Fake News unleashed: Die Gefahr des Klima-Narrativs

Jeder kennt die Situation: Während der Zugfahrt zückt man das Handy aus der Hosentasche und klickt sich durch soziale Netzwerke und Webseiten. Auf der Suche nach unterhaltsamen Beiträgen poppt ein Deepfake-Video von Greta Thunberg auf, die „vegane Granaten“ und „nachhaltige Panzer“ empfiehlt. Menschen teilen das Video, manche bearbeiten es, und was anfangs als Satire galt wird dann als ernstgenommene Nachricht verwendet. Selbst für Medien und Politiker:innen ist es schwer geworden, Fakt von Fiktion zu unterscheiden. Dieses Beispiel wird als Teil des „radikalen Klimakleber“- Narrativs verwendet, um Klimaaktivist:innen zu diskreditieren. Das führt zur Dämonisierung oder gar Kriminalisierung von Menschen. Woher kommt das „Klimakleber“-Narrativ und welche Auswirkungen hat es für Betroffene?

von JULIAN DÜRNBERGER

Seit mehr als acht Jahren arbeitet Andre Wolf im Bereich Bildungsarbeit sowie Pressearbeit für „Mimikama“, ein österreichischer Verein, der seit 2011 über Internetmissbrauch aufklärt. Das 20- bis 25-köpfige Journalist:innen-Team überprüft Artikel, die als vermeintliche Fake News gemeldet werden und sind auch als Faktenchecker:innen für Medienhäuser wie die „ProSiebenSat1 PULS4“-Group tätig. 

Durch seine langjährige Beobachtung erkennt Wolf ein Muster bei Desinformationen: Sie kommen in Wellen und hängen direkt mit der medialen Berichterstattung zusammen. Je dominanter ein Thema von Medien behandelt wird, desto mehr Fake News tauchen darüber auf. 2019 war ein besonderes Jahr für Klimademos – nämlich das Geburtsjahr der „Fridays for Future“-Bewegung.

2018 blieb Greta Thunberg dem Unterricht fern und begann einen Sitzstreik vor dem Reichstagsgebäude in Stockholm und verbreitete in den sozialen Medien Beiträge darüber, mit dem Hashtag „Fridays for Future“ (kurz: FFF). Das ist der Ursprung der „FFF“-Bewegung, die sich durch Schüler:innen weltweit organisierte. Ab 2019 auch in Deutschland und Österreich. Die Klimaaktivist:Innen waren in deutschsprachigen Medien omnipräsent. In sozialen Netzwerken werden nicht nur „#Fridays for Future“- Beiträge über Klima-Demos verbreitet, sondern auch Fake News. 

Fake News & Framing – Instrumente der Desinformation

DDesinformation und Fake News sind nicht dasselbe. Wolf beschreibt Desinformation als einen Überbegriff und Fake News sind kleine nadelstichartige Falschmeldungen, die in den Medien auftauchen. Sie sind den Desinformationen dienlich, um eine Geschichte zu erzählen – das sogenannte Narrativ. Wolf meint, dass bestimmte Narrative immer wieder auftauchen. Damals wurden Klimaaktivist:innen von Boulevardmedien wie der „Bild“, der „Heute“ und „oe24“ als Heuchler hingestellt. Zum Beispiel wird in einem oe24-Bericht behauptet, dass KlimaktivistInnen in Deutschland für das Demonstrieren bezahlt werden. Auf der österreichischen Website der „Letzten Generation“ wird offen erklärt, dass das Geld von freiwilligen Spenden stammt, die für die Organisation für Demos und die Verpflegung für Demonstrant:innen verwendet wird. Keiner der „Klimakleber“ in Österreich bekommt für das Demonstrieren ein Vollzeit-Gehalt, trotzdem werfen in unserem Land die Gegner der Klimademos der „Letzte Generation“ genau das vor. Es wird ein Narrativ geschaffen, das darauf abzielt, Klimademos kleinzureden und Jugendliche, die daran teilnehmen, unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Somit lenkt man vom Klimawandel ab und konzentriert sich auf die „Heuchler“, die Klimaaktivist:innen. 

