Die Videoplattform „YouKu“ ist die chinesische Antwort auf das dort gesperrte „YouTube“. Heute zählt die Website zu den beliebtesten Plattformen in China. SUMO analysierte und sprach mit UserInnen.
23 Milliarden Views pro Monat und 580 Millionen Unique Clients, die in diesem Zeitraum rund vier Stunden Videomaterial konsumieren: Die Rede ist nicht etwa von „YouTube“, sondern von „YouKu“, seinem chinesischen Zwilling. Tatsächlich weist die Plattform einige Ähnlichkeiten mit seinem amerikanischen Pendant auf. Ihr Gründer ist Victor Koo, der an der Entwicklung von „Soho“, einer in China beliebten Suchmaschine beteiligt war. 2006, ein Jahr nachdem „YouTube“ online ging, verließ Koo Soho, um „YouKu“ ins Leben zu rufen.
Via Fusion zum Marktführer
Seit seiner Gründung hat es „YouKu“ weit gebracht. 2007 sammelte das Unternehmen laut „Bloomberg“ 25 Millionen Dollar an Venture Capital, um die Plattform weiterentwickeln zu können. Fünf Jahre später fusionierte das Videoportal mit „Tudou“, dem damals größten Konkurrenten. Die zwei Plattformen belegten damals bereits die Plätze elf und 14 im Ranking der meistbesuchten Websites in China. 2013 sorgte eine strategische Zusammenarbeit mit „Weibo“ („Twitter“-ähnlicher Dienst), bei der Videos des neugeschaffenen Mergers „YouKuToudu“ auf „Weibo“ ausgestrahlt wurden, für einen zusätzlichen Wachstumsschub. Der Erfolg erweckte schnell die Aufmerksamkeit großer chinesischer Unternehmer. Einer von ihnen schlug vor zwei Jahren zu: Jack Ma und sein Unternehmen Alibaba machten sich „YouKu“ für einen Kaufpreis zwischen vier und fünf Milliarden US-Dollar zu Eigen.
Mehr „Netflix“ als „YouTube“
Ma sah in „YouKu“ die perfekte Ergänzung seines Online-Imperiums, das in den letzten Jahren immer stärker in den Medienbereich vorgedrungen ist. Mit der finanziellen Rückendeckung seines Konzerns vollzog der Kanal auch einen Strategie-Wechsel: weg vom User-Generated Content, hin zu den großen Film- und Serienproduktionen. Die waren zwar immer schon auf „YouKu“ verfügbar – nur eben illegal. Beliebt waren in der Anfangszeit der Plattform vor allem amerikanische Blockbuster, die von den UserInnen hochgeladen wurden.
Die Folgen dieser Piraterie waren nicht nur eine Reihe an Copyright-Klagen aus Hollywood, sondern auch Probleme mit der heimischen Zensurbehörde, die nur eine ausgewählte Anzahl ausländischer Filmproduktionen am chinesischen Markt freigibt. „YouKu“ reagierte und schloss letztes Jahr Milliarden-Deals mit Sony, NBCUniversal und „Netflix“ ab. Seitdem können die chinesischen UserInnen copyright-konform und mit dem Sanktus der Zensurbehörde auf westliche Produktionen, wie „Star Wars“, „Sherlock“, oder „Orange is the New Black“, zugreifen. Nebst großer Hollywood-Blockbuster werden aber auch heimische Produktionen der rasant wachsenden chinesischen Filmindustrie, sowie koreanische und japanische Angebote immer beliebter.
„YouKu“ bekräftigt seinen Einstieg in das Streaming-Geschäft zusätzlich mit der Schaffung von Eigenproduktionen. In Zukunft soll mehr und mehr Alibaba-Geld in den Aufbau eines eigenen Original-Universums fließen. Alibaba will damit in direkte Konkurrenz mit iQiYi treten, dass als das chinesische Netflix gilt und in Hinsicht auf Views und Unique Clients ähnliche Erfolgszahlen wie „YouKu“ aufzuweisen hat.
Von Let’s Plays über Beauty-Blogs und Propaganda
Filme und Serien spielen zwar eine immer größere Rolle, aber das Unternehmen dient auch noch immer seinem ursprünglichen Zweck als Plattform für User-Generated-Content. So unterstützt man Video-MacherInnen mit einem Partnerschaftsprogramm ähnlich der „YouTube Creators Academy“, diese können ihre Videos wie auf „YouTube“ monetarisieren. Auch Live-Streams mit einem entsprechenden Donation-System sind möglich.
