Sicher hinter der Paywall? Warum der Journalismus mehr braucht

Der Journalismus steht an einem Wendepunkt. Sinkende Zahlungsbereitschaft, Vertrauenskrisen und neue digitale Geschäftsmodelle verändern die Medienlandschaft. SUMO sprach mit Markus Mair, Vorstandsvorsitzender der Styria Media Group, Karl Oberascher, Head of Audience Development bei der Tageszeitung „Kurier“, um herauszufinden, wie österreichische Medienunternehmen mit neuen Preismodellen und Strategien auf die aktuellen Herausforderungen reagieren. Christopher Buschow, Forscher zum Thema Zahlungsbereitschaft für digitalen Journalismus, lieferte wissenschaftliche Einschätzungen zum Thema. Mareike Birkhahn, Director Paid Content von Zeit Online und Cornelia Doma, Geschäftsleitung Marketing und Content von ProSiebenSat1Puls4, arbeiten beide in Unternehmen, wo die Gratiskultur nahezu keine Probleme macht. Die Frage, warum dies so ist, beantworten sie selbst.

von LEA BABINGER & YASMIN DOBER

Journalismus ist weit mehr als die Verbreitung von Informationen über Massenmedien, er ist eine zentrale Stütze der Gesellschaft. Ein*e Journalist*in recherchiert, selektiert und präsentiert Themen, die neu, faktisch und relevant sind. Dabei wird Öffentlichkeit hergestellt, die Gesellschaft beobachtet und diese Beobachtungen an ein breites Publikum vermittelt, wodurch eine gemeinsame Wirklichkeit entsteht, die gesellschaftliche Diskurse anregt und fundierte Entscheidungen ermöglicht.

Akkordierend dazu betont auch Markus Mair: „Das Wichtigste, das Journalismus per se für die Gesellschaft beitragen kann, ist seine übergeordnete Kontrollfunktion, die es innerhalb einer Demokratie braucht.“

Qualität & Vertrauen = Zahlungsbereitschaft?

Trotz der wichtigen Rolle des Journalismus in einem demokratischen Staat wie Österreich liegt die Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten im Jahr 2024 laut dem Digital News Report bei 14%. Damit liegt Österreich im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt von 17%. Die Ursachen dafür? Christopher Buschow, Forscher an der Hamburg Media School erklärt, dass der wahrgenommene Wert der Inhalte entscheidend sei.  Nutzer*innen sind eher bereit, für Inhalte zu zahlen, wenn sie als qualitativ hochwertig, exklusiv und relevant empfunden werden. Ein Befund, den die Styria Media Group Markus Mair zufolge aufgreift: Es ginge nicht darum, Presseaussendungen zu verbreiten, sondern um sorgfältig recherchierte Inhalte und neue Perspektiven auf bereits bekannte Themen. Auch Karl Oberascher, Head of Audience Development im „Kurier“, betont, dass die Zeiten von BuzzFeed und HuffPost, die mit kurzen, unterhaltsamen, aber auch informativen Gratis-Beiträgen große Reichweite und hohe Werbeeinnahmen erzielten, vorbei seien: „Nur auf Klicks zu setzen, das ist Gott sei Dank weitestgehend vorbei.“ Änderungen des Google Algorithmus, der nun relevanten Journalismus priorisiert, hätten diese Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Deshalb sei auch in seinem Medienhaus die Entscheidung gefallen: „Wir schauen, dass wir exklusive Geschichten haben. Geschichten, die reichhaltig und ausführlich erzählt sind.“

Aber damit hört es nicht auf: Zahlungsbereitschaft ist auch abhängig vom Vertrauen der Leser*innen in die Quelle. Der Digital News Report zeigt, dass in Ländern, in denen das Vertrauen in die Nachrichten höher ist, die Zahlungsbereitschaft in der Regel steigt. In Österreich liegt das Vertrauen in Nachrichten aktuell bei nur 34,9% und ist damit wieder deutlich unter dem internationalen Durchschnitt von 40,2%. Dieser Wert ist nicht nur der bisher niedrigste für Österreich im Zeitraum der Erhebung, sondern laut Studienautor*innen auch ein Indikator für die geringe Zahlungsbereitschaft.

