„Facebook“ oder „Twitter“ bieten politischen AkteurInnen eine einfache, direkte Ansprache ihrer Anhängerschaft. Auch politisch extreme Gruppierungen versuchen mithilfe dieser Kanäle an Aufmerksamkeit und Reichweite zu gelangen.
Warum rechtsradikale ,,YouTube“-Kanäle zunehmend Thema sind
Im direkten Vergleich zu YouTuberInnen aus den Bereichen Beauty, Lifestyle oder Gaming mag eine Zahl von 42.000 AbonnentInnen marginal erscheinen.Für Martin Sellner, den führenden Akteur der ,,Identitären Bewegung Wien“, stellt die Videoplattform ein wichtiges Instrumentarium dar. Neben Auftritten bei Veranstaltungen wie der ,,Pegida“ in Deutschland leistet sein eigener „YouTube“-Kanal einen gewichtigen Beitrag, um an seinem Ziel des ,,Abbaus multikulturellen Meinungsdogmas“ (Zitat) zu arbeiten.
Ein Beispiel aus dem Nachbarland ist der von zwei jungen Deutschen betriebene Kanal ,,Laut gedacht“. Unter Videotiteln wie ,,Islam wird Staatsreligion“ werden noch relativ harmlose Vlogs mit patriotischen, religiösen und kulturellen Thematiken ausgespielt. Es gibt aber auch Kanäle wie die ,,Vulgäre Analyse“ oder ,,Reconquista Germania“, in denen mit härteren Umgangsformen antisemitische, rassistische oder sexistische Inhalte verbreitet werden.
Christian von Sikorskisieht das Aufkommen solcher Kanäle als ein Resultat auf die in letzter Zeit gehäuft auftretenden ,,externen Events“, also Ereignissen wie der sogenannten Flüchtlingskrise. Solche Vorkommnisse nutzen und instrumentalisieren rechtsextreme Gruppierungen gezielt zur Verbreitung ihres Gedankenguts.
Gefahrenpotenzial ist nicht zu unterschätzen
Von Sikorskihebt dabei den primären Unterschied zwischen den klassischen und den sogenannten neuen Medien hervor. Während professionelle JournalistInnen nach ganz bestimmten Grundsätzen agieren, bietet sich uns auf ,,Facebook“ und anderen Online-Plattformen ein anderes Bild. Jeder darf hier seine Meinung frei äußern, ob in Form von Texten, Bildern oder Kommentaren. Im Gegensatz zu textlastigeren Plattformen wie ,,Facebook“ oder ,,Twitter“, ist ,,YouTube“ bereits per Definition eine Videoplattform. Was bedeutet, dass das Visuelle klar im Vordergrund steht. Bezogen auf die Forschung, habe gerade das einen stärkeren Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung. Da uns laut von Sikorski Bewegtbilder subtiler beeinflussen, genüge es bereits Fotos von großen Gruppen von ZuwanderInnen in einem Grenzgebiet zu zeigen. Damit löse man Emotionen aus, ohne explizit etwas anmerken zu müssen.
Diese Annahme wird bestätigt, wenn man das Videomaterial oben genannter Personen analysiert. Der Auftritt ist meist eher zurückhaltend als extrem. ,,Laut Gedacht“ und Konsorten treten unter dem Deckmantel auf, nur ein harmloser Nachrichten- und Lifestyle-Blog zu sein. Die Beiträge sind unterhaltsam, unterlegt mit viel Bildmaterial. Die neuen Rechten versuchen über Sprache und Kultur Rassismus und völkisches Denken gesellschaftsfähig zu machen. Politischer Einfluss soll dabei nicht über das Parlament, sondern direkt auf die Gesellschaft ausgeübt werden.Mit der Videoplattform ist das einfacher denn je.
Uneingeschränkter Zugriff als zweischneidiges Schwert
Stößt man auf Videos in denen hetzerisches oder rassistisches Gedankengut öffentlich zugänglich gemacht wird, kommt schnell der Impuls auf, diese einfach zu sperren. Die Frage, ob der uneingeschränkte Zugriff hier zu weit reicht, ist legitim. Der Kommunikationswissenschaftler distanziert sich jedoch von der Idee, ,,YouTube“ einzuschränken. ,,Wer entscheidet eigentlich, was verboten ist und was nicht? Grenzen zu ziehen liegt im Aufgabenbereich der Gesetzgebung. Es ist per Gesetz verboten, Hakenkreuze in jeglicher Art und Weise öffentlich darzustellen.“ Von Sikorski verweist an dieser Stelle aber auch auf die Meinungsfreiheit. Hier sei jede Form der Einschränkung mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Um Folgeprobleme, wie eine Abwanderung in den Untergrund zu verhindern, solle jede/r das Recht haben seinen bzw. ihren Standpunkt öffentlich und ohne Bestrafung zu äußern. Werden Grenzen jedoch überschritten, müsse gehandelt werden. Es sei die Aufgabe der Plattformbetreiber, aber auch des Gesetzgebers und der Exekutive, der Verbreitung verbotener Inhalte entgegenzuwirken.
