Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video, Disney+ und Apple TV+ haben die Art, wie Menschen Inhalte konsumieren, revolutioniert. Dabei spielen die Finanzierungsmodelle für Content und die Lizenzvergaben eine entscheidende Rolle in der Gestaltung des Angebots. Doch wie werden Inhalte finanziert? Wie entscheiden Streaming-Plattformen, ob sie Inhalte lizenzieren oder selbst produzieren? Und wie wirkt sich der Druck, immer neue Inhalte zu veröffentlichen, auf die Qualität der Produktionen aus? Das SUMO-Magazin hat dazu Doris Priesching, Medienjournalistin beim Standard, und Andreas Gebesmair, Dozent an der FH St. Pölten im Bereich Medienmanagement, befragt.
von PAUL HUBMAYR
Im September 2014 ist mit Netflix der erste große amerikanische Video-On-Demand-Service im deutschsprachigen Raum online gegangen. Seither hat sich viel verändert. Nicht nur die Art, wie wir Filme und Serien schauen, sondern auch unser Verständnis von Unterhaltung hat sich gewandelt. Streaming ist heute mehr als nur ein technisches Mittel zur Verbreitung von Inhalten; es ist ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden. Aufgrund des riesigen Erfolges von Netflix folgten viele weitere Streaminganbieter. Diese wollen den Marktführer entthronen.
Doch mit den neuen Möglichkeiten kommen auch Herausforderungen. Die Frage nach der Finanzierung und der Lizenzierung von Inhalten, der Qualität von Produktionen und der Fragmentierung des Marktes zeigt, wie komplex das Streaming-Ökosystem geworden ist. Für Zuschauer*innen bedeutet das einerseits eine Fülle an Optionen, andererseits aber auch Überforderung und steigende Kosten, wenn sie mehrere Abonnements abschließen müssen, um ihre Lieblingsserien zu sehen.
Die Entwicklungen der letzten Jahre verdeutlichen, dass die Zukunft des Entertainments in einem Gleichgewicht liegt: zwischen der Menge an verfügbaren Inhalten, der Qualität dieser Produktionen und dem Bedürfnis nach fairen Zugängen für ein globales Publikum. Ob die Streaming-Dienste diesen Herausforderungen gewachsen sind, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Klar ist jedoch, dass der Wandel, der 2014 mit Netflix begann, noch lange nicht abgeschlossen ist.
Netflix ist laut eines an die Aktionär*innen vierteljährlich ausgesendeten Finanzberichts mit 282,7 Millionen Abonnent*innen und einem Umsatz von 9,825 Milliarden US-Dollar im dritten Quartal des Jahres 2024 weiterhin Marktführer. Doch Medienjournalistin beim Standard und Co-Gastgeberin des Podcasts Serienreif Doris Priesching sieht den Erfolg von Streaminganbietern primär nicht in Zahlen, sondern darin, wie intensiv die Diskussionen darüber in sozialen Medien ausfallen. Je mehr in diesen Medien über eine Serie gesprochen werde, desto erfolgreicher gelte sie. „Das hat Netflix immer wieder geschafft und dadurch natürlich auch einen Markt angekurbelt“. So sei es in Folge zu einer Art „Streaming-Blase“ gekommen, wo – aufgebaut auf Spekulation – immer mehr Geld ausgegeben wurde, für immer größere und teurere Eigenproduktionen.
Contentfinanzierung
Laut der Aloco-Filmproduktion Bern gibt es fünf verschiedene Geschäftsmodelle von Streaminganbietern, die je nach Inhalt und Geschäftsstruktur variieren. Abonnement-VoD (SVoD), erfordert eine monatliche oder jährliche Gebühr für den Zugang zu einer umfangreichen Bibliothek, wie bei Netflix oder Disney+. Bei Transactional-VoD (TVoD) zahlen Nutzende für den Einzelkauf oder die Ausleihe von Filmen und Videos, wie etwa bei iTunes oder Google Play Movies. Ad-supported-VoD (AVoD) ermöglicht kostenlosen Zugang, aber mit Werbeeinblendungen, wie etwa bei YouTube. Live-Streaming bietet die Möglichkeit, Veranstaltungen oder Konzerte in Echtzeit zu verfolgen, beispielsweise auf Twitch oder YouTube Live. Catch-up-TV ermöglicht es, verpasste Sendungen nachträglich anzusehen. Viele VoD-Dienste kombinieren mehrere Modelle, etwa SVoD mit TVoD für aktuelle Inhalte, wie z.B. Amazon Prime Video. Die Höhe dieser Einnahmen bestimmt dann auch, welcher Content wie teuer produziert werden kann. Bei Einnahmen, wie Netflix sie hat, wird dann auch nicht gespart; beispielsweise soll laut film.at die fünfte Staffel von Stranger Things Schätzungen zufolge 250-300 Millionen US-Dollar kosten. Laut Andreas Gebesmair, Dozent an der Fachhochschule St. Pölten im Ressort Medienmanagement, sei die Produktion von eigenem Content einerseits von Vorteil, da es die eigene Marke stärke. Dies sei in Zeiten von einer zunehmenden Anzahl von Streaminganbietern sehr wichtig. Andererseits sei es auch wesentlich teurer und riskanter, selbst zu produzieren.
