Rüstungsindustrie vs. Medien: Der Kampf um Transparenz

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Österreichische und deutsche Waffenexporte finden Abnehmer in vieler Herren Länder. Egal ob Glock-Pistolen oder Tornado-Kampfjets. Nicht egal ist, in welche Hände diese Waffen gelangen. Oftmals heißt es Tarnung und Täuschung statt Transparenz. Recherchen zweier Medien haben gezeigt, dass das kriegführende Saudi-Arabien zu den größten Abnehmern zählt. Deren Journalisten Andreas Wetz und Philipp Grüll zeigten SUMO die Details.

Ist von Bundesheer oder Bundeswehr medial die Rede, geht es oft um Sparzwänge, Pleitewarnungen oder gescheiterte VerteidigungsministerInnen. Geht es um die jeweilige Waffenproduktion, sieht die Lage anders aus. In Deutschland, je nach Quelle viert- oder fünftgrößter Waffenexporteur, gibt es eine Vielzahl an Berichten einer nicht minder großen Zahl an Zeitungen darüber, wohin wie viele Rüstungsgüter gehen. In Österreich sind solche recht selten. Andreas Wetz, Redakteur von „Addendum“, ist der Meinung, dass in Deutschland auf jeden Fall anders über Waffenexporte berichtet werde und es dort mitunter einen objektiveren und wertneutraleren Zugang zum Thema gebe, während Rüstungsberichte in Österreich immer den Geruch eines illegalen Charakters hätten. Dies sei auch ein wesentlicher Beweggrund gewesen, warum sich die Rechercheplattform entschloss, eine multimediale Onlinereportage zu den österreichischen Waffenexporten zu erstellen. Laut Wetz war es das Ziel, so objektiv wie möglich über die österreichischen Waffenexporte zu berichten, ohne von vornherein zu sagen, dass alles schlecht wäre. Die Analyse dieser Reportage und der Vergleich mit einer deutschen Reportage des ARD-Politikmagazins „report München“ soll zeigen, wie es gelingen kann, ein recht eindimensional erscheinendes Thema crossmedial und umfassend aufzubereiten. Im zweiten Teil dieses Berichts wird gezeigt, inwieweit man an konkrete Informationen über österreichische Waffenexporte gelangen kann. Hierfür wurden die offiziellen Kanäle der größten österreichischen Rüstungshersteller und der zuständigen Bundesministerien durchsucht.

„Rüstung für die Welt: Wen Österreich beliefert“ ist Teil des „Addendum“-Projekts „Schaffen Waffen Frieden“. Zehn Artikel und eine Fernsehdokumentation beleuchten die österreichische Rüstungsindustrie, das österreichische Bundesheer und das Thema „Kriegsführung“. Statt einer bloßen Aneinanderreihung von Fakten, Zahlen und Statistiken werden die Informationen grafisch aufwendig und ansprechend dargestellt. Eine Weltkarte visualisiert die wichtigsten Importländer österreichischer Rüstungsgüter. Eine Österreichkarte zeigt die Standorte der wichtigsten österreichischen Waffenproduzenten. Weitere Bilder und zwei kurze Videos eines Schützenpanzers und eines aufschlagenden Gewehrprojektils ergänzen den Bericht. Die große Präsenz von Karten und Grafiken erklärt Projektleiter Wetz damit, dass diese die inhaltliche Darstellung für die LeserInnen greifbarer machen, als Texte und Tabellen. Damit könne viel leichter Interesse am Thema geweckt werden. Würde man örtliche Lagen nicht mit Karten beschreiben, wäre das, als wenn man eine Farbe beschreiben würde, anstatt sie abzubilden.

Österreichs Rüstungsexporten in Zahlen

Zwischen 2004 und 2017 exportierte Österreich – laut Exportbericht für Militärgüter –  Rüstungsprodukte im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Zurzeit sind 133 Unternehmen als Produzenten von Rüstungsgütern registriert. Die größten Marktteilnehmer sind Glock, Steyer-Mannlicher und Hirtenberger Defence. Nach den USA, Großbritannien, der Schweiz,  Kanada und dem Oman folgt auf Platz sechs der Abnehmer Saudi-Arabien. 2016 orderte das sunnitische Königreich 68 Granatwerfer und war damit der Hauptabnehmer der Mörsersysteme von Hirtenberger Defence. Diese Information kam erst durch eine parlamentarische Anfrage an das Innenministerium ans Licht und wurde von „Addendum“ veröffentlicht. Auch Militärfahrzeuge aus Österreich finden deutlich mehr Abnehmer im Nahen Osten als in Europa. Laut „profil.at“ (7.9.2016) lieferten österreichische Hersteller 2015, als der Jemenkrieg bereits ausgebrochen war, Waffen um 30 Millionen Euro nach Saudi-Arabien, 2016 um vier Millionen Euro.

