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Ihr Blick fiel wahrscheinlich als erstes auf das zu sehende Hintergrundbild.
Ohne es zu bemerken, haben Sie sich in der ersten Zehntelsekunde wortwörtlich schon ein grobes Bild von diesem Artikel gemacht, ohne zu wissen, wovon er überhaupt handelt.Fast zeitgleich haben Sie den Titel wahrgenommen und versuchten, das Bild mit ihm in Einklang zu bringen. Und nun fragen Sie sich, ob Sie wirklich so vorhersehbar sind.
SUMO hat sich dafür die fachkundige Meinung von Cornelia Brantner, Expertin für visuelle Kommunikation und ab Januar am Institut für Geografie, Medien und Kommunikation der Universität Karlstad in Schweden, eingeholt. (Anm.: Das bereits fixierte zusätzliche Interview mit Bernhard Leitner, Chefredakteur des Gastronomie-Fachmagazins ROLLING PIN, konnte zeitbedingt nicht stattfinden.) Die Frage dieses Artikels ist nämlich eine der umstrittensten: Mehr Text oder doch lieber die derzeit beliebte Variante der Illustrationen? Denn der Trend der illustrierten Fachmagazine ist definitiv auf dem Vormarsch, Bildern wird eine große Bedeutung zugesprochen.
Sind wir beeinflussbar?
Auf die Frage, was das Auge als Erstes erkennt, wenn es ein Medium erfasst, antwortet Brantner ganz klar: das Bild (falls vorhanden). Studien haben mittels der Eye-Tracking-Methode belegt, dass beigefügte Bilder mehr Aufmerksamkeit erregen, sie sozusagen Einstiegspunkte darstellen. Auch würden Bilder laut Brantner besser erinnert als verbale oder geschriebene Texte und es bestehe ein höherer Wiedererkennungseffekt. Besitzt ein Bild mehr Aussagekraft, hält es mehr an Erzählungen bereit, als ein Text je vermitteln könnte? Betrachtet man das Ganze von außen, bekommen die LeserInnen beim Betrachten des Bildes eine ganz individuelle Reizüberflutung. Es kann viel besser Emotionen transportieren oder überhaupt emotionalisiert werden, da es eine sogenannte „Augenzeugenschaft“ herstelle. Bilder seien glaubwürdiger, da man eher das glaubt, was man sieht als was man liest, denn „man vertraut ja seinen eigenen Sinnen.“ Dies nennt man den oben erwähnten Bildüberlegenheitseffekt. Durch Bilder bekomme man also wertvolle eigene Eindrücke, Emotionen, Assoziationen und bei manch einem/r wird die Phantasie angeregt. Auch könne dadurch eine Meinung transportiert werden oder eine Tendenz („visual bias“). Sie beeinflussen sozusagen dadurch, was man wie wahrnimmt, auch den später gelesenen Text. Die Textwahrnehmung wird also „geframed“, sozusagen in einen vom Journalisten bzw. von der Journalistin vorgefertigten Rahmen gesteckt. Wiederum ist es schwierig, den Kontext eines Artikels zu verstehen, wenn das angefügte, beschreibende Bild eine ganz andere Aussage vermittelt wie der Text. Brantner nennt dies die Bild-Text-Schere. Denn wenn das Bild nicht wirklich mit dem dazugehörigen Text übereinstimmt, ist das Verständnis recht schwierig. (Diesen Effekt kann man wahrscheinlich gut wahrnehmen, war das gewählte, additive Bild zu diesem Artikel doch ein Foto eines roten Porsches. Dies ist kein Text über schnelle Autos, wie man am Anfang hätte vermuten können, doch man war bis zu diesem Zeitpunkt dezent verwirrt über eben diese Bildauswahl.) Ein Bild und ein Text haben ja eine bestimmte Aussage, welche sich gegenseitig stützen soll. Bei der sogenannten Schere würde dies nicht berücksichtigt werden und daher wäre es schwierig, die Botschaft zu verstehen und sich diese zu merken. Man könnte als Erklärung hierfür in die Cue-Summation-Theorie tauchen. „Diese besagt, dass multimodal präsentierte Informationen, also Informationen, bei denen Bild und verbaler (gesprochener oder geschriebener) Text kombiniert werden, besser erinnert werden, weil sie kognitiv besser verarbeitet werden. Werden etwa zu Texten Bilder hinzugefügt, haben wir mehr Lernhinweise. Das gilt aber nur, wenn die Modi aufeinander abgestimmt sind.“, wie Brantner es beschreibt.
