Bluesky: Der Aufstieg & die Hürden der Twitter-Reinkarnation

von NICO BRANDSTETTER & NIKOLAI DANGL

Offen tritt Bluesky (Schmetterling) mit X (Vogel) in den Ring der Kurznachrichtendienste.

Bild erstellt mit Microsoft Copilot am 14.4.2024 um 14.05 Uhr; Prompt: „Generiere bitte einen blauen Vogel, der gegen einen blauen Schmetterling kämpft. Der blaue Vogel sieht realistisch aus. Der Schmetterling sieht ebenfalls realistisch aus.“
Offen tritt Bluesky (Schmetterling) mit X (Vogel) in den Ring der Kurznachrichtendienste.
Bild erstellt mit Microsoft Copilot am 14.4.2024 um 14.05 Uhr; Prompt: „Generiere bitte einen blauen Vogel, der gegen einen blauen Schmetterling kämpft. Der blaue Vogel sieht realistisch aus. Der Schmetterling sieht ebenfalls realistisch aus.“

Seit der Twitter-Übernahme Elon Musks legt die Abspaltung Bluesky an Subscriptions zu. Doch trotz dezentraler Vision und Nutzerzuwachs bleibt die Plattform im Schatten von X – sowie auch in jenen von Threads und Mastodon.

Es sind auf den ersten Blick beeindruckende Zahlen, die die Social-Media-Plattform Bluesky dieser Tage schreibt: Mit Anfang Juli 2024 kratzen die Nutzerzahlen des Twitter-Ablegers an der Sechs-Millionen-Marke. Seit November 2022, als man sich erstmals auf der Plattform registrieren konnte, sind das bis Juli 2024 circa 10.000 neue User pro Tag.

Begonnen hat für das insgesamt kleine, aber stetig größer werdende Unternehmen alles 2021: Als Initiative zur Entwicklung eines dezentralisierten Protokolls, in dem mehrere Soziale Netzwerke, jedes mit seinen eigenen Kurations- und Moderationssystemen, mit anderen Sozialen Netzwerken über einen offenen Standard interagieren, wurde „Bluesky“ innerhalb Twitters gegründet.

Eine Erweiterung für Twitter sollte es werden – doch noch vor der Übernahme der Kultplattform durch Elon Musk kam es zur Abspaltung. Vater des Projektes Bluesky ist Twitter-Mitgründer Jack Dorsey selbst, und alleine die Social-Media-Historie veranschaulicht, dass es kein Erfolgsgarant ist, einmal eine andere Internet-Plattform zu Größe geführt zu haben: Wikipedia-Gründer Jimmy Wales scheiterte mit WT Social einst beispielsweise, wollte Konkurrent für Facebook und Twitter werden und brachte die zu Beginn kurz florierende Plattform aber nicht über ein nischiges Nerd-Forum hinaus.

Bislang geht’s Bluesky unter CEO Jay Graber ähnlich, trotz zwischenzeitlich rasantem Nutzer-Zugewinn. Zur besseren Veranschaulichung ein Blick auf die Zahlen:

Wieso Bluesky dennoch nicht relevanter wird, lässt sich nur herleiten. Im Herbst 2023 nahm die österreichische Tageszeitung Der Standard eine dreiwöchige Beobachtung der Plattform vor, attestiere ihr danach „leer und langweilig“ zu sein. „Fantasielosigkeit“ herrsche in Bezug auf das nahezu idente Design der Plattform im Vergleich zu X, außerdem würden sich wiederholt technische Fehler einschleichen – worüber auch einschlägige Blogs bereits mehrfach berichteten. Hauptmanko ist am Ende außerdem, dass Bluesky es bislang nicht schaffte, mit seinem eigentlichen USP, dem eingangs erwähnte Open Source-Zugang zu punkten. Dieser funktioniert laut mehreren Tests nur beschränkt, hält Versprochenes nicht und spricht damit auch jene nicht an, die sich für diesen Punkt interessieren würde. Für den klassischen 0815-Social-Media-Nutzer ist Bluesky in seiner Aufmachung und Funktionalität deshalb kaum von X zu unterscheiden – mit Ausnahme des wesentlich geringeren Treibens auf der Plattform, was wiederum den Netzwerkeffekt der Plattform mindert. Denn desto mehr User in einem Sozialen Netzwerk aktiv sind, für umso mehr Menschen wäre es am Ende auch attraktiv – und dadurch wiederum auch wesentlich relevanter für Unternehmen, öffentliche Institutionen und so weiter, wodurch es wiederum insgesamt gesellschaftlich relevanter wäre und damit auch verstärktere mediale Berichterstattung erfahren würde, was wiederum den Bekanntheitsgrad steigern und neue Nutzer anziehen würde. Diese Stufe hat Bluesky aber seit Gründung nie erreicht.