Mit Google Earth Waffenexporte aufgedeckt

Anfang 2019 entstand das Projekt „#GermanArms“, bestehend aus 15 RedakteurInnen des niederländischen „Lighthouse Reports“, des „Stern“, des Investigativnetzwerks „Bellingcat“, der „Deutschen Welle“ und des ARD-Politikmagazins „report München“. Sie untersuchten, welche Rolle deutsche Waffen im Krieg von Saudi-Arabien und dessen Verbündeten gegen den Jemen spielen. Für ihre Recherche nützte das Team nur freizugängliche Quellen. Zu diesen sogenannten Open Source Intelligence (OSINT) zählten Satellitenbilder von Kartendiensten, „YouTube“-Videos und Inhalte von Social Media-Plattformen. Im SUMO-Interview erklärt Philipp Grüll, beteiligter ARD- und „Bayerischer Rundfunk“-Redakteur, die Vorgehensweise der Recherche. Zuerst wurden aus den Bundestagsanfragen über Rüstungsexporte und den Rüstungsexportberichten der vergangenen zehn Jahre die Lieferungen bestimmter Waffentypen in heikle Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate zusammengefasst. Der Fokus lag auf leicht erkennbaren Kriegsmaterialien wie Schiffen, Flugzeugen und Panzern. Bei einem zweiwöchigen Bootcamp wurde dann unter anderem mittels arabischer Bezeichnungen für Panzertypen oder die saudische Nationalgarde bei Google, „YouTube“ und in sozialen Netzwerken nach Quellen gesucht. Auch auf den privaten „Instagram“-Konten saudischer Soldaten wurde man fündig. Wenn man bereits genau wisse, wonach man suchen muss, werde man mit viel höherer Wahrscheinlichkeit etwas finden, erläutert Grüll. Mit der Downloadversion von Google Earth etwa können auch ältere Aufnahmen angesehen werden, wodurch saudische Stellungen an der Grenze zum Jemen ausfindig gemacht wurden. Die Recherche sei trotz der offen zugänglichen Quellen sehr aufwendig gewesen. Nach stundenlangem Starren auf Satellitenaufnahmen bekam man öfter einen Tunnelblick. Daher sei es wichtig gewesen, dass das Team groß genug war und genug Zeit hatte. Am 26. Februar 2019 wurden die Erkenntnisse dieses Projekts auf der Website des „Bayerischen Rundfunks“ veröffentlicht. Und somit enthüllt, dass deutsche Waffen im Jemen-Krieg zum Einsatz kommen. Die Informationen werden in einem knapp sechsminütigen Fernsehbeitrag für „report München“ in der ARD und als Fließtext samt Bildern und Zitatboxen präsentiert. Unter anderem wird ein Video eines Tornadowracks der saudischen Luftwaffe gezeigt, das laut Abgleich mit Satellitenbildern und anderen Quellen eindeutig über dem Jemen abgestürzt ist. Das Projekt habe ihm die Augen geöffnet, so Grüll, dass man zu all diesen Erkenntnissen keine geheimen Dokumente braucht, sondern nur einen Internetanschluss. Während die deutsche Bundesregierung trotz Geheimdiensten, zumindest nach eigenen Angaben, bis damals nicht zu diesen Erkenntnissen gelangt war. Der klassische Weg mittels menschlicher Quellen sei zwar nach wie vor wichtig, die Recherche über Internetquellen eröffne aber eine ganz neue Dimension. Angesprochen auf die Problematik möglicher Quellenfälschung mittels Photoshop etc., betont Philipp Grüll die große Wichtigkeit der Verifizierung, da in einem Krieg als erstes immer die Wahrheit sterbe. Ein Foto alleine reiche nicht. Mittels weiterer Quellen wie Agenturmeldungen oder Videos werde aus Puzzlesteinen ein Bild zusammengefügt, das einen verifizierten Beleg ergebe. Wenn die Indizien nicht ausreichten, wurden diese Fälle nicht veröffentlicht.

