Der Streaming-Markt ist im Wandel: Zwischen Preiserhöhungen, Werbeabos und harter Konkurrenz suchen Anbieter neue Wege zur Profitabilität. SUMO sprach mit Christian Grece, Analyst beim European Audiovisual Observatory und Sophia Felgner, Director bei Simon-Kucher & Partners, über tiefgreifende Veränderungen des Marktes.
von MORITZ DENKMAYR
Samstagabend. Die Horrorfilme sind ausgewählt, Snacks vorbereitet und die Couch gemütlich hergerichtet. Einem gruseligen Streaming-Abend steht nichts mehr Wege. Doch ein Blick auf ihre Abo-Kosten lässt Lisa schaudern: Die Preise sind erneut gestiegen.
Die einzige Konstante ist Veränderung
Generell gilt: der Markt boomt. Im Schnitt besitzen deutsche Kund*innen 2,7 Abos und rezipieren mehr, erklärt Sophia Felgner von Simon-Kucher, einer Beratung für Unternehmenswachstum. Dennoch verstärke sich durch die steigende Zahl an VoD-Anbietern der Wettbewerb um Budget und Freizeit der Nutzer*innen. Auch jenseits der Streaming-Welt werde um das Zeitbudget der Menschen konkurriert. 40% der unter 40-Jährigen verbringe lieber Zeit in sozialen Netzwerken als auf Streaming-Diensten – eine ernstzunehmende Konkurrenz für Netflix und Co, betont Felgner.
Laut Christian Grece, Analyst für TV und Video-on-Demand am European Audiovisual Observatory, einer Forschungseinrichtung des Europarats für den europäischen Medienmarkt, habe sich der Fokus der VoD-Anbieter verschoben. Anstatt sich auf Abonnent*innenwachstum zu konzentrieren, stehe nun die Profitabilität im Vordergrund. Grund dafür seien die Verluste durch massive Investitionen in Inhalte während der Covid-Pandemie sowie das langsame Abonnent*innenwachstum. „Der Schrei nach Profitabilität war auch ein Grund für die Account-Sharing-Restriktionen“, so Grece.
Preis-Leistungs-Frust
„Es wird immer wichtiger, dass ich mich mit einer Breite an exklusiven Inhalten, die häufig auch neu erscheinen, gut aufstelle“, erläutert Sophia Felgner. Denn neben dem Preis sei die inhaltliche Breite das wichtigste Kaufkriterium für ein Abo. Dennoch drücken etwas weniger als die Hälfte der ca. 12.000 Onlinebefragten der globalen Simon-Kucher Streaming-Studie 2024 Unzufriedenheiten mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis aus. Laut Felgner werden aufgrund der Preiserhöhungen im letzten Jahr die Leistungen nun kritischer bewertet. Diese Entwicklung spiegelt sich in der Kündigungsabsicht wider: Ein Drittel der User*innen halte es für wahrscheinlich, nächstes Jahr aus Preisgründen ein Abo zu kündigen.
Die Streaming-Studie zeigt, dass das gesamte Streaming-Budget der Leute lediglich bei 23 € im Monat liegt. Somit können Preiserhöhungen eine zusätzliche Belastung darstellen. Felgner schlägt bewährte Strategien vor, um den Schock bei Preiserhöhungen abzumildern: klare Kommunikation mit nachvollziehbaren Gründen für den Preisanstieg, idealerweise einhergehend mit Verbesserungen wie neuen Inhalten.
Werbung – Don’t Call it a Comeback
Als sie nach billigeren Optionen sucht, stößt Lisa auf – Netflix mit Werbung? Das klingt für sie erstmals irritierend. Werbung ist einer der Hauptgründe, wieso sie kein lineares TV schaut. Jedoch bemerkt Lisa schnell, dass werbefinanzierte Abos nicht nur Nachteile aufweisen.
Laut der Simon-Kucher Streaming-Studie 2024 präferieren Nutzer*innen preisfreundlichere Optionen für das Streamen. Werbefinanzierte Abonnements bieten genau das: Streaming zu einem niedrigeren Preis im Austausch für Werbung. Und es funktioniert. Allein in Deutschland haben sich die Werbeabos zum vorherigen Jahr verdreifacht. Trotzdem störe ein Großteil der Nutzer*innen Werbung, erklärt Sophia Felgner. Durch Anpassungen ließe sich aber die Werbeakzeptanz erhöhen: Rezipient*innen würden es bevorzugen, wenn die restliche Werbezeit angezeigt und möglichst viele Werbeschaltungen vor dem Stream platziert werden, statt sie zu unterbrechen. Man kann auch an der Werbung selbst arbeiten: Laut einer Studie der Universität Modena von Marco Furini aus dem Jahr 2023 wird personalisierte Overlay-Werbung – eine für kurze Zeit und ohne Unterbrechung sichtbare halbtransparente Anzeige im unteren Teil des Bildschirms – als weniger störend wahrgenommen wie Werbeunterbrechungen.
