Öffentlichkeit im Wandel: Wie soziale Medien unser Vertrauen herausfordern

Willkommen im digitalen Zeitalter, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer unschärfer werden. In einer Welt, die uns mit Informationen überflutet, stellt sich eine wichtige Frage: Wie können wir uns vor der Verbreitung von Fake News schützen und Informationen richtig einschätzen? Um der Frage nach der Vertrauenswürdigkeit sozialer Medien auf den Grund zu gehen, sprach SUMO mit Tobias Dienlin, Assistenz-Professor für Interaktive Kommunikation an der Universität Wien und mit Jennifer Kapellari, Redakteurin, Content-Erstellerin und Betreuerin des TikTok-Kanals der Kronen Zeitung. Letztere eröffnete einen praxisnahen Blickwinkel auf die Arbeit im Bereich der sozialen Medien.  

In einer zunehmend digitalisierten Welt steht die Öffentlichkeit vor einer Belastungsprobe. Zweifelsohne: Soziale Medien bieten eine Fülle von Informationen und Unterhaltung. Sie nehmen vor allem im Leben junger Menschen einen zentralen Stellenwert ein. Soziale Medien dominieren unser Informationsverhalten. Doch was passiert, wenn Nutzer*innen Inhalte, ohne diese zu hinterfragen, rezipieren und hinnehmen? Und gibt es einen Grund für diese Entwicklung? Zahlreiche Studien belegen, dass Algorithmen bestimmen, was wir sehen und wie lange wir es sehen. Sie wissen genau, wie sie uns am Bildschirm fesseln können. Wir Menschen leben in einer Filterblase, umgeben von Meinungen und Inhalten, die perfekt auf die persönlichen Vorlieben abgestimmt sind. Fake News innerhalb dieser „Bubbles“ verbreiten sich schnell, unkontrolliert und ungebremst. Die Folge? Das Misstrauen in soziale Medien wächst. 

Dennoch weist der Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism eine Zunahme der Nutzung von Social Media aus: Seit über zehn Jahren werden im Rahmen dieser internationalen vergleichenden Untersuchung Daten zum Übergang von der analogen zur digitalen Nachrichtennutzung gesammelt. Der Studie zufolge nehmen soziale Medien als Hauptnachrichtenquelle vor allem in der Altersgruppe der 18-24-Jährigen an Relevanz zu. Konkret: 38,1% der Altersgruppe rezipieren 2023 ihre Nachrichten hauptsächlich über soziale Medien​​. Im globalen Vergleich liegt Österreich mit diesem Wert unter dem globalen Durchschnitt, ein Anstieg lässt sich aber erkennen. Im Vergleich zum Jahr 2013 war die Nutzung von Social Media als Nachrichtenquelle wesentlich geringer als heute. Laut dem Digital News Report von 2013 nutzten in etwa 20% der Internetnutzer*innen soziale Medien als eine ihrer Nachrichtenquellen, aber nur ein kleiner Prozentsatz (etwa 13%) betrachtete sie als ihre Hauptnachrichtenquelle. Während soziale Medien im Jahr 2013 noch eine marginale Rolle spielten, sind sie heute als eine zentrale Nachrichtenquelle für viele junge Menschen nicht mehr wegzudenken. Umso wichtiger ist es, sich mit der Glaubwürdigkeit von Nachrichten in sozialen Medien tiefgreifender auseinanderzusetzen.  

Medienvertrauen und öffentliche Meinungsbildung 

Paradoxerweise steigt zwar die Nutzung, dem Digital News Report zufolge haben insbesondere die 18-24-Jährigen aber ein geringeres Vertrauen in Nachrichten auf sozialen Medien als ältere Menschen. Auch in der Mainzer Langzeitstudie für Medienvertrauen ist die Antwort eindeutig: Im Durchschnitt vertrauen Menschen den traditionellen Medien wie Tageszeitungen und dem öffentlich-rechtlichen wie privaten Fernsehen deutlich mehr als Nachrichtenangeboten in sozialen Netzwerken. 

Laut Tobias Dienlin sei das aber nicht für alle Menschen gleich. Er begründet das unter anderem mit der politischen Ausrichtung der Menschen: Bei extremeren Gruppierungen gehen Menschen im Allgemeinen mit traditionellen Medien, insbesondere mit öffentlich-rechtlichen Medien, viel kritischer um als mit digitalen Medien. Bei der öffentlichen Meinung handle es sich um ein multifaktorielles Gemenge und man neige dazu, soziale Medien eher zu überschätzen. „Je mehr sich der öffentliche Diskurs in digitale Räume verlegt, umso mehr hat das auch Bedeutsamkeit für die Wahrnehmung der politischen Landschaft und dem öffentlichen Austausch“, so Dienlin. Es handle sich um einen Reflex, zu denken, dass soziale Medien einen riesigen Effekt auf die öffentliche Meinungsbildung hätten, denn so sei es im Allgemeinen nicht.  