Österreichs Waffenexportrecht

Grundsätzlich müsse im österreichischen Waffenexportgesetz berücksichtigt werden, dass Rüstungsgüter den drei Kategorien „Kriegsgüter“, „Militärgüter“ und „Dual-use-Güter“ zugeordnet werden. Zu ersterem zählen Kampfpanzer, Rohrwaffen, Maschinengewehre oder Granaten, wie Andreas Wetz ausführt. Für Exportgenehmigungen für diese Güter ist das Innenministerium zuständig. Unter den Begriff „Militärgüter“ fallen unter anderem Flugsimulatoren, Logistikfahrzeuge oder gepanzerte Fahrzeuge ohne Bewaffnung. Diese Güter erhalten die Exportgenehmigung durch das Wirtschaftsministerium. „Dual-use-Güter“ können sowohl zivil, als auch militärisch genutzt werden. Die Unterscheidung ist wichtig, da es bei den Militärgütern einen wesentlich größeren Spielraum gebe und von diesen wesentlich mehr exportiert werde als von den Kriegsmaterialien, die strengeren Regeln unterliegen. Prinzipiell wäre es laut Wetz aber möglich, auch die Gesetze für die Ausfuhr von Militärgütern zu verschärfen. Das Verteidigungsministerium habe nur bedingt Mitspracherecht bei Waffenexporten, wenn Kriegsgüter in ein Land exportiert werden, in dem das Bundesheer im Zuge eines Auslandseinsatzes aktiv ist, und es Bedenken gäbe, dass österreichische Waffen gegen österreichische SoldatInnen eingesetzt werden könnten. Alle Exporte, die Militärgüter betreffen, müssen dokumentiert und als Liste an die EU-Kommission gesandt werden. Dabei können 23 verschiedene Kategorien von der Pistole bis zum Nuklear-U-Boot unterschieden werden, so Wetz. Der österreichische Bericht wird nicht vom zuständigen Innenministerium veröffentlicht, sondern ist nur über die gesammelte Veröffentlichung der Waffenexportberichte aller 28 EU-Mitgliedsstaaten einsehbar. Jedoch in kaum lesbarer Form: Auf den einzelnen Seiten dieser Berichte stünden meist nur Zeilen und Spalten ohne Bezug zu bestimmten Ländern oder Kategorien, merkt Wetz kritisch an. Um diese enorme Datenmenge auswerten zu können, gelang es dem Datenteam von „Addendum“, die Berichte maschinenlesbar zu machen. Dadurch war es möglich, die offiziell genehmigten und somit legalen Waffenexporte zu identifizieren. Die Auswertung dieser Berichte war die Hauptquelle für die Rechercheergebnisse.

Tarnung statt Transparenz

2010 wurde ein nationaler Report zu den Rüstungszahlen in Österreich eingestellt. Dies ist ein Grund, warum Österreich laut dem Stockholmer Friedensinstitut eines der intransparentesten Länder Europas im Waffenlieferbereich sei, wie „profil.at“ (7.9.2016) berichtete. Diesem Ergebnis kann Andreas Wetz insofern zu stimmen, wenn es darum geht, wie die Behördentransparenz in Bezug auf diesen Wirtschaftssektor aussieht. Der jährliche Waffenexportbericht des Innenministeriums wird nur über den Umweg der EU veröffentlicht. Auf eine Anfrage an das Außenministerium zu einem Gutachten für ein fragwürdiges Exportland, erstellt für das Innenministerium, wartet „Addendum“ zum SUMO-Interviewzeitpunkt bereits über 450 Tage.

Erkenntnisse der Eigenrecherche

Statt nur von anderen Ergebnissen zu berichten, hat SUMO den Selbstversuch gestartet und eine eigene Recherche durchgeführt. Die zuständigen Ministerien veröffentlichen keine Exportinformationen auf ihren offiziellen Kanälen. Auch auf den Unternehmenswebsites der Hersteller Glock, Steyr-Arms und Hirtenberger Defence gibt es keine Angaben, in welche Länder P-80, StG77 und Granatwerfer geliefert werden. Auffallend ist, dass es trotz detaillierter Produktinformationen bei Glock und Steyr-Arms keine Preisangaben gibt. Die Hirtenberger Mörser werden ausschließlich durch Bilder repräsentiert, aber die kann man schließlich auch nicht privat erwerben. Bei Steyr-Arms, Österreichs größtem Hersteller von Jagd- und Behördenwaffen mit einem Exportanteil von über 90%, erfährt man, dass es Niederlassungen in Russland, Südafrika, Argentinien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt. Glock unterhält neben den Standorten in Europa und den USA auch Vertretungen in Panama und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Daraus gewisse Schlüsse zu ziehen, so Andreas Wetz, wäre jedoch voreilig, weil eine Handelsniederlassung in einem Land noch nicht bedeute, dass der jeweilige Staat beliefert werde. In vielen Ländern gebe es auch einen großen Nichtbehördenmarkt für zivil erlaubte oder Jagdwaffen. Außerdem führt Wetz aus, sei ein Unternehmen prinzipiell nicht verpflichtet gegenüber der Öffentlichkeit anzugeben, mit wem es Geschäfte mache. Manche Produzenten hätten Referenzkunden, wie Steyr-Arms mit dem Bundesheer. Aber bei Lieferungen an Spezialeinheiten müssten sich die Produzenten zur Verschwiegenheit verpflichten. Laut Philipp Grüll sollte die Öffentlichkeit jedoch grundsätzlich ein Anrecht haben zu erfahren, welche Güter aus Deutschland wohin exportiert werden. Hier seien die Interessen einer Demokratie höher als Unternehmensinteressen zu gewichten.

