Vom Ton zum Trend: Warum Musiker*innen heute auch Influencer*innen sein müssen

Dank Social Media haben junge Musiker*innen neue Wege gefunden, sich und ihre Musik zu präsentieren und eine Karriere zu starten. Dabei werden je nach Plattform unterschiedliche Öffentlichkeiten bedient. Doch kein Benefit ohne Kehrseite. Denn ist es heutzutage überhaupt noch möglich, als Musiker*in erfolgreich zu sein, ohne eine Präsenz in den sozialen Medien zu zeigen? Und welche Auswirkungen hat dieses Musikmarketing auf uns als Rezipient*innen und die Beziehung zu unseren Stars? SUMO holte die Meinungen von Luke Andrews und KØLEEN, zwei begabten Musiker*innen sowie Niklas Gusenbauer, Senior Business Development Manager bei Global Rockstar, zu diesen Fragen ein. 

Der Einzug von Social Media in die Welt der Musik hat die Branche in vielerlei Hinsicht revolutioniert. Noch nie zuvor hatten Musiker*innen einen so direkten Zugang zu einem globalen Publikum und die Möglichkeit, ihre Kunst unmittelbar und ohne Zwischenhändler*innen zu präsentieren. Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok und X, ehemals Twitter, haben es Künstler*innen ermöglicht, sich nicht nur als Musiker*innen, sondern auch als Persönlichkeiten zu präsentieren und eine enge Bindung zu ihren Fans aufzubauen.  Die Entwicklung von Social Media hat auch die Definition von Erfolg in der Musikbranche verändert. Früher wurde dieser anhand von Plattenverkäufen, Chartplatzierungen und Radio-Airplays gemessen. Heute spielen diese traditionellen Maßstäbe eine geringere Rolle. Künstler*innen werden zunehmend nach anderen Kennzahlen wie Follower-Zahlen, Interaktionsraten und Viralität beurteilt. Aus passiven Rezipient*innen sind aktive Teilnehmer*innen geworden. Sie beeinflussen mit ihren Reaktionen auf die Musik andere Öffentlichkeiten und somit auch den Erfolg von Musiker*innen.  

Die Präsenz auf Social Media kann nun den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen, denn eine treue und engagierte Fangemeinde spielt seit jeher eine wichtige Rolle. Doch Social Media hat die Art und Weise verändert, wie Musiker*innen mit ihren Fans interagieren. Früher waren Stars oft unerreichbare Idole, deren Leben und Arbeit den Fans größtenteils verborgen blieb. Heute ermöglichen Plattformen wie Instagram, Facebook und TikTok den Künstler*innen, sich auf eine persönlichere und authentischere Weise zu präsentieren. Diese direkte Interaktion hat nicht nur die Bindung zwischen Künstler*innen und Fans gestärkt, sondern auch neue Möglichkeiten für Marketing und Promotion geschaffen. Diese Ansichten werden von der Musikerin KØLEEN und dem Künstler Luke Andrews bestätigt, die beide die Bedeutung von Social Media für den Aufbau einer engagierten Fangemeinde betonen. Auch Niklas Gusenbauer von Global Rockstar hebt hervor, wie wichtig diese Plattformen geworden sind, um authentische Verbindungen zu den Fans zu schaffen und dadurch den Erfolg zu fördern. 

Fluch oder Segen – Social Media und sein Algorithmus 

Bei der Musikerin KØLEEN verschmelzen die Welten von Natur und Musik. Als Försterin und Singer-Songwriterin integriert sie ihre Liebe zur Natur nicht nur in ihre Musik, sondern auch in ihr Branding auf Social Media. Seit knappen vier Jahren ist sie aktiv in der Musikbranche tätig und hat bereits Erfolge wie Auftritte beim Donauinselfest und Radio-Airplays verbuchen können. Auch KØLEEN bemerkt den Einfluss von Social Media: „Während man früher vielleicht der größte Durchstarter der Top Drei aus Talentshows wie „Starmania“ war, sind diese Stars heute ohne eine konstante Social-Media-Präsenz kaum noch relevant.“  

