Im Auftrag von SUMO habe ich mich mit einem faszinierenden, weltweit präsenten, reichweitenstarken Medium befasst. Die Rede ist von Graffiti. Ich habe mich dafür mit Tommy (Name von der Redaktion geändert), einem jungen Wiener Graffiti Künstler, unterhalten. In der Recherche stößt man ziemlich schnell auf das Thema von legalen Wänden in Wien. Aus diesem Grund habe ich mit Donat Klingesberger, dem Geschäftsführer des Wiener Bildungsservers und Zuständigen für das Projekt Wienerwand, gesprochen.
Von MAX PETERNELL
U4 Schottenring, Ausgang Promenadenweg. Die Graffitis am Donaukanal stechen mir erst seit ein paar Wochen deutlich ins Auge. Davor waren sie einfach ein Teil des Stadtbilds, deren Existenz mir vermutlich erst bewusst aufgefallen wäre, wenn sie auf einmal von den Wänden verschwunden wären. Seitdem ich mich mit diesem Thema befasse, fallen mir die bunten Signaturen und Motive in der Stadt viel häufiger und auch bewusster auf. Ich glaube am besten lässt es sich mit einem weißen Golf vergleichen, den man sich gerne zulegen würde und auf einmal, wie aus dem Nichts, ist die ganze Stadt voller weißer kleiner VWs.
Zwischen den Tauben Wiens
Zurück zum Donaukanal. Beim ersten Schritt in die Nachmittagssonne sehe ich sofort die bunten Mauern. Namen, Statements, Bilder und Figuren, die in ihrer Vielfalt die sonst graue Wand füllen. Eine Vielzahl von Graffitis wird hier, im Unwissen der Allgemeinheit, illegal angebracht. Woran erkennt man das? Anhand von zwei Reliefplatten in Form von Tauben, den sogenannten Wiener Tauben, dem Zeichen des Projekts Wienerwand. Einem durch die Stadt Wien geförderten und vom Wiener Bildungsserver betreuten Projekt, welches Sprayer*innen das legale Sprühen in Wien erlaubt. Die Wiener Tauben schauen einander an und genau zwischen den beiden Wiener Tauben ist das Sprühen für alle legal gestattet. Die erste und dadurch auch bekannteste legale Wand in Wien, auch laut meinen beiden Interviewpartnern, liegt vor dem Wiener Club Flex. Eine von drei legalen Wänden am Donaukanal und eine von 24 in ganz Wien. Reichlich Fläche, um sich legal auszutoben und seinem Hobby nachzugehen meint Tommy. Allerdings würden viele dieser Wände aufgrund von Löchern nur wenig taugen. Donat Klingesberger meint dazu, dass diese Wände im Bereich der öffentlichen Hand sind und explizit für Graffiti freigegeben werden. Das Projekt Wienerwand bekommt lediglich die Freigabe die Mauer für Sprayer*innen zur Verfügung stellen zu können. Bauarbeiten oder Renovationen sind da nicht enthalten, dürfen also nicht gemacht werden. Teils seien die Wände in besserer Kondition, teils in nicht optimaler für das Sprühen. Dafür würde daran gearbeitet immer mehr Wände für das legale Besprühen freizugeben.
Hinter dem Rücken der Tauben
Wenn der Großteil des Donaukanals illegal besprüht wird, stellt sich natürlich die Frage der drohenden Konsequenzen. Tommy hat am Donaukanal bereits Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Mit lediglich 13 Jahren und damit nicht strafmündig, wurde er beim Sprayen von mehreren Polizist*innen umkreist und anschließend im Mannschaftsbus mitgenommen. „Völlig überzogen“, so sein Kommentar heute. Wird man erwischt, hängen die Konsequenzen zumeist von den Polizist*innen ab. Vom ignoriert werden bis zur Anzeige kann alles vorkommen. Bis auf den Donaukanal hat Tommy noch nie illegal gesprüht, aber der sei eine Grauzone. Er kennt allerdings Leute, die dies regelmäßig tun. Wände ansprühen okay, aber wie kann man sich diesen Prozess im Fall öffentlicher Verkehrsmittel vorstellen? Auf die Frage, warum das Ansprühen von Zügen so beliebt und einfach ist, antwortet er: „Ich weiß, dass die ÖBB, was Sicherheit angeht, nachhinkt. Daran könnte das liegen.“ Die hohen Geldstrafen und teilweise sogar Freiheitsstrafen scheinen aber abzuschrecken. Diese belaufen sich bei ersten Delikten bereits auf bis zu 360 Tagessätze und können sogar zu sechs Monaten Haft führen. Die Schadenssumme ist laut ÖBB mit 3,1 Millionen Euro im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr, mit 3,2 Millionen Euro, ziemlich gleichgeblieben. Die Zahl der Delikte ist sogar zurückgegangen, allerdings werden die Graffitis immer größer. Auf Anfrage an die Wiener Linien und ÖBB schreiben letztere: „Sprayer*innen verschaffen sich illegal Zutritt zu den Bahnanlagen, indem Hinweisschilder missachtet und/oder Zäune überwunden werden.“ Beide Betriebe setzen „auf eine enge Kooperation mit der Polizei und Behörden, geschultes Sicherheitspersonal und Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Mitarbeiter*innen“. Die ÖBB achtet „außerdem auf bauliche Maßnahmen, wie z.B. Zäune.“. Die Wiener Linien „setzen auf strategisch geplante Kontrollgänge“ um das illegale Ansprühen von öffentlichen Verkehrsmitteln zu vermeiden.
Die Frage des Vandalismus
Eine Frage, die genauso alt ist wie die heutige Form des Graffitis selbst, ist jene des Vandalismus. Wenn man den bunten, hippen Donaukanal in seiner jetzigen Form mit den grauen, leeren, fast schon tristen Bildern aus den 1980ern vergleicht, kann es sich dabei doch eigentlich nur um Kunst, um die Verschönerung eines Stadtbildes handeln, oder? Ganz so einfach ist dieses Thema leider nicht zu beantworten. Die Feindseligkeit gegenüber den Wandbildern lässt sich, laut einer Studie vom Kuratorium für Verkehrssicherheit aus dem Jahr 2021, welche sich mit Graffiti in der medialen Debatte und öffentlichen Wahrnehmung beschäftigt, vor allem auf die großteils negative Berichterstattung aus den Medien zurückführen. Wenn es um Graffiti geht, wird es laut dieser Studie meist mit Kriminalität in Verbindung gebracht und befragt werden Betroffene wie die ÖBB oder deren Anwälte. Nur selten kommen Graffiti-Künstler*innen selbst zu Wort. Über Kunst oder das Potential den urbanen Raum zu verschönern wird weniger gesprochen. Das Problem ist, dass sehr viele zufällige Schriftzüge von Personen an Wände geschmiert werden, die nichts mit der Graffiti Szene oder der Kunst der Streetart zu tun haben. Diese wollen lediglich, ohne künstlerische Ambitionen, ihre Nachricht oder ihren Namen in die Öffentlichkeit bringen. Wenn man diese Schmierereien aus dem Begriff Graffiti weglässt, wäre die Debatte, ob Graffiti nun Vandalismus ist oder nicht, mit Sicherheit eine andere. Vans.de hat in einem Artikel der Diskussion einen wichtigen Punkt hinzugefügt. Man soll „Ich mag es nicht“ nicht mit „Es ist Vandalismus“ verwechseln.
