Kreativität finanzieren: Wie Indie-Labels abseits des Mainstreams bestehen

Arctic Monkeys, Frank Ocean, Depeche Mode oder The Offspring: berühmte Namen mit einer weniger bekannten Gemeinsamkeit.  Jede*r dieser Musiker*innen ist bei einem Independent-Label unter Vertrag. SUMO sprach mit Alexander Hirschenhauser, dem Sprecher des Verbands unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und MusikproduzentInnen Österreich und Jonny Nemetz, dem Mitbegründer des Wiener Indie-Labels „Edition Hawara“ über die Finanzierung von Indie-Labels in Österreich. 

von MARISA CARVALHO DE MATOS

Eine kleine, verrauchte Bar irgendwo in Wien: Auf der Bühne spielt eine Band ihr letztes Set, während die Menge vor der Bühne tanzt. Die Musik ist voller Energie, ehrlich und einzigartig – genau das, wofür die österreichische Indie-Szene bekannt ist. Doch hinter den Kulissen, dort wo die Musik entsteht, kämpfen kleine Labels oft ums Überleben.  
Wie schwierig die Situation ist, zeigt eine ernüchternde Statistik: Laut Alexander Hirschenhauser, Pressesprecher des VTMÖ, können nur etwa 25 Indie-Labels in Österreich von den Gewinnen, die sie erzielen, auch leben. Für die restlichen in etwa 200 Labels hierzulande ist die Arbeit mit ihrer Musik ein Liebhaberprojekt, das nebenberuflich betrieben wird.  

Die Rolle als Indie-Label und ein Blick hinter die Kulissen 

Indie-Labels sind ein essenzieller Teil der Musikwirtschaft. Sie bieten eine Plattform für künstlerische Experimente und fördern Talente, welche sich nicht dem Mainstream zugehörig fühlen. Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Indie-Labels ist die Liebe zur Musik. Sie übernehmen nicht nur die Produktion und Vermarktung dessen, sondern oft auch das Management, Booking und den Vertrieb für die Künstler*innen. Diese Doppelfunktion macht sie wertvoll, erhöht jedoch auch den finanziellen Druck. 

Die Finanzierung der Projekte erfolgt über eine Variation von Modellen. Förderungen von Institutionen wie dem Österreichischem Musikfond oder der SKE Fond (soziale und kulturelle Einrichtung der Austro Mechana) sind eine wichtige Stütze für viele Labels. Diese Unterstützungen ermöglichen die Finanzierung von Produktionen, Marketingkampagnen oder sonstigen Projekten. Allerdings stoßen Labels wie „Edition Hawara“ dabei an Grenzen. Jonny Nemetz erklärt, dass sein Label hauptsächlich Reissues, also Wiederveröffentlichungen von Musik aus den 70ern bzw. 80ern, veröffentlicht. Dadurch, dass keine neuen Werke produziert werden, fällt „Edition Hawara“ oft aus dem Raster der Fördereinrichtungen. Diese Einschränkungen zeigen, wie selektiv Förderungen vergeben werden und dass nicht alle Labels den gleichen Nutzen daraus ziehen können. 

Der Hype um Vinyl 

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Finanzierung sei der Verkauf physischer Tonträger. Vinyl bleibe in der Independent-Szene sehr beliebt und spiele für viele Labels eine zentrale Rolle. Für „Edition Hawara“ beispielsweise machen Vinylverkäufe immer mehr einen Teil der Einnahmen aus. Nemetz betont, dass der emotionale Wert von Vinyl und die damit verbundene Exklusivität ein wichtiges Verkaufsargument seien. „Und als Folge, dass DJs großteils zu digital gewechselt sind, ist eine andere Gruppe an Käufer*innen auf Vinyl aufgesprungen. Es waren Musiksammler*innen, die gesagt haben: ,Wir wollen Musik nicht digital hören.‘ Wir sind mit unserer Musikrichtung, mit dem was wir veröffentlichen, Soul, Funk, Jazz aus den 70ern und 80ern aus Österreich, komplett in dieser Zielgruppe drinnen. Damit ist Vinyl das wichtigste Medium.“  

Doch die Produktion sei teuer, und die gestiegenen Rohstoffpreise sowie Engpässe bei den Presswerken stellten Labels vor große Herausforderungen. Auch die Vorfinanzierung von Releases berge finanzielle Risiken, da die Einnahmen oft erst Monate später zurückfließen. 