Social Media fungiert für Musiker*innen als Visitenkarte und Aushängeschild. Auf TikTok wird viralen Trends nachgegangen, die auch auf den Erfolg auf anderen Plattformen Einfluss nehmen können. KØLEEN betont jedoch auch die Herausforderungen, die der Algorithmus von Plattformen wie TikTok oder Instagram mit sich bringt. Immer wiederkehrende Änderungen im Algorithmus beeinflussen die Reichweite von Inhalten, was Musiker*innen dazu zwingt, ihren Content-Plan kontinuierlich anzupassen. „Aktuell bin ich beim Erreichen von neuen Leuten ein bisschen planlos. Der Trend geht nämlich in die Richtung, dass man in Zukunft für Reichweite zahlen muss.“ Der Algorithmus pusht Beiträge, insbesondere solche die Song Releases bewerben, mittlerweile nicht mehr so stark. Reichweite wird künftig kosten. Trotz dieser Herausforderungen betont KØLEEN die Wichtigkeit der direkten Interaktion mit den Fans.  

Luke Andrews von der Luke Andrews Band ist seit 2018 in der Branche tätig und stimmt den Herausforderungen, die KØLEEN beschreibt, zu. Er ergänzt: „Es ist entscheidend, dass wir als Künstler*innen die Authentizität nicht verlieren und uns nicht nur auf die Zahlen konzentrieren. Musik sollte immer im Vordergrund stehen und nicht die Jagd nach Likes und Follower“. Er sieht Social Media als ein Werkzeug, das zwar eine unvergleichliche Plattform bietet, um ein breites Publikum zu erreichen, jedoch auch einen Druck erzeugt, der die kreative Freiheit einschränken kann. Die ständige Konzentration auf Algorithmen kann von der eigentlichen Kunst ablenken. 

Die „Musiker-Influencer-Balance“ – Ein schmaler Grat 

Sie sind also nicht nur Musiker*innen und Künstler*innen, sondern auch Content Creator*innen. Luke Andrews beschreibt eine zunehmende Verschmelzung von Musiker*in und Influencer*in. Während Social Media die Chance und den großen Vorteil bietet, global bekannt zu werden, ist es gar nicht so einfach bei der Vermarktung auf allen Plattformen mitzuhalten. Die Diskussion darüber, wie viel Zeit und Energie in die Bespielung der Social-Media-Kanäle investiert werden sollte, ist in der Community allgegenwärtig. Denn jede Plattform hat ihre eigenen Anforderungen und Möglichkeiten.  

So braucht es auf Instagram und Facebook kürzere Videos, die schnell die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen fesseln, während auf YouTube längere Inhalte möglich sind, die eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen. TikTok wiederum setzt auf sehr kurze, virale Inhalte, die oft spontaner Natur sind und sich schnell verbreiten lassen. Diese Unterschiede in der Content-Gestaltung sind entscheidend, um verschiedene Altersgruppen anzusprechen. Facebook erreicht ein breiteres und oft älteres Publikum, das vielleicht detailliertere und informationsreichere Inhalte bevorzugt. TikTok, sowie Instagram hingegen haben eine jüngere Nutzer*innen-Basis, die schnelle und unterhaltsame Inhalte wertschätzt. Laut dem Digital News Report von Reuters aus dem Jahr 2023 nutzen 59,2% der 18–24-jährigen Instagram, aber nur 43,3% der 35–44-Jährigen. Dafür ist diese Altersgruppe auf Facebook mit 56,5% deutlich mehr vertreten, während nurmehr 25,2% der 18–24-Jährigen das Medium nutzen. Auf TikTok sind 31,2% der 18–24-Jährigen und 18,3% der 35–44-Jährigen vertreten. Auch die JIM-Studie aus dem Jahr 2021 bestätigt: Bei TikTok wachsen die Nutzer*innen-Zahlen der unter 20-Jährigen am schnellsten. Diese Plattform ist besonders nützlich, um virale Musikstücke zu fördern und eine jüngere Zuhörerschaft zu erreichen, die möglicherweise schneller auf neue Trends anspringt.  