Nicht nur für Nutzer*innen sind werbefinanzierte Abos interessant. Anbieter können potenzielle Kündiger*innen in einem billigeren Abonnement auffangen. „Zum anderen kann ich mit diesen Abos preissensitive Neukund*innen gewinnen“, betont Sophia Felgner. Der Vierteljahresbericht von Netflix für Q3 2024 untermauert dies: Werbefinanzierte Abos machten 50% aller Neuanmeldungen in den Ländern aus, die dieses Abomodell anbieten. Zudem stieg die Anzahl der Werbekund*innen im Vergleich zum vorherigen Quartal um 35%. Allerdings müsse laut Felgner die Kannibalisierungsgefahr beachtet werden: Bestehende Nutzer*innen können von ihren Tarifen zu den günstigeren, werbefinanzierten Abos wechseln. Für Anbieter immer noch eine bessere Option, als Kund*innen zu verlieren. Und auch wenn der Abo-Umsatz pro Nutzer*in aufgrund des niedrigeren Preises sinke, generiere die Person noch zusätzliche Werbeerlöse für den Anbieter.
Werbung spiele seit jeher eine zentrale Rolle in der Finanzierung der Medien und mache etwa 30-40% des Umsatzes im europäischen audiovisuellen Sektor aus. Während die traditionelle TV-Werbung sinke, würden sich auch TV-Sender zunehmend ins Digitale verlagern, um Marktanteile nicht gänzlich an Tech-Giganten wie Google zu verlieren. Christian Grece begründet die Entwicklung so: „Werbung geht dorthin, wo die Audience ist und die Audience ist online.“ Besonders attraktiv für Werbekund*innen sei das präzise Targeting in werbefinanzierten Abos, das im linearen TV nicht möglich ist.
Wir sind Live in 3, 2, 1…
Laut Christian Grece seien Live-(Sport)-Events die letzte Bastion des linearen TVs und sind daher besonders begehrt bei VoD-Anbietern. Während sich Netflix mit seinen Sport-Dokus sowie den NFL Christmas Games 2024 langsam herantaste, wolle Amazon dadurch die Position als „One-Stop-Solution“ für Entertainment ergattern.
Einem Bericht des „Wall Street Journal“ zufolge zahlt Netflix für beide NFL Christmas Games insgesamt etwa 150 Mio. Dollar. So stellt sich die Frage, wieso Streaming-Anbieter trotz hoher Übertragungsrechte in Live-Sport-Events investieren. Grece geht davon aus, dass dieses Vorgehen weniger dem Profit, sondern eher der Steigerung des Engagements und Brandings diene. Felgner meint zudem, dass durch die Exklusivität der Übertragungsrechte Neukund*innen gewonnen werden könnten. Über ein Viertel der Nutzer*innen habe aber kein Interesse an Live-Inhalten, weswegen sich diese Inhalte besser separat monetarisieren ließen.
It’s a Me – Gaming!
Nach dem Preisschock kann Lisa auf weiteren Horror für heute verzichten. Sie sucht auf ihrem Smartphone nach etwas Lustigerem. Da findet sie eine live Sport-Veranstaltung. Nicht ihr Geschmack. Dann fällt ihr Blick auf „Squid Game“ – ihre Lieblingsserie – aber als Spiel!
Gaming ist ein Feature, mit dem Streaming-Dienste besonders ihre jüngeren Nutzer*innen binden wollen. Es komme aber darauf an, für welche Spiele sich Kund*innen interessieren und wie gut die Inhalte seien, merkt Sophia Felgner an. Und: für mehr als die Hälfte der jüngeren Nutzer*innen bestehe kein Mehrwehrt in der Integration von Videospielen. Deshalb empfehle es sich, Gaming-Inhalte gratis ins Abo einzuführen oder separat als Add-On zu monetisieren.
Als einziger großer VoD-Anbieter hat Netflix bisher in Gaming investiert. Während seine Mobile-Spiele laut mobilegamer.biz Millionen Downloads erzielten, schloss der Streaming-Riese im Oktober sein AAA-Studio „Team Blue“.
Zurück in die Zukunft
Lisa hat den Fernseher ausgeschaltet. Nachdenklich lässt sie den Streaming-Abend Revue passieren: Werbeabos, Live-Events, Games. Doch jeder Dienst kostet und treibt das monatliche Budget weiter in die Höhe.
Von Werbung bis hin zu Live-Inhalten, Streaming-Dienste werden dem traditionellen TV immer ähnlicher. „Geschichte wiederholt sich, nur in einer neuen Form, mit neuen Spielern“, beschreibt Christian Grece die Entwicklung treffend.
Der VoD-Markt steht vor einem Balanceakt: zwischen Innovation, Profitabilität und dem immer kritischer werdenden Blick der Nutzer*innen. Welche Spieler sich auf Dauer behaupten, wird sich zeigen – doch klar ist, der Wandel am Streaming-Markt ist noch lange nicht vorbei.