Klassische Medien versus neue Medien
Der Großteil der Bevölkerung lehne Rechtsextremismus ab, suche daher auch nicht gezielt nach solchen Informationen und beziehe Wissen grundsätzlich über klassische Medien, stellt von Sikorski fest. Personen mit einer gefestigten Meinung, wie Menschen mit rechtem Gedankengut, suchen hingegen explizit nach Bestätigung ihrer Sichtweisen und rezipieren erfahrungsgemäß Publikumsmedien wie den ORF oder Qualitätszeitungen wie ,,Standard“ oder ,,Presse“ deutlich selektiver. Sie bevorzugen vermeintlich informative neue Kanäle im Internet. Einer der meist besuchten Kanäle der Szene – der von Martin Sellner – kritisiert in vielen seiner Videos die etablierten Massenmedien. ,,Spiegel TV lügt“, ,,ORF=Fakenews“ oder ,,Danke ARD“ – vor allem politisch (vermeintlich) linksorientierte Massenmedien sind vielen Rechtsradikalen ein Dorn im Auge.
Personen, die rechtsradikale Inhalte generieren, versuchen bewusst den Graubereich der Justiz bis zu dessen Grenzen auszukosten. Dieses Konzept geht auf. Erreicht werden zum Großteil Menschen, die ihre Meinung teilen und aktiv danach gesucht haben. Damit werden Beschwerden oder Strafen meist vermieden. Kommt es nun zu Ereignissen wie der „Flüchtlingskrise“, die die Anhängerschaft solcher Gruppierungen erweitern, besteht laut dem Experten das Risiko einer Polarisierung der Bevölkerung. Immer mehr Menschen sind dann für solche Informationen empfänglich. ,,Zukunft für Europa“, mit bekannten Gesichtern der rechten Szene wie Martin Sellner oder Tony Gerber, hat bereits eine Million Aufrufe. Darunter findet man einen Spendenaufruf für die ,,Identitäre Bewegung Deutschlands“ und eine ausführliche Beschreibung, wie man Mitglied der Bewegung, die für ,,Heimat, Freiheit und Tradition“ steht, wird. Videos wie diese richten ihre Botschaften gezielt an ein junges Publikum, das leicht zu beeinflussen ist.
Gestaltungsmöglichkeiten der Beeinflussung
Gruppierungen, die dem neurechten Spektrum zugeordnet werden arbeiten vernetzt. Es findet ein reger Austausch auf Veranstaltungen, aber auch online statt. Zusätzlich gibt es einen einheitlichen Auftritt der Anhängerschaft. So zeigen sich die zwei Darsteller hinter ,,Laut gedacht“ im abgestimmten Outfit mit Logo.
Von Sikorski, der sich in seinen Publikationen u.a. mit politischer Kommunikation und deren Rezeption beschäftigt hat, nennt drei Gründe, warum gerade „YouTube“ ein optimales Tool darstellt, um das Zielpublikum in ihrer Wahrnehmung zu beeinflussen. Ersichtlich sei dies etwa in Werbeclips für PolitikerInnen. Primäres Ziel solcher Aufnahmen ist es, die eigene Person und eigene Standpunkte möglichst positiv zu präsentieren, während man seine Gegnerschaft in ein negatives Licht rückt. In einer von ihm kürzlich durchgeführten Studie wurden ProbandInnen Bildaufnahmen von PolitikerInnen, die in Skandale verwickelt waren gezeigt. Auf der einen wurde die Person alleine isoliert vor einem schwarzen Hintergrund abgebildet, auf der anderen vor einem weißen. Trotz der identischen Personendarstellung (Mimik, Gestik) und dem identischem Text wurden die Abgebildeten als negativer beurteilt, wenn der Hintergrund dunkel war. Dies zeigt, dass alleine die Farbe und Kontextualisierung einen Einfluss auf unsere Sichtweise nehmen können. Zusätzlich spielen auch der gewählte Kamerawinkel, wie auch Abspielgeschwindigkeit und andere Elemente der visuellen Gestaltung eine Rolle.
