Von Sophia Olesko
Es ist sieben Uhr morgens und du öffnest die Radio-App auf deinem Handy. Zeit für die Nachrichten und das Wetter. Das Moderator*innen-Team steht noch nicht im Studio, aber das fällt nicht auf. Durch Technologien, die von KI-Gebrauch machen, wird ein automatisch erstelltes Skript von einer synthetisierten Stimme vorgelesen. Sie klingt täuschend echt: „Das war das Wetter und ich bin Sanja, deine KI-Moderatorin!“
KI regt auf und regt an
Nicht nur Privatpersonen nutzen die Automatisierungsmöglichkeiten, die eine KI bietet. Zum Beispiel beim Verfassen eines Textes durch ChatGPT oder zur Generierung eines KI-Bildes, wie das vom Papst in der Balenciaga-Jacke. Künstliche Intelligenz, auf Englisch Artificial Intelligence (AI), wird in verschiedenen Branchen genutzt. Etwa in der Musikbranche, wobei hier kürzlich die Veröffentlichung des KI-generierten Songs Heart on My Sleeve für Aufregung sorgte. Mittels einer KI-Anwendung wurde hierbei von einer anonymen Person ein Song produziert, der klang, als wäre er von den kanadischen Stars Drake und The Weeknd eingesungen worden. Mittels der sogenannten Sprachsynthese wurde eine KI durch Audiomaterial der Artists trainiert und konnte so ihre Stimmen nachahmen. Dieses Beispiel zeigt auf, welches Potential hinter den KI-Technologien steckt.
Auch für die Radiobranche sind diese Entwicklungen von großer Bedeutung. „Jede Woche habe ich das Gefühl, ich kriege irgendeine Meldung oder neue Website, die noch bessere Tools zur Verfügung stellen“, erzählt Michael Fischeneder, der sich mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzt und sich selbst als technikgetrieben beschreibt. Mit Tools meint er zum Beispiel eine Audio-zu-Text Anwendung, wie mygoodtape.com, die eine Audiodatei zu Geschriebenem umwandelt. Oder auphonic.com, eine Webservice der die Hintergrundgeräusche von Interviews durch KI-Technologie entfernt.
KI zum eigenen Vorteil nutzen
Early Adopters, wie der Programmchef der Antenne Steiermark, arbeiten daran, KI-Anwendungen in Arbeitsabläufen zu integrieren und ihre Teams auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Generell sei die Radiobranche experimentierfreudig, erklärt Fischeneder. Durch KI kann die Playlist für den Webstream besser automatisiert werden, in der Audio-Aufbereitung werden O-Töne von Hintergrundgeräuschen befreit oder Songs für Jingles von der Leadstimme. Diese kann die KI einfach „rausrechnen“. „Es geht darum, dass die Tools, die uns in die Hand gegeben werden, uns das Leben vereinfachen können, damit wir dann in weiterer Folge unsere Stärken noch besser ausspielen. Denn der Mensch ist kreativ, aber wenn ich am Tag zehnmal das Gleiche mache, dann sage ich mittlerweile ‚Muss das sein, oder könnten wir das irgendwie automatisieren? Damit man dann mehr Zeit hat in weiterer Folge, um kreativ zu sein.“
Webseiten, die KI-Anwendungen anbieten, sprießen derzeit in die Höhe wie Unkraut. Das Internet ist eine wahre Fundgrube für alle, die die Möglichkeiten der KI-Automatisierungen erproben möchten. Einen Überblick zu behalten, ist dabei aber derzeit schwer möglich. Jedoch bringt eine einfache Suchmaschinen- Eingabe vieles ans Licht. Mit Suchbegriffen, wie „Beste KI für Transkription“ oder „AI tools for business“ erscheinen seitenweise Listen mit bereits einsetzbarer Software. Diese variieren aber stark in der Qualität, sodass man wohl oder übel im Moment darauf angewiesen ist, sich durchzuprobieren. Die angebotenen Services sind dabei anfangs gratis, kosten aber bei regelmäßiger Anwendung gar nicht so wenig. Sie stellen für viele IT-Unternehmen eine neue Einkommensquelle dar.
