Analog bleibt modern: Die Schallplatte im digitalen Zeitalter

Seit einigen Jahren erlebt die Schallplatte ihre zweite Blütezeit. Gegenüber der anhaltenden Digitalisierung wirkt das Vinyl wie ein Gegentrend. Um diese Entwicklung zu untersuchen, sprach SUMO mit Michael Huber, Leiter des Instituts für Musiksoziologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Günter Rathammer, COO von Pro-Ject, und Peter Wendler, Geschäftsführer von Austrovinyl.

von MANUEL AUINGER 

Das Revival der Schallplatte 

Du verlässt den kleinen Plattenladen in der Stadt, der unscheinbar in einer Seitengasse liegt. Du hast dir gerade die neue Platte deiner Lieblingsband gekauft und freust dich darauf, zuhause die Platte aufzulegen und anzuhören. Ein Gesamterlebnis, dem eigentlich schon längst der Tod beschieden wurde. 

Nachdem sich in den 1950ern die LP (Langspielplatte) auf dem Markt eingelebt hatte, folgte ab dem Jahr 1982 ein Rückgang im Tonträgerbereich, die Geburtsstunde der CD hatte geschlagen. In den USA generierte laut Recording Industry Association of America (RIAA) Vinyl vor 1980 noch ungefähr 60% der jährlichen Einnahmen am Musikmarkt. Bereits 1987 wurde die Platte von der CD überholt, welche 1999 ihren Höhepunkt bei 23,4 Milliarden US-Dollar an eingespieltem Umsatz erreichte. Zu diesem Zeitpunkt machte die Vinyl nur noch einen Bruchteil der Einnahmen aus. Im Zuge der Digitalisierung haben die Streaminganbieter den Musikmarkt übernommen und erwirtschafteten seit 2015 mehr Umsatz als die CD. Trotz der digitalen Ära, in der wir leben, blüht ein bereits als ausgestorben gegoltenes Medium wieder auf: die Schallplatte. „Wir glauben fest daran, dass das viele Jahre weitergeht“, behauptet Günter Rathammer, Chief Operating Officer von Pro-Ject. Die Firma mit Sitz in Mistelbach vertreibt High-Fidelity-Schallplattenspieler, das sind Geräte mit hohem Qualitätsstandard, die eine hohe Wiedergabetreue versprechen. CEO Heinz Lichtenegger gründete die Firma im Jahr 1991 und damit mutigerweise zu einer Zeit, in der die CD den Markt beherrschte. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt kam bei Rathammer kein Zweifel auf: Der Plattenspieler (respektive die Platte) sei immer präsent gewesen. Jetzt, über dreißig Jahre später, steigen nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, Spanien oder dem Vereinigten Königreich, die Absätze von Schallplatten von Jahr zu Jahr, wie IFPI-Austria, SNEP, Promusicate und British Phonografic Industry belegen. In den USA, dem Land mit dem größten Einfluss auf den globalen Musikmarkt und laut recordstores.love auch dem Land mit den meisten Plattenläden weltweit, stieg – laut einer Statistik von Luminate Data (Nielsen Music) – die Anzahl verkaufter Platten von 27,5 Mio. im Jahr 2020 auf 43,5 Mio. im Jahr 2022, was einer Steigerung von fast 60% entspricht. 
 

Faszination für Vinyl 

Als du in deine Straße einbiegst, betrachtest du mit Vorfreude das Cover. Du denkst daran, wie dein Opa dir als kleines Kind das erste Mal seine Platten zeigte und ihr zusammen „Thriller“ von Michael Jackson gehört hattet. Während du in Erinnerungen schwelgst, betrittst du dein Grundstück.  

Laut Michael Huber, Leiter des Instituts für Musiksoziologie in Wien, gibt es mehrere Gründe für die steigende Beliebtheit der Schallplatte. Es gäbe viele Käufer*innen, die sich Platten kaufen, ohne überhaupt einen Plattenspieler zu besitzen. Die Platte ist also etwas, mit dem man soziales Kapital generieren könne. Weiters möchten manche Menschen eine Möglichkeit, um Musik bewusst und konzentriert zu hören: „Dafür eignet sich das Vinyl nach wie vor am besten, weil es aufgrund der materiellen Erscheinungsweise eine sehr umständliche Handhabung verlangt.“ Durch den erhöhten Aufwand an Kosten und Zeit würde das Produkt Musik daher mehr wertgeschätzt werden. Weiters, meint Huber, möchten viele Fans die Künstler*innen mit dem Kauf einer Vinyl direkt unterstützen, anstatt das Geld in die Hände von Streaminganbietern zu legen. Laut einer Befragung von IFPI aus dem Jahr 2022, an der 44.000 Internetnutzer*innen aus 22 Ländern teilnahmen, geht hervor, dass jede*r zweite Vinylkäufer*in Platten allein deshalb kauft, um die Musik physisch zu besitzen. 26% der Befragten gaben an, mit dem Kauf die Künstler*innen unterstützen zu wollen. „Der Boom von Vinyl ist tatsächlich etwas Irrationales“, beschreibt Huber die Entwicklung. Die Schallplatte ist also das Gegenmodell zum Streaming, weil sie am unpraktischsten und teuersten sei und den meisten Aufwand in Anspruch nehme. Huber sieht jedoch dies als Knackpunkt: „Genau das wollen ganz viele Leute, weil ihnen das Musikhören über Streams einfach zu unpersönlich ist.“ 

Der Preis für Qualität 

Während du deine Tür aufsperrst, denkst du daran, wie du früher immer dein Geld gespart hast, um dir eine neue Platte kaufen zu können. Heute verdienst du selbst Geld, trotzdem sind diese Scheiben eine teure Art, Musik zu hören, denkst du dir. Doch dein Opa hatte immer gesagt, dass Qualität eben ihren Preis hat. 