Bilder sind assoziativ, man verbindet schnell das Gesehene mit dem, was man weiß. Die Kommunikationswissenschaftlerin bringt dazu ein treffendes Beispiel: „Angenommen, Sie sehen ein Foto von einem bestimmten Auto. Da wissen Sie gleich, dass die Farbe, die man sieht, „rot“ heißt und es sich bei dem Auto um einen Porsche handelt, weil man das gelernt hat. Man merkt sich zu dem Foto also auch noch die Bezeichnungen.“ Eine der Theorien, mit welcher dieser Vorgang erklärt werden kann, ist die sogenannte „Dual-Coding-Theorie“. Diese besagt, dass Bilder und konkrete Texte doppelt im Gehirn abgespeichert werden, abstrakte Texte hingegen nur einmal. Wie das funktioniert, erklärt die Expertin so: „Ein Bild wird verbal und visuell abgespeichert. Die überwiegend duale Codierung von Bildern im Vergleich zu Worten führt dann zu besagtem Bildüberlegenheitseffekt, also dass Bilder einprägsamer und besser erinnerbar sind.“ Das heißt, dass man sich von dem Beispiel vorhin das Bild merkt und die dazugehörigen, beschreibenden Begriffe. „Man merkt sich ja nicht, dass man ein rotes Objekt gesehen hat, sondern dass es ein Auto der Marke Porsche ist.“ Natürlich entstünden beim Lesen auch Bilder im Kopf, bei lebhaften Texten mehr wie bei abstrakten. Doch diese seien der eigenen Imagination überlassen, mit welchen dazugehörigen Details man sich diese Kopfbilder vorstelle. Da greift dann aber auch wieder die Dual-Coding-Theorie: Abstraktes (ob Bild oder Text) merkt man sich einfach schlechter, da die erforderlichen Assoziationen fehlen.
Der Kampf zwischen Lichtschrift versus Text
Als ein Synonym für Bild findet man den Begriff „Lichtschrift“, da durch eine Kamera sozusagen mit Licht geschrieben wird. Doch so schön es auch klingt, es stellt sich immer noch die Frage, ob lieber vermehrt auf das Bild- oder Textlastige gesetzt werden soll. Allgemein könnte man Text und Bild als Konkurrenzmodi bezeichnen, jedoch findet man selten das eine ohne das andere. Diese beiden treten meist gemeinsam auf und wirken dementsprechend auch aufeinander ein. Sie „stützen sich gegenseitig, machen sich interpretierbar, eindeutiger und verständlicher.“ Jedoch ist das Bild in seiner Bedeutung offen – das Wort hingegen ist festgelegt. Das Illustrierte wird einem als Amuse-Gueule serviert, welches einen zu der konzentrationserforderlichen Hauptspeise führt. Bilder ergänzen meist den Text, da die Sprache nicht immer ausreicht, um einen Sachverhalt korrekt beschreiben zu können. Jedoch haben Bilder zwar eine intendierte Bedeutung, aber das, was man mit dem Bild sagen will, und das, was der/die Rezipient/in schlussendlich aus dem Bild herausliest, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Und auch mit Text kann etwas zwar beschrieben werden, er überlässt es aber einem/r selbst und der eigenen Imagination, sich den Sachverhalt genau vorzustellen. Man interpretiert zwar nach dem was man sieht, aber das, zum Beispiel in einer Bildunterschrift, additiv Geschriebene gibt vor, was man sehen soll. Denn erst der Einsatz von Text reduziert Ambivalenzen. Medientexte sind nur selten rein visuell, eher wird sich der Modus Text und das Modus Bild ergänzen. Somit gewinnt der multimodale Text die Schlacht.
Alles nur Schein, aber kein Sein?