Lizenzierung
Die zweite Möglichkeit, die Streaming-Plattformen neben Eigenproduktionen haben, ist, Lizenzen für fremdproduzierten Content zu erwerben. Durch den Erwerb von Lizenzrechten an bestehenden Filmen und Serien können Streaming-Plattformen ohne eigene Produktionsrisiken ein vielfältiges Angebot anbieten und so schnell eine breite Nutzerbasis aufbauen. So sieht Gebesmair in lizenzierten Inhalten immer den Vorteil, dass sie preisgünstiger seien. Als Nachteil sieht er hingegen die zeitlichen und geographischen Limits, welche in den jeweiligen Verträgen festgelegt sind. So kann es z.B. sein, dass ein bestimmter Film in Österreich auf Netflix verfügbar ist, nicht aber in Italien. Eine große Rolle bei der Lizenzierung spielen auch sogenannte Content-Messen, auf denen Filmstudios und Produzierende ihr Produkt anbieten und an Streamingdienste bzw. Fernsehstationen verkaufen. Dass der Handel mit Lizenzen aber auch teuer werden kann, zeigt der Deal um die Lizenz der US-amerikanischen Sitcom Friends. Laut New York Times kostete allein die Verlängerung der Friends-Lizenz für Netflix rund 100 Millionen Dollar pro Jahr. Priesching sieht den Handel mit Lizenzen „als Anzeichen für einen vitalen Markt“.
Quantität über Qualität?
Im harten Konkurrenzkampf um Abonnent*innen versuchen die großen Plattformen, möglichst viele neue Inhalte bereitzustellen – oft nach dem Motto „Mehr ist besser“. Im Jahr 2022 veröffentlichte Netflix laut statista 247 eigenproduzierte Filme, 404 Serien und 188 Dokumentationen oder Stand-Up Specials. Das sind insgesamt 839 selbstproduzierte Inhalte. 2020 waren es im Vergleich dazu „nur“ 593 Titel.
Priesching sieht hier einen klaren Zielkonflikt zwischen der Produktion von hochwertigen Inhalten und der Menge an Content. Es überwiege „Masse statt Klasse“. Sie sieht hier auch eine gewisse Risikoaversion bei den Entscheidungen der Streaminganbieter, was produziert werden soll und erkennt dabei eine Tendenz, dass Anbieter eher auf Altbewährtes setzen. Das sind einerseits IPs („Intellectual Property“), also bereits existierende Inhalte, welche in Form von Reboots, Remakes, Sequels oder Spin-Offs neu aufgewärmt werden. Andererseits setzt man weniger auf Kreativität und mehr auf sichere Genre-Konventionen und Klischees, die bereits in vielen vorangegangenen Produktionen „gute Zahlen“ gebracht haben. Priesching vermutet hier sogar bereits jetzt den Einsatz von KI-Tools und fragt sich, ob manche dieser Inhalte tatsächlich von irgendwem rezipiert werden.
Auch Disney+ verfolgt eine ähnliche Strategie, indem es bevorzugt auf die Stärke der eigenen Marken (Marvel, Star Wars) setzt und damit auf bewährte Rezepte.
Als Gegenbeispiel sieht sie Apple TV+, das in seinen Eigenproduktionen (z. B. Ted Lasso, Severance) gezielt auf hohe Produktionswerte und originelle Inhalte setze. Zwar produziert Apple TV+ deutlich weniger (36 Serien im Jahr 2022) als etwa Netflix (404 Serien), versucht dafür aber, durch die hohe Qualität ein spezifisches und exklusives Image zu bewahren. 2023 wurden laut thewrap Eigenproduktionen, die im Jahr 2022 veröffentlicht wurden, von Apple TV+ für 54 Emmys nominiert, Netflix-Originals für 104. Verhältnismäßig hat Apple hier klar die Nase vorne.
Zukunftsaussichten
Laut Frau Priesching sei die „Streaming-Blase“ jetzt schon geplatzt, aufgrund der hohen Summen, die in Projekte investiert wurden, der Corona-Pandemie und des Streiks der Schauspieler- und Drehbuchautorengewerkschaft in Hollywood. Deswegen werde jetzt wieder in kleineren Rahmen produziert und es werden weniger Projekte zur Produktion freigegeben. Das Thema Künstliche Intelligenz werde beiden Expert*innen zufolge in Zukunft auch in der Streamingwelt eine große Rolle spielen. Der Beruf des Synchronsprechers bzw. der Synchronsprecherin habe „ein Ablaufdatum“ und werde so, wie es ihn heute gibt, in 10 Jahren nicht mehr existieren, da dieser durch künstliche Intelligenz ersetzt werden kann, sagt Priesching. Gebesmair sieht in Zukunft auch eine Konsolidierung des Marktes. Kleinere Streamingdienste würden vom Markt verdrängt oder von größeren Diensten übernommen werden. Wenn die Abopreise immer weiter steigen, seien die Leute auch immer weniger bereit, für mehrere Abos zu bezahlen.