Die zweite Ebene, fährt von Sikorski fort, sei alles Nonverbale im Video. Dazu zählt zum Beispiel alles was der/ die AkteurIn macht, wie er oder sie sich präsentiert und zur Schau stellt. Körpersprache, Mimik und Gestik können im Gegensatz zu rein text- oder bildbasierten Darstellungsformen in Videoclips gezielt dazu verwendet werden, um die Wirkungsweise zu verstärken. Der dritte Bereich, den er nennt, umfasst all das, was noch über die non-verbale Komponente hinausreicht – die auditiven Elemente. Musik kann hier eine große Wirkung entfalten. Bilder von Flüchtlingsströmen, untermalt von dramatischer Musik, sollen negative Assoziationen hervorrufen. Daneben spielt auch die Sprache der AkteurInnen eine Rolle. Rechte Gruppierungen bedienen sich nicht selten einer veralteten Ausdrucksweise. Begriffe wie ,,Heimat“, ,,Volk“, ,,völkisch“ oder ,,Umvolkung“, die in der NS-Zeit missbräuchlich verwendet wurden, unterliegen einer starken Färbung. Solche Schlagwörter kombiniert mit visuellen Informationen und Musik werden gezielt eingesetzt und erzeugen nachgewiesenermaßen Effekte. Beachtet man diese drei Ebenen, kann man seine Botschaft sehr überzeugend an sein Publikum richten, klärt der Kommunikationswissenschaftler auf.
Hauptzielgruppe von ,,YouTube“ besonders empfänglich
Die größte Nutzergruppe der Videoplattform ist sehr jung, zum Teil noch minderjährig. Von Sikorski bezieht sich erneut auf seine Forschungsarbeit in diesem Gebiet. Durch langjährige Wirkungsforschung steht heute fest, dass Kinder und Jugendliche leichter und stärker beeinflussbar sind. Bestes Beispiel sei hier Werbung: Werbebotschaften an Kinder sind deshalb so erfolgreich, da diese bis zu einer gewissen geistigen Reife noch nicht wissen, wann es sich bei Content um bezahlte Werbung handelt. Inhalte, die zu einer gewissen Meinung überzeugen sollen werden viel leichter und besser angenommen. Hinzu kommt das Problem, dass junge Leute noch sehr flexibel in ihren Sichtweisen sind. Natürlich habe das auch seine Vorteile, meint der gebürtige Deutsche. Während Erwachsene stärker auf ihrer eigenen Meinung beharren, sind Jüngere noch offen für Neues. Trotzdem mache sie das auch anfälliger für negatives oder sogar gefährliches Gedankengut. Daher wenden sich Formate wie ,,Laut Gedacht“ explizit an eine junge Zielgruppe. Es wird nicht offensiv Hass gegen Flüchtlinge geschürt, sondern versucht, durch ,,lustige“ Videos zu aktuellen politischen Debatten unterschwellige Botschaften zu verbreiten.
Wo fehlende Medienkenntnisse anfangen und Seriosität endet
Ein gesellschaftlich unerwünschter Trend, der zunehmend auch viele Erwachsene trifft, ist das schwindende Gespür für die Seriosität einer Quelle. Von Sikorski erklärt, dass Personen, die mit klassischen Massenmedien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgewachsen sind, in der Regel skeptischer seien, wenn sie auf Informationen in Online-Medien stoßen. Egal ob sie nun eher politisch links oder rechts stehen, sie schenken von JournalistInnen verfassten Nachrichten wesentlich mehr Vertrauen bzw. fragen: Wer oder was ist hier der Sender einer Botschaft? Sie wissen, dass Quellen wie Qualitätsmedien vernünftig recherchieren und Fakten doppelt prüfen. Aktuelle Studien ergaben, dass diese Kenntnis Jugendlichen oft fehlt, wenn sie nicht mit klassischen Medien aufgewachsen sind. Viele wissen nicht mehr, wofür ein bestimmtes Medium steht und wo die Information, der sie Beachtung und Glauben schenken überhaupt herkommt. Hier treffen ,,Fake News“ dann auf fruchtbaren Boden. „Aber auch Erwachsene sind hier nicht grundsätzlich resistent. Insbesondere Personen mit einer geringen Medienkompetenz laufen Gefahr, fragwürdige, unseriöse oder schlichtweg falsche Informationen als geprüftes und verlässliches Wissen anzusehen“, ergänzt von Sikorski.
Als Lösungsvorschlag biete sich laut von Sikorski ein verbesserter medienpädagogischer Ansatz an: ,,Junge NutzerInnen müssen an das Thema herangeführt werden. Ihnen muss gezeigt werden, was sauber recherchierte Informationen sind. Das gilt auch für Nachrichten, die für jedermann online zur Verfügung gestellt werden. Schaut euch die Quelle ganz genau an!“, mahnt der Experte. Auch auf ,,YouTube“ sollte man sich stets fragen, wo das Videomaterial eigentlich herstammt, das dort abrufbar ist. Es braucht also nicht gezwungenermaßen Einschränkungen und Strafen, es braucht einen verantwortungsvollen und bewussten Umgang mit neuen Medien.
Von Kathrin Weinkogl