache der Politik und der Medien vielfach weiterhin aggressiv, bei RezipientInnen schürt diese Wortwahl Angst. Sie löst mitunter gar Panik aus, vor dem Ungewissen und dem Fremden. Laut der Bilanz 2019 des Bundesamts für Fremdwesen und Aysl (Stand: 10.01.2020) wurden seit 1. Jänner 2015 in Österreich mehr als 180.000 Asylanträge gestellt, trotzdem muss man nach den persönlichen Erfahrungen der Betroffenen in nationalen Medien mit der Lupe suchen. Nahezu ein Viertel der Bevölkerung Österreichs hat einen Migrationshintergrund. Für eine repräsentative Darstellung dieser müssten 45 der 183 Nationalratsabgeordneten einen Migrationshintergrund haben – tatsächlich sind es neun. Ebenso erheblich unterrepräsentiert sind diese Personen in österreichischen Medien, auch in Qualitätsmedien. Anstatt für mehr Diversität unter den eigenen MitarbeiterInnen zu sorgen, lassen sich maximal Gastkommentare zu besonderen Medienereignissen von ausländischen JournalistInnen finden. 

Marie-Claire Sowinetz von UNHCR betont, dass die Perspektive der Flüchtlinge in der Berichterstattung oft zu kurz kommt. „Vor allem in der Zeit von 2015 bis 2016 wurde festgestellt, dass es häufig nur zwei Arten der Berichterstattung über Flüchtlinge gab: entweder Flüchtlinge als Opfer darzustellen, oder als potenzielle Bedrohung für die Aufnahmeländer“, erinnert sie sich. 

Während sich die negative Berichterstattung über Flucht in den letzten Jahren bei 4% der Artikel hielt, zeigt eine Studie des Wiener Publizistikinstituts, dass es im Jahr 2019 schon 7% waren, berichtete Hausjell bei einer Veranstaltung im April 2019 im Rahmen des Projekts Core – Integration im Zentrum. Der Anteil positiver Berichterstattung über AsylwerberInnen lag 2019 bei 21,8%, im Vorjahr um 1,7% höher. Das Projekt der Stadt Wien wurde durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung im Rahmen der Urban Innovative Actions Initiative kofinanziert. 

Die 2019 publizierte Studie „Stumme Migranten, laute Politik, gespaltene Medien“ der Otto BrennerStiftung untersuchte die Berichterstattung über die Themen Flucht und Migration in 17 Ländern. Verglichen wurden 2.400 Artikel aus sechs Wochen zwischen August 2015 und März 2018. In Deutschland wurden die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Untersuchungsobjekte. Die Studie ergab, dass lediglich in einem Viertel der Berichte die Geflüchteten im Mittelpunkt standen, zumeist als namenlose Gruppe. Bloß in 8% der Fälle wurde über die persönlichen Geschichten und Schicksale der MigrantInnen geschrieben. 

Erfahrungen eines Geflüchteten aus Syrien

X. möchte lieber anonym bleiben, er hat in der Vergangenheit nicht so gute Erfahrungen mit Interviews gemacht. Er lebt jetzt schon seit sechs Jahren in Österreich. In Syrien studierte er Rechtwissenschaften, doch zu seiner Enttäuschung wurde sein Studienfortschritt hier nicht anerkannt. Heute arbeitet er im Bereich Organisationsmanagement.

Zur ständigen Berichterstattung über Flüchtlinge sagt er zu SUMO, dass diese nur dazu führt, dass das Thema gehasst wird, unabhängig davon, ob positiv oder negativ berichtet wird. „Es scheint aber so, als würde sowieso nur Negatives geschrieben werden. Ja, natürlich gibt es Kriminelle unter den Flüchtlingen, die Leute sind sicher nicht alle vom Himmel gefallen, aber die gibt es überall, auch in Österreich, sonst bräuchte man hier ja keine Polizei oder Gerichte. Keiner sagt etwas Positives über Flüchtlinge. Es gibt nur Bilder von geflohenen Menschen, die mit einer negativen Schlagzeile verbunden werden. Das ist verletzend. Die abgebildete Person hat keine Ahnung davon und hat das auch sicherlich nicht bewilligt. Warum gibt es keinen Respekt vor der Privatsphäre? Ich zum Beispiel will in Österreich eine Karriere haben und da möchte ich keine Bilder von mir auf der Flucht in den Medien finden. Das ist meine Entscheidung. Das ist mein Leben“, sagt er. SUMO: „Findest du, dass in den Medien zu wenige Flüchtlinge ihre Geschichte selbst erzählen? X.: „In den Medien gibt‘s gar nichts. Da sind Plattformen wie Facebook dafür zuständig“, sagt er enttäuscht. „Manche Leute interessieren sich für unsere Geschichte und möchten sie von uns hören, nicht von Unbetroffenen“. Außerdem kritisiert X., dass obwohl er in Österreich GIS-Gebühren bezahle, er sich im österreichischen Fernsehen nicht repräsentiert fühle. „Ich fände es besser, wenn es bunter und vielfältiger wäre. Die Aufregung um den ZIBModerator [Anm.: Stefan Lenglinger] habe ich nicht verstanden: er ist doch Österreicher und hier geboren“, stellt X. fest. „Ich spreche aber nicht nur von Nachrichten, auch in Serien oder Filmen sieht man kaum AusländerInnen. Das ist nicht die Realität. Geht mal auf die Straße in Wien und seht, wie viele Leute da sind. Warum wird das nicht dargestellt? Auch andere soziale Gruppen, wie Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen werden einfach ausgelassen.“ 

