Virtuelle Influencer: Was ist schön, was ist echt?

Von Savanna Plank

Der Großteil von den auf Social Media präsentierten Fotos ist mit Filtern versehen, bearbeitet und retuschiert. Aber was passiert, wenn sich die Nutzer*innen dann auch noch Virtuelle Influencer als Vorbild nehmen?

Copyright: Karoline Szakal

Sie ist Halbbrasilianerin, 19 Jahre alt, lebt in Los Angeles, ist schlank, stets geschminkt. Sie hat dunkles Haar, Sommersprossen auf Nase und Wangen und liebt es, in knalligen Outfits zu posieren – beim Musikhören, Faulenzen am Bett, beim Genießen von Süßigkeiten. Insgesamt hat sie schon mehr als 1200 Postings auf Instagram abgesetzt – und blickt auf mehrere Millionen Follower. Dazu produziert sie Musik und kann Kooperationen mit Chanel, Samsung und Diesel vorweisen. Gemeinsam mit Supermodel Bella Hadid durfte Lil Miquela gar für Calvin Klein vor die Kamera. So weit, so normal, möchte man meinen. Wo bleibt der Twist?

Er lautet: Lil Miquela ist nicht real, sie existiert ausschließlich als Social-Media-Profil. Tatsächlich handelt es sich um einen computergenerierten Charakter, der einem Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht. Durch ihre wachsende Popularität auf Instagram wuchs sie im Handumdrehen zu einem Virtuellen Influencer (VI) heran. Das bedeutet: Sie agiert auf ihrem Account in der Ich-Perspektive, hält ihren angeblichen Alltag fest und teilt ihn. Doch wozu das alles?

Das Geheimnis der VIs Im Fall von Lil Miquela steckt das Technologieunternehmen Brud aus Los Angeles dahinter. Es beschreibt sich als „transmediales Studio, welches digitale, von Charakteren getriebene Erzählwelten schafft“. Dem Artikel The Dark Sides of Deepfakes, Artificial Intelligence and Virtual Influencer zufolge, den Forbes im Jänner 2022 veröffentlicht hat, würden reale Nutzer*innen gerade von dieser Art des Storytellings und der vermeintlichen Empathie der VIs in den Bann gezogen. Besonders innerhalb der Generation Z finden VIs demnach viele Anhänger*innen. Die iiMedia Research von 2021 zeigt, dass 70 Prozent der Fans von Virtuellen Influencern zwischen 18 und 23 Jahre alt sind.

Als Gründe für die Faszination werden unter anderem angegeben, dass die VIs das Bedürfnis nach Ablenkung stillen und es echten Menschen erlauben, in eine alternative Realität einzutauchen, wie das International Journal of Human-Computer Studies 2021 analysiert hat. Die Follower*innen glauben folglich, eine soziale Interaktion zu erleben, auch wenn sie wissen, dass ihr Gegenüber nicht real ist.

Dass sich hinter dem Profil keine echte Person verbirgt, stört die Jugendlichen dabei nicht, wie sich im Fall von Lil Miquela bestätigt hat: Als diese im April 2018 – zwei Jahre nach ihrem ersten Post – auf ihrem Account offiziell zugab, dass es sich bei ihr um einen durch KI generierten Charakter handelt, waren die Reaktionen ihrer Fans gemischt. Während einige von der Offenbarung geschockt reagierten, behaupteten andere wiederum, dass diese es schon von Anfang vermutet hätten. Unabhängig von den unterschiedliche Meinungen, haben die nächsten Jahre gezeigt, dass dieses Geheimnis nicht Miquelas Ruf gekostet hat. Dies spiegelt sich auch in ihrer aktuellen Followerzahl wider.