Doch ein stilles Bild ist immer noch ein Bild, welches auf die Darstellung eines Moments beschränkt ist. Eine Handlungsfolge, welche im geschriebenen Zustand eine ganz andere Geschichte erzählen könnte, kann somit mit Illustrationen schwer umgesetzt werden, da eben nur ein bestimmter Moment erfasst wird. Auch bei der Wahl des Bildmittels muss bedacht werden, dass dieses verschiedene Ansichtsweisen der RezipientInnen erreichen kann. Nehmen wir die Farbstimmung als Beispiel: Ein Text kann noch so positiv verfasst sein, wird ein dunkles, mit wenig Intensität gewähltes Bild verwendet, mag der eine oder die andere denken, es handle sich um ein etwas düsteres Thema. Ginge es mehr ins Blaue, könnte es aber auch für Ruhe und Entspannung stehen. Tatsächlich ist unsere Farbwahrnehmung oftmals bereits durch unsere Sozialisierung und vor allem unsere Instinkte vordeterminiert, sodass wir automatisch verschiedenen Farbtönen verschiedene Assoziationen zuordnen. Und genau das macht das Phänomen Bild auch so eindrucksvoll, es kann ganz unvermittelt die unterschiedlichsten Gefühle in uns auslösen und uns somit unbewusst beeinflussen. Doch aus diesen Gründen könnte man auch das Bild als Verleumder und Lügner darstellen, das sagt jedenfalls der deutsche Dichter Ferdinand Avenarius, welcher dies schon bei Kriegsbildern und -propaganda des Ersten Weltkrieges bemerkt hatte. Doch das kann schon lange nicht mehr wirklich als richtig erachtet werden, lügen doch Personen – und nicht die Gegenstände. Lügen sollen eine Täuschung oder Irreführung einer/s anderen bewirken, so gesehen ist nicht alles Sein. Das Bild ist der Schein, aber dieser wird gerne durch den/die Retuscheur/in verändert, um den/die Betrachter/in zu täuschen. Es muss nicht also nicht der ganzen „Wahrheit“ entsprechen.
„Papier ist geduldig, der Leser nicht“
Man braucht nicht unbedingt Bildung für Bilder, um diese zu verstehen, wie es bei der Schrift der Fall ist. Der Zahn der Zeit nagt am Text und versucht ihn immer weiter einzukürzen. Plattformen wie „Facebook“ haben dazu nicht unwesentlich beigetragen, möchte man sich heutzutage doch meist sofort, wenn es einem danach ist, informieren können. Eine Nachricht muss kurz und knackig sein, aus einem Artikel soll man in einem Augenblick das wichtigste herauslesen können, am besten ein aussagekräftiges Bild als Unterstützung mitangeheftet. Doch stellt dies das Aus für die Printmedien dar? Cornelia Brantner ist nicht dieser Meinung, laut ihr werde der Lesemarkt für klassische Printmedien zwar kleiner und würden weniger gekauft werden, jedoch sieht sie Social Media nicht als Gefahr für journalistische Artikel an. Denn Social Media-Plattformen sind intermediär, das heißt, dass dort eine Vermischung von Öffentlichkeitsebenen passiert, sozusagen das Journalistische mit dem Privatem. Als Konkurrenz wäre es vielleicht in diesem Sinne anzusehen, da es einen Zeitabzug darstellt, denn „die Zeit, welche man auf Social Media verbringt, verbringt man eben nicht damit, einen Artikel eines Printmediums zu lesen“, so Brantner. Es zieht also Aufmerksamkeit auf sich und Nutzungsressourcen ab, jedoch soll es keine direkte Gefahr oder Schaden explizit für Magazine darstellen. Wo gerade von Magazinen gesprochen wird: Diese machen sich das Nutzerpotenzial dieser Plattformen zugunsten, um auch die jungen NutzerInnen auf sich aufmerksam zu machen. „Journalismus geht auf Social Media.“ Durch die entstandene Gratiskultur im Internet ist zwar eine Konkurrenz entstanden, da die RezipientInnen eher die kostenlose Onlineversion lesen, jedoch werden journalistische Texte nicht weniger gelesen, das Geschehen verlagert sich eher. Artikel auf solchen Plattformen werden meist mit einem ausdrucksstarken Bild und kurzen Text angeteasert, welcher auch den Link zum eigentlichen Medium beinhaltet.
Gekommen, um zu bleiben
Wenn man einen Blick in die Geschichtsbücher wirft, wird man entdecken, dass Bilder bereits 35.000 Jahre vor der Schrift erschienen sind. Man muss also schon bis zur analphabetischen Gesellschaft zurückgehen, um bildliche Darstellungen ganz ohne dazugehörigen Text in journalistischen Medien zu finden. „Mit der Digitalisierung ist auch ein Visualisierungsschub feststellbar – dies hat auch Auswirkung auf die journalistische Vorgehensweise. Studien zeigen, dass klassische Zeitungen mehr Bilder als früher verwenden“, konstatiert die Expertin. Sie ist der Auffassung, dass Bilder zwar auf dem Vormarsch seien, diese aber äußerst selten alleine stehen würden, es wird also immer etwas Multimodales geben. Der Text kann im Umkehrschluss auch beeinflussen, wie das Bild gelesen wird. Durch Bildunterschriften werden zum Beispiel auf dem Bild zu sehende Personen und Situationen beschrieben. Man befindet sich zwar im Zeitalter der Visualität, jedoch kommt man nicht ohne Sprache aus, nicht ohne Kontext und Text, in die die Bilder eingebettet sind.
Cornelia Brantner © Martin Stellnberger