Bilduntertitel: Zu Fall bringen kann der Schmetterling (Bluesky) seinen Muttervogel (X) derzeit (noch) nicht.
Bild2: Schmetterling frisst Vogel; erstellt mit „Microsoft Copilot“ am 23.4.2024 um 16.43 Uhr; Anschluss-Prompt an den vorherigen bei Bild1: „Jetzt drehe das Bild bitte um: Nun tötet der Schmetterling, der nun viel größer ist als der Vogel, den Vogel.
Bilduntertitel: Zu Fall bringen kann der Schmetterling (Bluesky) seinen Muttervogel (X) derzeit (noch) nicht.
Bild2: Schmetterling frisst Vogel; erstellt mit „Microsoft Copilot“ am 23.4.2024 um 16.43 Uhr; Anschluss-Prompt an den vorherigen bei Bild1: „Jetzt drehe das Bild bitte um: Nun tötet der Schmetterling, der nun viel größer ist als der Vogel, den Vogel.

Nicht in 100 Jahren…

Dabei gelangen Bluesky erst Anfang 2023 gelangen dem Unternehmen mit dem Einzug in die beiden größten App-Stores, dem Google Play Store und Apples App Store, Meilensteine. Seither nahm die Anzahl der User nochmals zu. Bei einem Blick auf die Konkurrenz wird dabei jedoch deutlich, dass der bisherige Erfolg Blueskys einerseits für Wachstum steht, andererseits Lichtjahre vom Ex-Mutterkonzern entfernt ist. Rund 421 Millionen User waren auf ihm nach der Musk-Übernahme in X umbenannten Kurznachrichtendienst im Jahr 2023 aktiv. Sollte Bluesky also – was ohnehin bei einem Blick auf den zunehmend abflachenden Graphen unrealistisch scheint – das bisher durchschnittliche Wachstum von rund 10.000 neuen Usern pro Tag fortsetzen können, bräuchte es noch ganze 41.500 Tage, um überhaupt einmal mit dem Kurznachrichten-Platzhirsch gleichzuziehen – also über 113 Jahre.

Dennoch tritt Bluesky ganz offen mit X ins Duell, präsentiert sich als Reinkarnation des „Ur-Twitter“ und versucht erst gar nicht, das optisch zu verstecken. Wer das in der Webversion links oben oder in der Mobilversion oben mittig platzierte jeweils unterschiedliche Logo verdeckt, wird kaum nennenswerte Unterschiede zwischen den beiden Plattformen finden – eben weil Bluesky gezielt User von X zu sich ziehen will und mit Vertrautem locken möchte. Über ein geographisches Ungleichgewicht der Relevanz des verhältnismäßig „neuen“ Players am Markt lässt sich nur spekulieren, ein Blick auf einschlägige Blogs und die Berichterstattung an sich über den Kurznachrichtendienst aber vermuten, dass Bluesky besonders am amerikanischen Markt in Nischen fußfassen konnte – abseits davon aber eher eine Randerscheinung ist.

Auch deutlich hinter Mastodon & Threads

Auf dem Kurznachrichtendienste-Sektor ist aber nicht nur X vor Bluesky, sondern auch etwa Mastodon, das derzeit rund neun Millionen Nutzer aufweist. Einziger ernstzunehmender X-Konkurrent ist die Meta-Kurznachrichtenplattform Threads, die, obwohl erst im Juli 2023 gelauncht, mittlerweile bereits über 190 Millionen User verzeichnen konnte. Klarer Vorteil im Vergleich zum kleinen Bluesky ist für Threads dabei der Mutterkonzern Meta selbst, der seine neue Plattform offensiv auf Instagram und Facebook bewarb und auch eine Verknüpfung mit Accounts auf beiden populären Netzwerken möglich macht. Durch diese Politik konnte Threads von Beginn weg auf eine potenzielle Grundgesamtheit von über fünf Milliarden bereits bestehenden Meta-Accounts auf Instagram (2 Milliarden) und Facebook (3,05 Milliarden) aufbauen. Rückenwind, den Bluesky so nie hatte.

Vision eines föderalen Netzes

Bluesky setzt mit Open Source auf Transparenz und mit dem neu erstellten AT-Protokoll auf ein dezentrales Netzwerk. Für den Plattform-Durchstarter liegt der Vorteil von offenen Webprotokollen auf der Hand. Wenn beispielshalber X über Nacht den kompletten Laden dichtmacht, dann ist auch auf persönliche Daten, Follower & Inhalte nicht mehr zuzugreifen. Bei offenen Protokollen besteht das aufgebaute Netzwerk unabhängig von den genutzten Anwendungen. Implementieren Plattformen diese Art von dezentralem Protokoll, dann kann die Kommunikation zwischen verschiedenen Servern festgelegt und für diverse Zwecke eingesetzt werden. Im Falle Blueskys bietet dies nicht nur den Vorteil der Datenmitnahme und Kontrolle, sondern auch die Einbeziehung der User. Bluesky versucht sich dabei verstärkt auf Nutzerfeedback bei der Implementierung neuer Features zu stützen.