Virtuelle Schönheiten

Doch woher kommt das Streben nach (digitaler) Schönheit überhaupt – und wird es durch VIs verstärkt? Eine Studie der Universität Salamanca aus dem September 2021, bei der 509 Personen befragt wurden, berichtet, dass sich die Inhalte auf den Accounts von Influencern bei 44,26 Prozent der Befragten negativ auf das eigene Selbstbild auswirken. In dem Artikel des Business Horizon mit dem Titel False idols: Unpacking the opportunities and challenges of falsity in the context of virtual influencers aus dem Dezember 2022, welcher sich mit den Möglichkeiten und Herausforderungen von Virtuellen Influencern für Unternehmen auseinandersetzt, wurde festgestellt, dass die Nutzer*innen abhängig von sozialer Anerkennung sind und nach positivem Feedback streben. Weiters wird darin angeführt, dass Social-Media-Plattformen durch den Einfluss von Virtuellen Influencern weiter verstärkt werden können, da es sich bei den virtuellen Charakteren oft um Frauen handle, die an die Schönheitsideale angepasst sind und unrealistische Erwartungen an den eigenen Körper präsentieren. In diesem werden VIs bereits als potenzielles Risiko für die Zukunft und Medien identifiziert, da sie unrealistische Erwartungen darüber erwecken, was Schönheit, Stil und Kultur ausmacht. In dem Vox-Artikel vom Juni 2019 werden Virtuelle Influencer als „körperlich perfekte Frauen aus Pixeln, die für Frauen stehen, die lange unter Druck standen körperlich perfekt zu werden, ohne dass dies überhaupt möglich war“, beschrieben.

Aber warum folgen wir „schönen“ Personen? „Wir haben alle eine Vorliebe für Schönheit“, sagt Attraktivitätsforscher Ulrich Rosar. Der Grund: „Bei der Betrachtung von schönen Objekten oder Personen, wird unser Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Es macht uns einfach glücklich, weshalb wir es auch immer anstreben.“

Spieglein an der Wand. Wer ist am schönsten im Social-Media-Land?

Doch wer definiert das Ideal? „Man ist dann schön, wenn man möglichst nahe dem Schönheitsideal ist,“ sagt Johannes Krause, Soziologe an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dieses lautet: Bei beiden Geschlechtern wird ein schmales Gesicht, braune Haut, wenig Fettansatz als attraktiv gewertet. Während bei den Schönheitsidealen für Frauen zusätzlich die Kombination aus den Reifemerkmalen – hohe Wangenknochen, konkave Wangen und volles Haar – und dem Kindchenschema – großer Kopf, große runde Augen, kleine schmale Nase – eine Rolle spielt, kommt bei Männern unter anderem ein markanter Unterkiefer hinzu. In der Sozialwissenschaft werden die Ideale anhand des sogenannten Attractiveness Consensus gemessen.

Aber wer ist nun am schönsten im Social-Media-Land? Liegt diese Bewertung im Auge der Betrachter? „Das ist der erste Mythos“, sagt Krause. Zufolge dem Soziologen gibt es einen weitgehenden Konsens, was die Gesellschaft als schön empfindet. Allerdings bedeute das nicht, dass es keine individuellen Präferenzen gibt. Somit setzt sich das Empfinden, ob das Gegenüber als schön wahrgenommen wird, aus zwei Komponenten zusammen: dem Entsprechen der Schönheitsideale und der subjektiven Einschätzung, die sich aus den individuellen Präferenzen ergibt.

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Schönheit im Wandel?

Auch in der Modebranche werden Virtuelle Influencer und Models eingesetzt. Der Grund dafür ist, dass die Unternehmen ihren VIs und Models mittels Computer Generated Imagery (CGI) – erzeugte Bilder anhand von 3D-Computergrafiken – einen vermeintlich perfekten Körper und ein makelloses Gesicht verleihen und somit sicherstellen können, dass diese auch zur Unternehmensästhetik und zum -image passen. Einige renommierte Unternehmen, wie Calvin Klein, setzten bereits in der Vergangenheit VIs für ihre Werbekampagnen ein. Während die erste Kampagne 2019, die Miquela und Bella Hadid küssend zeigte, aufgrund von Queer-Baiting im Internet für negative Reaktion sorgte, dürfte die zweite Kampagne 2022 mit der thailändischen VI Katii für weniger Aufruhr gesorgt haben. Diese posierte als Ergänzung für die MyCalvins-Kampagne, welche weitaus standardisierter war und mehr dem Ablauf der anderen MyCalvins-Sponsorings entsprach.