Es ist also eine Herausforderung, die verschiedenen Öffentlichkeiten durch die verschiedensten Plattformen mit unterschiedlichem Content zu bedienen, insbesondere ohne Contentplan oder Management, dass dabei hilft. In der Luke Andrews Band gilt es nicht nur den Account der Band zu bespielen, zusätzlich hat jedes Mitglied seinen eigenen Kanal, was den Zeitaufwand noch einmal erhöhe. Auch darf die Authentizität der Künstler*innen dabei nicht verloren gehen, was die Übertragung dieser Aufgaben an Dritte kaum möglich macht. Die Grenze zwischen authentischem Musikschaffen und der Notwendigkeit, als Influencer*in aktiv zu sein, verschwimmt zunehmend. Hinzu kommt: „Wir tun uns gerade irrsinnig schwer damit, Leute auf Konzerte zu bringen. Ich denke, dass das auch mit der Nutzung von Social Media zu tun hat“, reflektiert Luke Andrews die aktuellen Herausforderungen.  

Mitten im Leben der Musiker*innen – Die Fans 

Die digitale Revolution hat auch die Beziehung zwischen Musiker*innen und ihren Fans grundlegend verändert. Das sieht auch Niklas Gusenbauer, Senior Business Development Manager bei Global Rockstar. Früher bezogen Fans Informationen über Künstler*innen hauptsächlich aus Printmagazinen und Fernsehauftritten, doch heute bieten Plattformen wie Facebook, Instagram und insbesondere TikTok einen täglichen Einblick in das Leben und die Arbeit ihrer Lieblingskünstler*innen. Niklas Gusenbauer betont die Relevanz von TikTok, da Künstler*innen dort über Nacht viral gehen können und so eine Karriere aus dem nichts erschaffen. Erfolgsbeispiele dazu sind Lil Nas X und Justin Bieber. Durch Live-Streams und Frage-Antwort-Sessions können Musiker*innen ihre Zuhörer*innen stärker einbinden und die Bindung vertiefen. „Man fühlt sich mittlerweile so nah an ihnen, dass man denkt, eine enge persönliche Freundschaft zu haben“, so Gusenbauer. Fans entwickeln oft starke emotionale Bindungen zu Künstler*innen, was sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben kann. Eine persönliche Bindung und ein tiefes Verständnis für die Kunst und Persönlichkeit der Musikschaffenden einerseits, stehen andererseits unrealistischen Erwartungen an die Verfügbarkeit der Künstler*innen gegenüber. Das kann, so Gusenbauer, auch zu Belastungen wie Stalking und negativem Feedback führen. Trotz allem: „Die Zukunft von Social Media in der Musikbranche ist vielversprechend. Solange Musiker*innen auf Authentizität, Kontinuität und Einzigartigkeit setzen.“ Luke Andrews und KØLEEN teilen diese Einschätzung und ergänzen, dass die ständige Verfügbarkeit und die Möglichkeit, direkt auf Fans zu reagieren, sowohl eine Bereicherung als auch eine Belastung darstellen können.  

Auswirkungen auf Fans und Rezipient*innen 

Das richtige Maß gilt es nicht zwischen Content Creation und Musik Produktion, sondern auch für die Quantität und Qualität der Inhalte zu finden. Wenn Fans das Gefühl haben, dass die Darstellung ihrer Stars zu inszeniert oder unnatürlich ist, kann die Präsenz auf Social Media zu Entfremdung führen. Darüber hinaus können ständig neue Inhalte auch eine Überlastung für Fans und Rezipient*innen darstellen. In Summe ist die Beziehung zwischen Künstler*innen und ihren Fans in der heutigen Zeit sehr kompliziert und herausfordernd. Aber das waren Beziehungen wohl schon immer. 

Carla Medlitsch | Copyright: Max Peternell