Über die PolitikerInnen, die von Begriffen wie „Islamisierung“ sprechen, sagt er, dass sie nur die Bevölkerung spalten und die EinwandererInnen weiter ausschließen wollen. Es gebe einige Menschen, die ihren religiösen Glauben hinter sich lassen. Auch in Syrien lebe ein signifikanter Teil der Bevölkerung ohne Bekenntnis. Er bedauert, dass darüber niemand spreche. „Es wird immer nur über die paar EuropäerInnen gesprochen, die zum Islam konvertieren. Ich persönlich bete nicht fünfmal täglich und während dem Ramadan faste ich auch nicht. Ich esse sogar Schweinefleisch. Meiner Meinung bin ich gar kein richtiger Muslim, aber für die PolitikerInnen hier werde ich immer einer sein.“ SUMO: „Was würdest du PolitikerInnen gerne sagen?“ X.: „Bitte, macht den Leuten keine Angst. Sucht euch gefälligst einen anderen Plan, eure Wahl zu gewinnen!“ 

 Warum kommt es überhaupt zu Framing? 

Hausjell, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem medialen Diskurs über Geflüchtete und den dazugehörigen Frames, SUMO hat nachgefragt wie diese historisch entstanden sind.  „Frames gab es schon während der NS-Zeit. Schon damals wurden Flüchtende mit Kriminellen gleichgestellt. Allerdings wurden da sogenannte VaterlandsverräterInnen, die aus dem NS-Regime flüchteten, gemeint. Zusätzlichen ist mit der Vertreibung der jüdischen JournalistInnen eine gewisse Art der Recherche in Österreich verloren gegangen. Anders als im Christentum, ist es im Judentum üblich, Wissen durch ein ständiges Hinterfragen und Diskutieren mit dem Rabbiner zu erlangen. Das hat sich auch in der Berichterstattung jüdischer JournalistInnen widergespiegelt, denn das ist eigentlich das journalistische Prinzip.“ 

Zur Problematik der Frames in der aktuellen Berichterstattung erklärt Sowinetz, dass Flucht und Migration sehr komplexe Themen seien, die sich nicht in einem kurzen Artikel erklären lassen. Viele Redaktionen hätten mit schrumpfenden Ressourcen zu kämpfen und somit fehlten oft Zeit, Geld und Möglichkeiten, ein Thema ausreichend zu beleuchten fehlen. „Daher versucht man, komplexe Inhalte einfach und schnell runter zu brechen und das führt dann zu den gängigen Erzählmustern. Auch Soziale Medien, in denen sehr emotional diskutiert wird, spielen hier eine zentrale Rolle“, sagt Sowinetz. 

Eine Zukunft ohne Frames 

Um Perspektivenverlust zu verhindern und mehr Realität in die Medien und die Politik zu bringen, müssen JournalistInnen ihre Vorurteile hinterfragen und ihr eigenes Tun kritisch reflektieren. Sowinetz verweist zum Beispiel auf die „Checkliste Verantwortungsvoller Journalismus in der Flüchtlingsberichterstattung von The Ethical Journalism Network. Auch UNHCR selbst unterstützt und schult JournalistInnen mittels der Carta di Roma und Guidance by and for Journalists. Die Fundmental Rights Agency der EU ein Tool für ethisch korrekten Journalismus entwickelt, erzählt sie. Das Magazin „DasBiber bietet Schulung bzw. Trainings für JournalistInnen und Menschen mit Fluchthintergrund an, die in den Medien arbeiten wollen. Es gibt einige Tools, man muss sie nur nutzen.“ 

Hausjell sieht die Herausforderung in der Personalpolitik. „Es lohnt sich Talente im Minoritätenbereich zu fördern. Das beste Beispiel dafür ist die New York Times. 2018 gehörten 30% ihrer MitarbeiterInnen zu Minoritäten. Weiters verweist er auf den ökonomischen Aspekt einer weiteren Zielgruppe. Er schlägt vor, einzelne Seiten zweisprachig zu gestalten oder vergünstigte und zeitlich begrenzte Abonnements, ähnlich wie bereits für Studierende vorhanden, für Geflüchtete und MigrantInnen zu diskutieren. Ethno-Marketing ist heute vielen noch ein Fremdwort. Es geht den Medien schlichtweg zu gut, aber das wird nicht immer so bleiben“, so Hausjell. 

 Von Therese Sterniczky