Für Medienunternehmen bedeutet dies also eine komplexe Herausforderung: Sie müssen nicht nur qualitativ hochwertige Inhalte liefern, sondern auch das Nutzervertrauen stärken, um ihre Leserschaft erfolgreich zum Bezahlen zu bewegen – und dies bei steigendem wirtschaftlichem Druck.

Viele Wege und ein Ziel…

Die Einführung von Paywalls wurde zunächst als vielversprechende Lösung angesehen, um den digitalen Journalismus finanziell abzusichern. Mittlerweile existieren zahlreiche Modelle, um unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen: Zu einer der meistgenutzten Paywalls gehört nach wie vor die „harte Bezahlschranke“. Inhalte werden nur gegen Bezahlung oder durch ein Abonnement zur Verfügung gestellt. Nur wenige österreichische Medienhäuser setzen allerdings „nur“ darauf. Vielmehr arbeitet der Großteil mit hybriden Modellen, bei denen die Inhalte teilweise kostenpflichtig und teilweise kostenlos verfügbar sind. So ist etwa beim Freemium-Modell ein Teil des Inhalts für alle Leser*innen zugänglich, exklusive oder auch einzigartig betrachtete Inhalte nur für zahlende Abonnent*innen. Ein weiteres Hybridmodell, genannt Metered Paywall, spricht verschiedene Zielgruppen mit verschiedenen Preisstufen an. Die Rezipient*innen können eine begrenzte Anzahl von Artikeln lesen, um weitere Inhalte zu rezipieren, muss gezahlt werden. Im Gegensatz zum Freemium-Modell erfolgt die Selektion hier nicht anhand der Art und Qualität der Inhalte, sondern basierend auf der Anzahl der gelesenen Artikel.

Buschow zufolge sei in den letzten fünf bis zehn Jahren immer mehr auf Leserzahlungen gesetzt worden und weniger auf das Anzeigengeschäft. Die Hoffnung der Medienhäuser sei groß gewesen. Von einer völligen Enttäuschung könne keine Rede sein, allerdings hätten sich die großen Hoffnungen auf Paid Content als Heilsbringer auch nicht erfüllt. Dennoch rät der Medienforscher damit, weiterzumachen, denn besonders die überregionalen Medienhäuser, können mit Paid Content-Modellen schon einige Erfolge verbuchen. Im Lokaljournalismus sehe es ein wenig anders aus. Hier sei das Anzeigengeschäft weiterhin von großer Bedeutung, beispielsweise bestünden Potenziale im Bereich Familienanzeigen oder Stellenanzeigen lokaler Unternehmen. Damit stellt sich die Frage: Welche innovativen Ansätze und Ideen könnten den Journalismus in der Zukunft nachhaltig finanzieren? Sind schon alle Möglichkeiten ausgelotet?

Lösung Journalismusplattformen?

Dieser Frage geht die Studie „Ein ‚Spotify für Journalismus‘?“ von Christian-Mathias Wellbrock aus dem Jahr 2020 nach. Sie beleuchtet die Möglichkeit einer Plattform, die ähnlich wie Spotify für Musik, journalistische Inhalte bündelt und dabei den deutschen Markt im Fokus hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Nutzer*innen eine anbieterübergreifende Plattform bevorzugen und so eine höhere Zahlungsbereitschaft aufweisen würden. Zudem wird ein erhebliches Marktpotenzial für den Digitaljournalismus erwartet.

Ob es seit der Veröffentlichung der Studie konkrete Entwicklungen in die Richtung gab, beantwortet Buschow, der an der Studie mitarbeitete: „Es ist noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen würden. Wir glauben, dass da am Markt sehr viel möglich ist.“ In Deutschland gäbe es mittlerweile „alles.plus“, wo überregionale Titel zusammen mit Lokalzeitungen in die Vermarktung gehen. In Österreich gibt es schon seit 2011 den „Austria-Kiosk“ von der Austrian Press Agentur, darüber hinaus existieren mit Read-it, Readly, United Kiosk, Yumpunews, Magzter, PressReader und Kindle Unlimited zahlreiche weitere Anbieter mit Inhalten aus internationalen Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen.

Die Zukunft des Journalismus im deutschsprachigen Raum bleibt spannend. Das sieht auch Markus Mair so: „Die STYRIA steht niemals still.“ Größtes Ziel ist es wohl für alle weiterhin.