Seit Anfang April zählt auch das Modelable Levi‘s zu diesen Unternehmen, welches in Zusammenarbeit mit LaLaLand.ai die Stars ihrer Kampagne generierten. Die Begründung: Die virtuellen Models sollen die Diversität in der Modebranche erhöhen. Egal, ob dunkel- oder hellhäutig, groß oder klein, kurvig oder schlank. Durch den Einsatz von VI-Models, wie Plus-Size-Model Brenn Gram oder Non-Binär-Model Bangkoknaughtyboo, wird die Möglichkeit geboten, die Kleidungsstücke an jeden Typ und an jeder Körperform zu präsentieren.

Doch wie viel kosten Virtuelle Influencer?

Genau wie bei menschlichen Influencern, sind auch VI sowie ihre Entwicklungsunternehmen sehr diskret, wenn es um den Preis für die Zusammenarbeit mit Virtuellen Influencern geht. Die wenigsten geben einen ungefähren Richtwert für den Preis ihrer Leistungen an. Im Fall von dem Unternehmen LaLaLand.ai kann monatlich oder jährlich für den Zugang zu seinen Virtuellen Influencern und Models bezahlt werden. Die verschiedenen Angebotspakete werden auf der Webseite angeführt. Je nachdem welches Angebotspaket und welche Teamgröße gewählt wird, kann der Preis zwischen 5700 und 86.400 Euro pro Jahr variieren.

Aber auch außerhalb der Modeindustrie wird versucht, die Werte Diversität und Inklusion zu verbreiten. Kami von itskamisworld ist die erste Virtuelle Influencerin mit Down-Syndrom. In ihrer Instagram-Biografie schreibt sie, dass sie die digitale Welt inklusiver gestalten will. Das Unternehmen The Diigitals – welches sowohl für Kamis als auch für Brenns Existenz verantwortlich ist – wollte eine Figur, welche echte Personen mit Down-Syndrom repräsentiert. Aus diesem Grund wurde Kami anhand von Fotos von mehr als 100 Frauen mit Down-Syndrom in Zusammenarbeit mit Down Syndrom International (DSi) – eine internationale Behindertenorganisation, die sich für die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Down-Syndrom einsetzen und ihr Recht auf volle und gleichberechtigte Teilhabe mit anderen fördert – generiert, um eine authentische Repräsentation von Frauen mit dieser Beeinträchtigung zu garantieren.

Sowohl Kami als auch Brenn haben sich eine Fangemeinschaft mit mehr als 3.000 Personen aufgebaut. Nichtsdestotrotz betrachtet Rosar die vermehrte Repräsentation von vermeintlich normalen Models, um zur Diversität unter ihnen beizutragen, skeptisch und ist der Meinung, dass dies nur zu einem gewissen Teil hilft. „Ich glaube nicht, dass sie sich am Ende gegen den allgemeinen Trend in der Schönheits-, Mode- und Kosmetikindustrie durchsetzen werden“, sagt Rosar. „Es verschieben sich unsere Standards, was wir als normal betrachten. Gemessen an diesen Idealen können ‚normale‘ Menschen nur verlieren“, berichtet Rosar. Dies geht sogar so weit, dass ein Fan unter einem Post von Miquela, in welchem sie mit einem echten Model posierte, kommentierte „der Roboter ist schöner“.

Für ihn versuchen die Unternehmen mit dieser Methode sich von der Konkurrenz abzuheben und das Außergewöhnliche anzustreben. „Einmal sind es die absolut Magermodels, dann sehr große Models, ein anderes Mal mehr exotische Models“, fährt Rosar fort, „Egal, was gerade Mode ist, es gibt die Tendenz in diese Richtung zu optimieren, um sich dann von der Konkurrenz abzugrenzen“.

Verschiebung statt Veränderung

Die Schönheitsideale werden sich zufolge Krause nicht verändern, weder in der evolutionären noch in der sozialen Komponente. Obwohl die Veränderung der sozialen Komponente möglich ist, da diese im Gegensatz zur evolutionären Komponente durch soziale Gegebenheiten beeinflusst werden kann, ist dies für Krause in nächster Zukunft nicht sehr wahrscheinlich.

Savanna Plank | Copyright: Nikolas Rode