Ab 2020 überschatteten Corona-Pandemie und der Ukrainekrieg das Klima-Thema, was zur Folge hatte, dass die Fake-News-Welle über Klimademonstrationen abflachte. Doch über die Jahre wurde das Narrativ radikaler, die Aktivist:innen der „Letzten Generation“ werden nun von Medien und Politik als „Klimakleber“ abgestempelt. Wieder ein Begriff, der vor allem diskreditieren soll. 

In der Sozialwissenschaft wird Framing als bewusst gesteuerter Prozess bezeichnet, der uns im Alltag häufig begegnet. Per se ist es ein legitimes, stilistisches Instrument für Journalist:innen – doch manchmal wird es für negative Zwecke missbraucht. Laut dem Glossar der Mimikama-Webseite bezeichnet man mit dem Begriff „den gezielten Einsatz von Sprache, Bildern und Symbolen“ und beeinflusst die Denkweise über ein Thema oder eine Person. Mit dem Begriff „Klimakleber“ untergräbt man die Autorität der Aktivist:innen. Man erhält ein Bild im Kopf, das einem suggeriert: Nimm diese Person nicht ernst! Nicht nur die Medien übernehmen das Wort in ihren Artikeln, sondern auch die Politiker:innen. Die FPÖ nimmt die Aktionen der „Letzten Generation“ in Deutschland und Österreich als Anlass, um das Narrativ des „Klimaklebers“ weiterzuspinnen. Im Juli 2023 reden Hafenecker, Waldhäusl und Nepp von „Klimaterroristen“. Ein Narrativ, das seine Wirkung zeigt.

Wenn verbale Waffen wehtun

Die „Letzte Generation“ wird in ihren Aktionen radikaler, indem sie häufiger Straßen blockieren und Gemälde verunstalten. Das schürt den Hass der Gegner von Klimademos und manche von ihnen beginnen, Klimaaktivist:innen zu belästigen, sowohl persönlich als auch in sozialen Netzwerken. Die Auswirkungen sind verheerend. 

Resa ist 28, von Beruf Physiotherapeutin und setzt sich in ihrer Freizeit für Menschen und das Klima ein. 2023 koordinierte sie für ein paar Monate ein Flüchtlingsprojekt in Griechenland, wo sie realisierte, dass der Klimawandel ein massiver Faktor für Fluchtursachen und Fluchtbewegungen ist. Aus diesem Grund trat sie 2023 der „Letzten Generation“ bei. 

„Es ist nicht angenehm für uns, da irgendwo zu sitzen und zu kleben.“, sagt Resa. Die Welt durch Protest zu verbessern, klingt schön, ist es aber nicht. Wenn man Menschen durch Straßenblockaden in ihrem Alltag stört, auch wenn es für einen guten Zweck ist, dann entgegnen die wenigsten mit Verständnis. Besonders in sozialen Netzwerken bekommt man den Hass der Gegner der Klimademos zu spüren. Auf Social Media müssen Klimaaktivist:innen Kommentare wie „Ihr gehört alle vergast“, „Ihr gehört aufgehängt“, oder „Ihr gehört ins Arbeitslager gesperrt“, über sich ergehen lassen.

Gegen verbale Attacken bei Klimademos wehrt sich Resa nicht mit Gewalt, sondern mit Verständnis. „Oft sind sich Zukunftsangst, Existenzängste, politische Ängste eigentlich ähnlich.“ Sie konfrontiert auch die aggressiven Personen mit Fragen über ihr Handeln, was meistens zur Deeskalation führt – gewaltfrei und friedlich. 