Doch welche Formate und Genres sind bei den Chinesen besonders beliebt? Und gibt es so etwas wie „YouKu“-Stars, äquivalent zu „YouTube“-Größen wie PewDiePie, „Bibis Beauty Palace“ und Co.? Gespräche mit der austro-chinesischen Community geben Aufschluss: „Chinesische und koreanische Dramas sind sehr beliebt“, berichtet etwa Julia Chang auf eine E-Mail-Anfrage. Jenny Xie bestätigt das und fügt hinzu: „So weit ich weiß, bietet ‚YouKu‘ NutzerInnen aber alle Möglichkeiten.“ Was „alle Möglichkeiten“ bedeutet, wird bei einem Heurigenbesuch mit einer Gruppe ChinesInnen – teils in Österreich aufgewachsen, teils immigriert, teils auf Urlaub in Österreich – ersichtlich. Dem Autor dieses Artikels wird die Fülle des Angebots von „YouKu“ gezeigt: Let’s Plays, Beauty-Blogs, V-Logs, Comedy – die chinesische Plattform ist dem Us-Pendant hinsichtlich des Contents recht ähnlich. Eine Chinesin, die namentlich nicht genannt werden will, meint aber, so etwas wie „Stars“ gebe es auf „YouKu“ nicht. „Vieles steckt noch in den Kinderschuhen“, so der Tenor.
Bei der Recherche ist der Autor zudem auf ein Video gestoßen, in dem Chinas Präsident Xi Jinping als „Retter der Arbeitslosen“ dargestellt wird. Zu sehen ist Xi Jingping, wie er arbeitslosen Chinesen die Hand schüttelt und sich in der Partei für die Schaffung von Jobs stark macht. Untermalt wird das ganze von englischen Untertiteln, die von den „Heldentaten“ des chinesischen Präsidenten berichten. Das Video war im März 2018 tagelang auf Platz Eins der „YouKu“-Trends (hier „Hotspot“ genannt). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie stark, vor allem wie systematisch die chinesische Regierung den Kanal als Propagandainstrument nutzt. „Natürlich wird YouKu auch als Propagandainstrument genutzt“, meint etwa Jenny Xie. Julia Chan schwächt jedoch ab: „ Es ist nicht das Haupt-Online-Medien Propagandainstrument“. Vielmehr würde sich die chinesische Regierung auf CCTV und XinHua stützen. Bei CCTV handelt es sich um das TV-Unternehmen „Central China Television“, XinHua ist eine chinesische Nachrichtenagentur, die sehr stark im Online-Bereich tätig ist. Beide Unternehmen befinden sich im Besitz des chinesischen Staates.
Kreative Erlösmodelle
In der Refinanzierung unterscheidet sich „YouKu“ in vielerlei Hinsicht kaum von „YouTube“. Klassische Online-Videowerbeformen wie pre-, mid- und postroll ads, Bannerwerbung und Pop-ups gehören beim chinesischen Videoportal ebenso zum Standardrepertoire. Mit der Übernahme der Alibaba-Group begann man aber auch mit der Implementierung kreativerer Werbeformen, wie der „China Marketing Blog“ von Misha Maruma der Nanjing Marketing Group berichtet. So entstand etwa das „Corner-Logo“, bei der Unternehmen und Creator ihr Markenzeichen in der rechten oberen Ecke des Videos anzeigen lassen können. Ein Click auf das Logo führt UserInnen auf die Website des Herstellers, den Merche-Shop des Creators, oder – ganz im Sinne ihres Gründers Jack Ma – auf die Websites der Alibaba-Töchter Taobao und T-Mall. Die Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, offiziell verifizierte Brand-Channels zu erstellen, so Misha Maruma. Die Besonderheit daran: Im Menübereich des jeweiligen Channels ist ein auffälliger Button platziert, der direkt zu Website der Hersteller führt. Werden auf dem Channel Produkte beworben, so erscheinen in ebenjener Menüleiste auch Links, deren Anklicken das jeweilige Produkt direkt in den Alibaba-Warenkorb schickt. Ein Beispiel dafür ist etwa der offizielle Channel von „Go-Pro“: Der orangene „Buy Now“-Button rechts oben führt direkt zum T-Mall Flagship-Store des Kameraherstellers.
Unter so viel Werbung leidet selbstverständlich die Userfreundlichkeit der Plattform. Die „Bombardierung“ seiner NutzerInnen mit zahlreichen Werbeformen ist aber durchaus Teil der Strategie von „YouKu“. Das Unternehmen gibt offen zu, diesen in den VIP-Bereich der Website locken zu wollen. Dort können sie sich für ein Abo-Modell entscheiden. Zur Auswahl stehen mehrere Angebote, angefangen bei 15 Yuan pro Monat (ca. 2,3 Dollar). Je mehr man bezahlt, desto weniger Werbung bekommt man zu sehen. Zusätzlich bietet „YouKu“ seinen AbonnentInnen noch Zugang zu Exklusiv-Inhalten (vor allem Filme und Serien), diversen Alibaba-Diensten, Gutscheinen, höhere Videoqualität sowie exklusive VIP-Emotes.