Schlechte Nachricht für Moderator*innen?
Wie sieht es aber aus, wenn man die Services von Futuri Media´s RadioGPT in Anspruch nimmt? Die AI-Technologie des IT-Unternehmens kann beliebte Themen erkennen, daraus ein Skript schreiben und dieses mit täuschend menschlich klingenden Stimmen vorlesen. „Es handelt sich um ein End-to-End-System. Das ganze System ist so konzipiert, dass es das alles für Sie erledigt“, sagt Zena Burns, die bei Futuri für „Content und Special Projects“ zuständig ist. RadioGPT hat vier Komponenten: Echo, TopicPulse, die GPT- 4-Technologie sowie das Text-zu-Sprache Element. Das patentierte System namens Echo ist in der Lage zu erkennen, was auf dem Radiosender passiert, was gerade gespielt wurde und was demnächst folgt. Es ist das Bindeglied, das den anderen Komponenten mitteilt, was tatsächlich auf Sendung ist.
TopicPulse ist eine KI-Technologie, die Facebook, Twitter, Instagram und über 250.000 andere Nachrichten- und Informationsquellen im Internet und in den sozialen Medien scannt. So werden Geschichten ausfindig gemacht, die für die Zielgruppe relevant sind. Hier gibt es auch eine prädiktive Komponente, die Erkenntnisse darüber liefert, welche Themen demnächst viral gehen werden. Dieses System ist seit etwa zehn Jahren verfügbar und wird ständig weiterentwickelt, tausende von Content-Produzent*innen nutzen es bereits.
TopicPulse hat ein Team von menschlichen Moderatoren, die die Daten überprüfen, und ist die einzige Komponente von RadioGPT, an der Menschen beteiligt sind. Die GPT-4-Technologie von OpenAI als dritte Komponente, kann verschiedene Dinge tun. Sie ist vielen als die Methode hinter ChatGPT bekannt. Die Technologie erstellt zum Beispiel ein Skript auf der Grundlage von TopicPulse. Dieses wird dann durch die letzte Komponente vorgelesen, dem KI-Stimmensystem. Diese Stimmen können dabei mit verschiedenen Eigenschaften erschaffen werden, zum Beispiel mit einem gewissen Sarkasmus. Mit den Technologien von Futuri ist es Radiostationen so möglich, digitale Persönlichkeiten zu erschaffen.
Wir brauchen mehr Kreativität denn je
Sieht so aus, als könnten die Morningshow- Moderator*innen nun bald alle jeden Tag ausschlafen. Dass sie ganz ersetzt werden sollten, denkt Burns aber nicht. „Wir sind der festen Überzeugung, dass die beste Art, RadioGPT zu nutzen, darin besteht, lokale Talente zu umgeben“, verrät die Senior-Vice-Präsidentin. In vielen Ländern gäbe es nur sehr wenige Radiosender, die rund um die Uhr Live-Inhalte ausstrahlen und nur tagsüber Beiträge von Menschen senden, die sich tatsächlich in den Städten befinden, aus denen sie senden. Deswegen würde Radio Sendezeiten an die Streaming-Dienste abtreten, weil es nichts Frisches und Ansprechendes gebe, erklärt Burns. Generell geht der Trend bei Audio-Angeboten Richtung Streaming und On-Demand-Services. Radio verliert seit Jahren Rezipient*innen und ist gefordert, sich anzupassen. Da ist es keine Überraschung, dass Radiostationen aus mehreren Dutzend Ländern rund um die Welt am Angebot von RadioGPT interessiert sind. Wie sehr die derzeitigen technischen Innovationen dazu beitragen können, wettbewerbsfähig zu bleiben, ist ein Thema, das den Mediensektor stark beschäftigt. „Denn es gibt Dinge, die eine künstliche Intelligenz nicht leisten kann, oder?“, gibt Burns zu bedenken. „Künstliche Intelligenz kann keine Spendensammlungen veranstalten oder mit Werbetreibenden zusammenarbeiten, um eine Werbekampagne zu entwickeln“. Im Prinzip kommt auch das End-to-End-System von Futuri nicht ohne Menschen und deren Kreativität aus. Denn das Konzept einer Radioshow, und die Personality der KI-Stimme, ist nach wie vor eine Entscheidung, die von Menschen getroffen werden muss.