Warum aber sollte man bis zu 35 Euro für eine Platte ausgeben? Für Peter Wendler, Geschäftsführer des im steirischen Fehring ansässigen Unternehmens Austrovinyl, dem einzigen Schallplattenpresswerk in Österreich, ist die Wertigkeit des Produktes eindeutig gegeben: „Die Tiefe, die Wärme, die Klangnuancen, die Lebendigkeit einer Audioaufnahme kommt bei der Vinyl am besten zum Vorschein“. Gerade für die jüngeren Zielgruppen seien solche Preise jedoch mitunter schwierig, meint Wendler. Für Austrovinyl seien die Energiekosten für die Produktion in den letzten Jahren um das 10-fache gestiegen: „Das hätte uns fast Kopf und Kragen gekostet, da ist es ums Überleben gegangen“. Das 2017 gegründete Unternehmen hat überlebt und kann den Konsumenten*innen nun mit ihrer eigenen Schaumanufaktur die Produktion einer Schallplatte vorzeigen. Auch dadurch will man die hohe Wertigkeit der Vinyl vermitteln. Im Bereich der Schallplattenspieler findet Günter Rathammer ähnliche Argumente: „Das wird der Kampf, den Leuten zu erklären, warum der Plattenspieler eben 300-400€ kostet.“ In die Preisklasse von 100€-Plattenspieler zu kommen, sei sehr schwierig, wolle man die Qualität des Produktes beibehalten: „Von China kommen Tonabnehmer, die keinen Dollar kosten, bei uns fangen wir bei einem Kostenpreis von 19€ an – das ist nicht vergleichbar“ 

Generation Z und Vinyl 

Während du in dein Wohnzimmer gehst, hörst du draußen ein paar Jugendliche mit einer Lautsprecherbox die Straße entlang gehen. Schon praktisch, diese Streamingservices, denkst du dir. Gerade als du dein Vinyl auspacken willst, klingelt es an der Tür. 

Nun treffen die jungen Generationen, die in einer Gratiskultur aufwachsen, auf das Phänomen Vinyl. „YouTube“ sorgt praktisch für kostenlose Unterhaltung, mit „Spotify“ kann für zwölf Euro pro Monat jegliche Musik nach Belieben abgespielt werden. Laut Huber kann es gelingen, die jungen Leute von der Vinyl zu überzeugen. Man müsse verdeutlichen, dass es zum einen um ein Lebensgefühl, zum anderen um die Möglichkeit, eine tiefere Beziehung zu bestimmter Musik einzugehen, ginge. „Wir bekommen viel Aufmerksamkeit von Schulen, der große Teil weiß gar nicht, dass es die Platte noch gibt“, beschreibt Rathammer die Bemühungen, den Jungen das Medium näherzubringen. Der COO spricht von der Verjüngung der Kund*innen: „Hier ist die Frage: Muss ich die 20-Jährigen schon dazu bringen, Plattenspieler zu kaufen? Ich kann es ihnen zumindest anlernen, sie hinbringen“. Auch Wendler führt trotz limitiertem Budget für diese Zielgruppen an: „Wir haben auch viele junge Kund*innen. Das Bewusstsein für die Schallplatte ist da“. 

 
Es dreht sich immer alles um Musik 

Du freust dich, als du in das lächelnde Gesicht deines Opas blickst. Er hat eine Flasche Wein mitgenommen, so wie er das immer bei euren monatlichen Treffen macht. Nachdem du den Tonarm auf die Platte bewegst und ihr beide Platz genommen habt, füllt sich der Raum mit einem warmen, natürlichen Klang. Dein Plattenspieler ist zwar schon in die Jahre gekommen, erfüllt seinen Job aber überraschend gut. Während du dich voll auf die Musik einlässt, denkst du darüber nach, ob sich deine Kinder und Enkelkinder auch von Vinyl so begeistern lassen, wie es bei dir der Fall war.  

Wenn man den Trends glaubt, wird die Vinylschallplatte langfristig ihren Nischenplatz am Musikmarkt behalten, ohne der marktbeherrschenden Stellung der digitalen Streaminganbieter näherzukommen. Wendler fasst die Zukunftsaussicht zusammen: „Ich muss glauben, dass sich der Trend hält; ich bin aber auch überzeugt davon“. Vinyl würde viele Abnehmer*innen finden und weiter begeistern. Trotz des analogen Mediums kann man sich laut Rathammer der digitalen Welt nicht verschließen: „Ich sage nicht, dass digital schlecht ist, wir müssen nur den Unterschied richtig erklären.“ Huber sieht unter anderem die technologischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen als entscheidend für die Zukunft der Schallplatte an: „Musik war immer eingebunden in das tägliche Leben und alles, was das tägliche Leben beeinflusst, beeinflusst auch die Art, wie wir Musik hören und welche Musik wir hören.“ 

Günter Rathammer | Copyright: Pro-Ject Audio Systems
Michael Huber | Copyright: Michael Huber
Peter Wendler | Copyright: Austrovinyl GmbH