Den finanziellen Erfolg dieser Palette an Erlösformen zu bewerten, gestaltet sich dabei als schwierig, denn Alibaba weist „YouKu“ in seinen Geschäftsberichten nicht gesondert aus. Im ersten Halbjahr 2015 vermeldete die damals noch eigenständige Plattform Umsätze in Höhe von 450 Millionen Dollar. Das chinesische Marktforschungsinstitut iResearch schätzt zudem, dass etwa 80% der Erlöse von „YouKu“ aus Werbung stammen. Es ist davon auszugehen, dass „YouKu“ seinen Umsatz mit der Übernahme durch Alibaba kräftig steigern konnte. Rentiert hat sich das Geschäft für den Online-Handelsriesen aber höchstwahrscheinlich noch nicht: Alibaba schrieb im Medien-Segment letztes Jahr Verluste in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar, was vor allem den hohen Investitionen in Content zuzuschreiben ist.
Im Schatten der Zensur
Die chinesische Regierung ist durch finanzielle Teilhabe am Erfolg Alibabas maßgeblich beteiligt. Die kommunistische Partei hat aus Prestige-Gründen großes Interesse daran, die Erfolgstories amerikanischer Tech-Unternehmen zu toppen. Trotzdem hat „YouKu“ immer wieder mit den System-Offiziellen zu kämpfen. Vor allem in der Anfangszeit der „Streaming-Revolution“ in China warf die Regierung immer wieder ein kritisches Auge auf diese Plattformen. Ein besonderer Dorn im Auge war den Zensoren dabei der User-Generated-Content. Dieser ist schwer regulier-, zensier- und dadurch auch schwer kontrollierbar. Man spielte offen mit dem Gedanken, die Plattformen zu verbieten. Auch die zahlreichen, illegal hochgeladenen amerikanischen Filme auf „YouKu“ missfielen der Regierung. Westliche Produktionen „verderben“ – nach offizieller Diktion der kommunistischen Partei – die Jugend.
„YouKu“ zu verbieten ist ob des Erfolgs der Plattform zwar unwahrscheinlich geworden, daran, dass die Partei den schwer kontrollierbaren Online-Medien misstrauisch gegenübersteht, hat sich aber nichts geändert. Im Kampf um die Kontrolle über „YouKu“ sorgte etwa die Verhaftung von Lu Fanxi vor zwei Jahren für Aufsehen in China. Fanxi war laut Berichten in „Financial Times“ und „Forbes“ damals Vice-Chairman und zuständig für Eigenproduktionen der Plattform. In einer ersten offiziellen Meldung der chinesischen Regierung erklärte man die Verhaftung mit „ernsthaften Anschuldigungen gegen Fanxis Content-Projekte“. Um den Eindruck einer politischen Säuberung abzuschwächen, ruderte man später zurück. In den chinesischen Staatsmedien war plötzlich nur mehr von einer Anklage wegen Wirtschaftskorruption die Rede.
Das wichtigste Instrument der Kontrolle der chinesischen Regierung über die landesweiten Medien bleibt neben der Verhaftung unliebsamer Personen jedoch die Zensur der Inhalte. Informationen über die genaueren Prozesse, die dabei im Hintergrund ablaufen, zu bekommen gestaltet sich als schwierig. Johann Günther, Doktor der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und Kunstgeschichte, der in China jahrelang als Dozent an der Jianghan University tätig war, hat für SUMO Kontakt zu seinen chinesischen StudentInnen aufgenommen, um hier Licht ins Dunkel zu bringen. Ein Student, der namentlich nicht genannt werden will, beschreibt das System als „Review First“. Soll heißen: Videos, die auf die Plattform gestellt werden, werden erst öffentlich geschalten, wenn der Inhalt von der chinesischen Zensurbehörde überprüft wurde. In diesem Prozess werden, ähnlich wie auf „YouTube“, sowohl Technologie (Algorithmen), als auch menschliche Arbeitskraft eingesetzt. Der Algorithmus dient dabei als erster „Filter“. Wenn ein Video als „high risk“ identifiziert werde, so der Student, kämen die menschlichen Zensoren zum Einsatz. Jedes Video bekommt zudem eine ID, über die das Video eindeutig dessen Schöpfer zugeordnet werden kann.
Von Tobias Kachelmeier