Auch Fischeneder sieht derzeit nicht die Möglichkeit, ein Radio ohne Menschen zu betreiben. „Wir sehen uns als Entertainment-Factory, wenn ich an meinen Kollegen in der Früh denke“, erzählt er. Dieser schreibt Lieder über steirische Gemeinden und spielt sie selber ein, dabei nützt er Informationen, die die Hörer*innen dem Radiosender zukommen lassen. Das könne eine KI zwar auch, räumt Fischeneder ein, bei der Hörerschaft würde man damit aber mal nicht gewinnen. Bezüglich des Einsatzes von Sprachsynthese relativiert der Programmchef, dass es das sicher mal geben werde, dass er einige Stunden Sprach-Audiomaterial in ein Modul reinladen würde, um einen Moderator simulieren zu können. „Trotzdem wird mir der Morningshow-Moderator hin und wieder Antworten geben, mit denen ich jetzt vielleicht nicht rechne“, erklärt Fischeneder. Man müsse nichtsdestotrotz dranbleiben. Sein Fazit: „Nutze die Technik, um dein Produkt zu verbessern und nicht, um dich wegzurationalisieren.“
Künstlich, aber nicht fake
Wenn aber eine Technologie eingesetzt wird, um Themen auszumachen, die im World Wide Web kursieren und daraus ein Skript zu schreiben, kursieren dann nicht sofort Falschnachrichten im System? TopicPulse von Futuri wird seit zehn Jahren von Menschen „trainiert“, erklärt Burns. Künstliche Intelligenz sei nur so gut wie die Informationen, mit denen sie gefüttert wird. Ein Verifizierungssystem, das präventive Filter beinhalte, würde das Auftreten von spekulativen oder ungenauen Inhalten, die manchmal als Halluzinationen bezeichnet werden, überprüfen und reduzieren. „Wir haben eine Reihe von Schutzmaßnahmen und Filtern eingerichtet, um sicherzustellen, dass solche Dinge oder anstößige Inhalte nicht durch das System gelangen“, erklärt die Senior-Vice-Präsidentin. Wie das klingt, kann jeder selbst nachhören.
RadioGPT bietet eine Livestream-Demoversion an, wo man hören kann, wie die Stimmen, die die Firma zur Verfügung stellt, klingen und welche Informationen das System anbietet. Neben Songs aus den 80s und 90s (Overkill von Men At Work hat es gleich in meine Playlist geschafft) sind im Demo-Stream KI-Stimmen zu hören, die in fast jeder Moderationsstrecke erwähnen, dass sie künstlich erschaffene Personen sind. Nach dem Grund dafür gefragt antwortet Burns darauf: „Wir denken, wenn eine Künstliche Intelligenz eingesetzt wird, um einer ganzen Sendung eine Stimme zu geben, sollte das wahrscheinlich offengelegt werden. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie man KI-Stimmen im Rundfunk nutzen kann, die nicht unbedingt eine Offenlegung erfordern.“ Dafür nennt sie als Beispiel einen Moderator, der in 50 verschiedenen Märkten auftritt. Das Radiosystem von Futuri könne die Stimme dieser Persönlichkeit das Wetter in Echtzeit in all diesen 50 lokalen Märkten vorlesen lassen. So, dass es sich sehr live und lokal anfühle. Wie so oft hat hier Amerika einen gewaltigen Vorsprung in der Technologie. Ob diese technischen Innovationen auch bald in unseren Breitengraden angewendet werden, wird die Zeit weisen.