Ein zwiegespaltenes Verhältnis

Aus den Erfahrungen des „Addendum“-Projekts geht hervor, dass in der Rüstungsbranche eine gewisse Furcht vor Öffentlichkeitsarbeit herrsche, da die Medien diesem Wirtschaftszweig eher kritisch eingestellt seien. Was dazu führe, dass von den Rüstungsunternehmen generell wenige Informationen an die Öffentlichkeit preisgegeben würden. Daher waren für das „Addendum“-Team auch zahlreiche Vorgespräche nötig, um Leute aus der Rüstungsbranche zu Interviews zu bewegen. Aber es gebe auch innerhalb der Branche große Unterschiede. Während bei Steyr-Arms sowohl der Eigentümer, als auch der Geschäftsführer für Interviews bereitstanden, wurde eine Gesprächsanfrage an Glock nicht einmal beantwortet. Transparenz sei in gewisser Weise auch eine Unternehmensphilosophie. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob über Rüstungsgüter gleich berichtet werden sollte wie über Autos. Andreas Wetz betont, dass mit gleicher Objektivität berichtet werden müsse, aber Waffen dennoch nicht ein Gut wie jedes andere seien. Trotzdem sollten Rüstungsgüter nicht an sich verurteilt oder als böse abgestempelt werden. Es komme immer darauf an, wer hinter dem Kauf stünde. Ob Waffen Frieden schaffen oder die Welt ohne sie eine bessere wäre, könne laut Wetz letztgültig nicht eindeutig beantwortet werden. Für Philipp Grüll trägt der Journalismus dazu bei, in der Bevölkerung mehr Bewusstsein über das Thema zu schaffen. Derzeit gebe es etwa einen Exportstopp für Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien; die Ergebnisse von „#GermanArms“ und die Berichte vieler anderer Medien hätten dazu beigetragen. Denn die breite Öffentlichkeit in Deutschland wolle nicht, dass Waffen in Kriegsgebiete geliefert werden. Das hätten Umfragen gezeigt. Dennoch wäre es seiner Meinung nach keine Lösung die Rüstungsindustrie abzuschaffen, denn es sei legitim Waffen zur Verteidigung einzusetzen. Schlussendlich seien Waffen aber keine normalen Exportgüter wie Spielzeuge oder Autos, da missbräuchliche Verwendung dramatische Konsequenzen haben kann. Deshalb seien hier auch strengere Regeln notwendig, die nicht nur auf dem Papier existieren.

Rückblickend auf die rund zweieinhalbmonatigen Recherchen kann Andreas Wetz sagen, dass zum Thema Waffenexporte viele Quellen verfügbar, aber nicht alle leicht lesbar seien. Zahlen alleine könnten den Gesamtkomplex der österreichischen Rüstungswirtschaft nicht verdeutlichen. Leute aus der Branche seien das Salz in der Suppe. Philipp Grüll prognostiziert, das aufwendige Datenabgleiche vielleicht in Zukunft mittels Künstlicher Intelligenz automatisch durchgeführt werden könnten. Ein Vorfall im Ausmaß des hiesigen Noricum-Skandals in den 1980er Jahren (Verbotene Waffenlieferungen an den Iran und den Irak während des ersten Golfkriegs) wäre für Andreas Wetz heutzutage nicht mehr möglich, weil es trotz der nicht überbordenden Transparenz ausreichend Kontrollfunktionen von Instanzen wie dem Parlament oder den Medien gebe.

Von Michael Marsoner