Neben physischen Tonträgern setzen auch Labels zunehmend auf digitale Einnahmequellen wie Streaming. Erlöse bringt das freilich wenig: Plattformen wie „Spotify“ und „Apple Music“ bieten zwar weltweite Reichweite, doch die Vergütung pro Stream beträgt bei ersterem im Durchschnitt 0,003 Euro (!) und bei letzterem 0,01 Euro (!). Laut Nemetz sind Streaming-Einnahmen für Indie-Labels kaum tragfähig, was viele dazu führt, alternative digitale Vertriebswege wie „Bandcamp“ zu nutzen. Diese Plattform ermöglicht direkte Verkäufe und bietet bessere Margen. 

Live-Auftritte lohnen sich 

Weitere Einnahmequellen sind Lizenzierungen, sowie der Verkauf von Merchandise und Einnahmen aus Live-Auftritten. Letztere haben hingegen nicht nur einen finanziellen Nutzen: „Was bei uns auch nicht so eine Rolle spielt, aber bei ganz vielen (anderen) Indie-Labels, ist einfach, Konzerte live zu spielen. Ich würde mal sagen, für die Mehrheit der österreichischen Bands und auch Labels, die dahinterstehen, ist das eine ganz wichtige Einnahmequelle, wenn nicht sogar die wichtigste“, meint Jonny Nemetz. 

Auch private Investoren oder Bankkredite spielen eine Rolle, doch diese Optionen werden in der Szene eher zurückhaltend genutzt. Alexander Hirschenhauser meint dazu: „Ich gehe zu einer Bank und sage, ich bin ein Musiklabel und möchte einen Kredit. Wenn ich nicht bereits vorweisen kann, dass ich in meinem Portfolio, in meinem Artist-Roster, jemanden wie Bilderbuch habe, wird das nicht klappen. Es kommen in Wirklichkeit Geschäftspartner, wie Business Angels eher in Frage.“ 

Finanzielle Hindernisse und mangelnde Fairness 

Die Kombination aus verschiedenen Finanzierungsmodellen ermöglichen unabhängigen Labels eine gewisse Flexibilität, doch sie beinhalten auch Risiken. Die geringe Planungssicherheit ist ein ständiger Begleiter. Hirschenhauser beschreibt die Lage so, dass viele Indie-Labels als Firma keine Gewinne verzeichnen, jedoch mit einer neutralen Bilanz aussteigen können, da sich die Inhaber*innen meist keinen seriösen Gewinnanteil ausschütten. Seiner Meinung nach bedeutet dies, dass sich diese Menschen selbst ausbeuten, weil „sie es machen müssen oder wollen.“ 

Besonders schwierig ist die Abhängigkeit von externen Faktoren wie Förderungen, Rohstoffpreisen oder Streaming-Vergütungen. Indie-Labels wie „Edition Hawara“, die sich wie bereits erwähnt auf Reissues spezialisieren, haben es zusätzlich schwer, da ihre Tätigkeit in vielen Förderprogrammen derzeit nicht berücksichtigt wird. 

Für die langfristige Zukunftssicherung von Indie-Labels braucht es strukturelle Verbesserungen. Der Österreichische Musikrat plädiert auf fairere Vergütung im Streamingmarkt, die es ermöglicht, dass Labels und Künstler*innen angemessen an den Einnahmen beteiligt werden. Zudem sollen die Mittel des Österreichischen Musikfonds auf 7 Mio. Euro aufgestockt werden. Auch die Förderung der Präsenz von heimischen Musiker*innen in Radio und Fernsehen würde die Wertschöpfung der Musikwirtschaft steigern. 

Auch das Thema Künstliche Intelligenz beschäftigt die Akteure in der Branche: In der Standortstrategie der „Österreichischen Musikwirtschaft“ wird für die Legislaturperiode 2024-2029 gefordert, dass es eines rechtlichen Rahmens für Transparenz- und Offenlegungspflichten, sowie einer grundlegenden „angemessenen Entschädigung für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten“ bedarf. 

Leidenschaft trifft Realität 

Die Finanzierung von Indie-Labels bleibt ein Balanceakt zwischen Idealismus und wirtschaftlichem Überlebenskampf. Doch genau diese Mischung aus Kreativität und Durchhaltevermögen macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der österreichischen Musikszene. Damit sie auch in Zukunft kulturelle Innovationen vorantreiben können, braucht es nicht nur Engagement von den Labels selbst, sondern auch ein Umfeld, das ihre Arbeit wertschätzt und nachhaltig unterstützt. 

Alexander Hirschenhauser | Copyright: Elias Hirschenhauser
Jonny Nemetz |Copyright: Patrick Wollner