Dabei will der Schmetterling – das Logo von Bluesky – auch die oft zu undurchsichtigen Algorithmen einsehbarer machen. Jay Graber visioniert vom zusammenstellbaren Algorithmus. Demnach bestimmt der Nutzer über den Filter seiner präsentierten Inhalte. Status Quo der Anwendung ermöglicht bereits, sich für den Moderationsgrad des Contents zu entscheiden. Mit den Optionen „Ausblenden“, „Warnen“ und „Anzeigen“ legt man Art und Weise fest, wie einem etwa Hassrede, Spam oder auch Nacktheit präsentiert werden. Alles im Sinne der Community Richtlinien, welche ein „sicheres und angenehmes Erlebnis“ fördern sollen. Was scheinbar nicht immer reibungslos funktioniert.

Was allerdings einwandfrei funktioniert ist das Abpausen des Geschäftsmodells von X. Man wolle vermeiden, dass der Nutzer zum Produkt wird, was Werbung als primäre Finanzierungsquelle ausschließt. Die Konsequenz: kostenpflichtige Dienste.

Bilduntertitel: Im Kampf um die Nutzer-Zahlen frisst X (Vogel) Bluesky (Schmetterling) sinnbildlich auf.
Bild1: Vogel frisst Schmetterling; erstellt mit „Microsoft Copilot“ am 23.4.2024 um 16.28 Uhr; Prompt: „Generiere bitte einen blauen Vogel, der in einem apokalyptischen Silikon Valley einen blauen Schmetterling frisst. Der blaue Vogel sieht realistisch aus und hat den Buchstaben “X” auf der Brust aufgemalt. Der Schmetterling sieht ebenfalls realistisch aus und ist wesentlich kleiner als der Vogel.“
Bilduntertitel: Im Kampf um die Nutzer-Zahlen frisst X (Vogel) Bluesky (Schmetterling) sinnbildlich auf.
Bild1: Vogel frisst Schmetterling; erstellt mit „Microsoft Copilot“ am 23.4.2024 um 16.28 Uhr; Prompt: „Generiere bitte einen blauen Vogel, der in einem apokalyptischen Silikon Valley einen blauen Schmetterling frisst. Der blaue Vogel sieht realistisch aus und hat den Buchstaben “X” auf der Brust aufgemalt. Der Schmetterling sieht ebenfalls realistisch aus und ist wesentlich kleiner als der Vogel.“

Aus dem Kokon geschlüpft scheint Bluesky aber nicht weit vom Stamm gefallen zu sein. Die Plattform geht mit frischem Eifer voran, stolpert aber bisweilen an eigener Naivität und Unbeholfenheit. Dezentrales Protokoll, Datenkontrolle & individuelle Moderation lassen vom sozialen Netz der Zukunft träumen. Mehr User auf die Plattform zu locken scheint bei einem Blick auf die immer geringer werdende Mehrzahl der täglich dazukommenden neuen Nutzer mittlerweile bereits schwieriger geworden zu sein – diese dann auch noch zur Kasse zu bitten dadurch noch kniffliger. Der Fall Bluesky zeigt aber auch, dass es auch schwierig bis unmöglich geworden ist, ohne Rückendeckung eines etablierten Platzhirschen, wie es beispielsweise Meta für Threads ist, das in gerade einmal einem Jahr Existenz eine 38-fach so große Nutzerschaft anziehen konnte, mit den „Großen“ auf dem Markt mitzuhalten – wohl besonders dann, wenn das Konzept nicht gerade einzigartig ist, sondern eine reine Kopie eines bereits existenten Players vorsieht.

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Über die AutorenInnen

Nico Brandstetter studiert mit jungen 24 Jahren Medienmanagement an der FH St. Pölten. Journalistische Erfahrungen sammelt er in seiner Arbeit als Moderator und Redakteur bei einem kleinen TV-Privatsender im Mostviertel. 
Instagram: nico.brandy

Nico Brandstetter studiert mit jungen 24 Jahren Medienmanagement an der FH St. Pölten. Journalistische Erfahrungen sammelt er in seiner Arbeit als Moderator und Redakteur bei einem kleinen TV-Privatsender im Mostviertel.
Instagram: nico.brandy

Bild: Magdalena Gruber

Nikolai Dangl ist 20 Jahre alt und studiert Medienmanagement an der FH St. Pölten. Der Waldviertler ist seit mehr als fünf Jahren für die „Niederösterreichischen Nachrichten“ tätig und war 2023 unter den Preisträgern des Niederösterreichischen Journalismuspreises.

Bild: Bernd Dangl

LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/nikolai-dangl-4400b8284/
Einblick in meine Arbeit: https://www.noen.at/autor/nikolai-dangl/153.074.501