Solche Aussagen können an einem nagen, vielleicht sogar tagelang. Solche Aktionen sind energiezehrend, aber damit umzugehen müsse jeder selbst lernen, meint Resa. Als Klimaterrorist:in bezeichnet zu werden, findet sie falsch und zynisch. Menschen schmeißen mit solchen Begriffen achtlos herum, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was es bei den Leidtragenden auslöst. Die Schuld an der emotional aufgeheizten Klima-Debatte sieht sie nicht nur bei Politiker:innen, sondern auch bei den Medien. Die Hemmschwelle, zu attackieren, ist aufgrund unreflektierter Berichterstattung niedriger geworden. Wenn sich Medien des Narrativs des „Klimaklebers“ bedienen, dann sprechen sie indirekt eine Legitimation aus, den Klimaaktivist:innen gewaltvoll zu begegnen.

Der 65-jährige Baumpfleger Christian (Name von der Redaktion geändert) ist schon seit den 1970ern aktiv. Er war bei der Anti-Atomkraft-Bewegung dabei, doch danach haben sich seine Prioritäten durch die Familie geändert. Die Klima-Demonstrationen hatte er zunächst nur über die Medien verfolgt. Und den Klimawandel ignorierte er trotz besseren Wissens, wie er sagt. Es ließ ihm keine Ruhe, bis er entschied, sich der „Letzten Generation“ anzuschließen. 

Die Angst vor den verheerenden Folgen des Klimawandels war zu groß und brachte ihn dazu, etwas zu unternehmen. Seine Familie macht sich Sorgen, steht aber trotzdem hinter ihm. Schließlich demonstriert er nicht nur für seine Zukunft, sondern auch für die Zukunft seiner Kinder und Enkelkinder. Während der Straßenblockaden wurde er schon verbal attackiert, doch das hält er aus. Einmal wollte ein Klimademo-Gegner Christian sogar über den Haufen rennen, aber er blieb standhaft und hielt ihn auf Distanz. Trotz allem hat er Verständnis für jene, die ihm mit Hass begegnen. Genauso weiß er auch, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ sein müssen, um Aufmerksamkeit auf die Klimadebatte zu lenken. Für Christian ist klar, dass österreichische Politiker:innen die „Letzte Generation“ bewusst ignorieren wollen. Der Versuch, Klimaaktivist:innen zu kriminalisieren soll – so sagt Christian – deren Versäumnisse in Sachen Klimawandel kaschieren. Anstatt klimapolitische Lösungen zu finden, werde Hass in der Gesellschaft geschürt.

Christian fühlt sich von der Politik im Stich gelassen und Resa ist enttäuscht, wie unreflektiert Medien über Klimaaktivist:innen berichten. Die Wirkung von Fake News und Framing liegt auf der Hand, aber wer ist tatsächlich Schuld an der emotional aufgeheizten Klima-Debatte? Politik und/oder die Medien? Geht es nach Mimikama-Pressesprecher Andre Wolf, ist das eine Henne-Ei-Frage. Teils erfinden Boulevardmedien neue Narrative, aber teils tun das auch Politiker. Auf die Frage, wie gegen Desinformation vorgegangen werden kann, gibt es aber Antworten. Die Journalistin und Digitalmedien-Expertin Ingrid Brodnig bietet etwa eine mögliche Vorbeugung gegen Fake News an. Sie ist der Meinung, dass heterogene Netzwerke wichtig seien, um Verständnis für den Standpunkt Andersdenkender zu bekommen, und verweist auf zwei Studien der Universität Wisconsin. Konkret: Ist man sich unsicher über seine Position zu einem bestimmten Thema, sollte man raus aus seiner sozialen Bubble und mit Andersdenkenden in Kontakt treten. Schon ein Plausch – sei es online oder persönlich – mit andersdenkenden Studien- oder Arbeitskolleg:innen reicht, um sich zu vergewissern, wie man selbst zu einer Sache steht.

Julian Dürnberger | Copyright: Julius Nagel