Interview mit Mareike Birkhahn, Principal Paid Content von Zeit Online


Zeit-Online zeigt entgegen dem allgemeinen Trend im Print-Bereich steigende Leser*innenzahlen. Wir fragten bei Mareike Birkhahn, Principal Paid Content von Zeit Online nach.

SUMO: Wie sehen sie die Generationenfrage in Hinblick auf Bezahlbereitschaft – der Digital News Report weist den Erwachsenen zwischen 25 und 34 Jahren ja eine höhere Zahlbereitschaft aus?

Birkhahn: Jüngere Generationen wachsen in einem digitalen Umfeld auf, in dem Flatrate-Modelle wie Spotify oder Amazon Prime bereits selbstverständlich sind. Diese Vertrautheit mit Abomodellen könnte langfristig auch die Bereitschaft erhöhen, für journalistische Inhalte zu zahlen.

SUMO: Die Preise für ein „Zeit-Abo“, im Durchschnitt ca. 27 Euro, sind nicht unbedingt günstig. Wie schaffen sie es, dass die Kund*innen diesen Betrag zahlen?

Birkhahn: Ein entscheidender Punkt ist, dass der Zugang zum Abo unkompliziert und intuitiv ist. Es darf keine Hürde sein, ein Abo abzuschließen oder Inhalte freizuschalten. Unsere Apps und Plattformen sind so gestaltet, dass sie möglichst einfach funktionieren und Kundensupport bei Problemen direkt verfügbar ist.

SUMO: Rechtfertigt auch der Inhalt den Preis?

Birkhahn: Exklusivität und lange Recherchearbeit hinter den Artikeln stärkt das Vertrauen der Leser*innen. Wir investieren zunehmend in Inhalte, die einen direkten Mehrwert für unsere Leser*innen bieten, wie Artikel über mentale Gesundheit oder praktische Ratgeber. Zusätzlich wird Engagement durch innovative Features wie personalisierte Hör-Playlists oder Artikel-Geschenkfunktionen gefördert.


Interview mit Cornelia Doma, ProSiebenSat1Puls4

Der Forderung, dem Publikum journalistisch geprüften Content gratis bereitzustellen und damit werbefinanziert zu arbeiten, kommen Privatfernseh-Sender schon sehr lange nach. Wir sprachen mit Cornelia Doma von der Mediengruppe ProSiebenSat1Puls4 darüber.

SUMO: Inwieweit ist es moralisch vertretbar, journalistische Arbeit gratis zur Verfügung zu stellen?

Doma: Es ist sogar unsere Verpflichtung, gerade im Bereich von Public Value und der Information, den Österreicher*innen qualitative Information an die Hand zu geben und dafür nichts vom Endkonsumenten zu verlangen, sondern die Kosten über die Werbewirtschaft zu refinanzieren. Die Bedrohung, die durch die Silicon-Valley-Giganten und Social Media kommt, ist enorm groß.

SUMO: Junge Menschen beziehen 44,5% laut Digital News Report aus Social Media. Wie kann man dem entgegenwirken?

Doma: Wir nutzen gezielt Online-Angebote, um den Zugang zu Nachrichten zu erleichtern und so der jungen Zielgruppe entgegenzukommen.

SUMO: Wie sehen sie die Zukunft für Fernsehsender – auch hier wandert der Werbemarkt zunehmend in den Digitalen Bereich?

DOMA: Die Förderung von Qualitätsmedien ist ein wichtiger Punkt, und es ist entscheidend, dass die Politik hier hinsieht und nicht wegschaut. Natürlich ist es eine äußerst herausfordernde Zeit für die Medienbranche, besonders für Gratismedien. Wir müssen Wege finden, Einnahmen zu erzielen, ohne dabei die Qualität zu opfern. Das könnte bedeuten, dass einige Medien in Zukunft möglicherweise nicht mehr kostenlos sind. Oder es entstehen neue Einnahmequellen, die es uns erlauben, weiterhin qualitativ hochwertige Inhalte frei zugänglich zu halten.

Markus Mair| Copyright: Ripix
Karl Oberascher |Copyright: Jeff Mangione
Cornelia Doma | Copyright: ProSiebeSat.1 PULS 4 Chris Glanzl
Christopher Buschow | Copyright: Hamburg Media School
Mareike Birkhahn | Copyright: ZEITOnline