Es sei grundsätzlich schwierig, das Vertrauen in soziale Medien zu erfassen. Umfragen zum Thema soziale Medien müssen insofern kritisch betrachtet werden, da man zwischen Vertrauen in soziale Medien generell und Vertrauen in einzelne Akteur*innen auf sozialen Medien im Speziellen differenzieren sollte. In Umfragen zur Glaubwürdigkeit von Social Media werden häufig niedrige Werte angegeben, wohingegen das Vertrauen in einzelne Influencer*innen, die man täglich verfolgt, aber recht hoch ist, beschreibt Dienlin. Laut dem Digital News Report vertrauen Menschen den Medienmarken, die sie tatsächlich nutzen, mehr als der Mediengattung generell. Dies zeigt sich besonders deutlich im öffentlichen Vertrauen in Nachrichtenmarken. In diesem Bereich ist das Vertrauen in spezifische Marken höher als das allgemeine Vertrauen in Nachrichtenmedien. Bei sozialen Medien zeigt sich ein ähnliches Muster: Die Österreicher*innen vertrauen den Nachrichtenquellen, die sie regelmäßig nutzen, mehr als sozialen Medien insgesamt. Passend dazu legt Dienlin dar, dass das Publikum einen Trend zum Weg von großen Medienhäusern hin zu einzelnen Akteur*innen aufweist.  

Auch Jennifer Kapellari, Redakteurin der Kronen Zeitung, ortet sinkendes Vertrauen der Öffentlichkeit in Medien, Politik oder Unternehmen. Ihre Erklärung dafür? Die Fallen im Internet nehmen stetig zu. Sie differenziert zwischen zwei Gruppen: Die, die viel Medienkompetenz besitzen und sich sozialen Medien kritisch gegenüberstehen. Demgegenüber stehen diejenigen, die den traditionellen Medien oft den Rücken kehren und nicht einschätzen können, wie schnell sich Fake News verbreiten können. In der ersten genannten Gruppe scheint das Vertrauen in soziale Medien potenziell zu sinken, wohingegen die zweite Gruppe soziale Medien vielmehr als Alternativinformationsbeschaffungsquelle zu den klassischen „Mainstream-Medien“ nutzen.  

Fake News und Falschinformation  

Die Tatsache, dass jeder Mensch Informationen ins Internet posten kann und es keine „Gatekeeper“ also Journalist*innen, die die Inhalte nochmals gegenprüfen gibt, mache soziale Medien unsicher. Ein richtiges Maß an Misstrauen ist daher essenziell und für eine kritische Medienrezeption nicht wegzudenken. Dienlin zufolge werde die Verbreitung von Fake News und Falschnachrichten in sozialen Medien im Allgemeinen überschätzt.  Denn das Phänomen Fake News ist nicht erst mit sozialen Medien entstanden. Vielmehr sind Falschinformationen so alt, wie die klassischen Medien selbst: „Es ist auch wichtig zu bedenken, dass wir auch in klassischen Print- und Videomedien seit Beginn an Falschnachrichten hatten“, so Dienlin. Die digitalen, sozialen Medien bieten in dieser Hinsicht sogar einen Vorteil gegenüber den klassischen Kanälen: Recherchefehler von Journalist*innen oder fehlende Sorgfalt bei der Ausarbeitung von Inhalten können viel schneller korrigiert werden als in der gedruckten Tageszeitung. Ein Punkt, der für die sozialen Medien spricht. Dennoch: Fake News, die bewusst irreführend sind und manipuliert werden, um Aufmerksamkeit und Reichweite zu generieren, seien problematisch.   

Boomer & Gen Z 

Auch Kapellari beschreibt ihre Erfahrungen, wonach junge Menschen gut in der technischen Bedienung von sozialen Medien wären, die Unterscheidung von echt oder falsch aber schwerfalle. Gerade bei Kindern, denen es an Wissen und Erfahrung ermangele, seien soziale Medien deshalb problematisch. Diese Wahrnehmung bestätigt auch Forscher Dienlin: In jüngeren Generationen sei die Beeinflussung auf Social Media, etwa durch Influencer*innen oder einzelnen Akteur*innen sehr hoch. Dennoch merkt er an, dass es bei Kindern und Jugendlichen noch ein wesentliches Korrektiv gebe. Sie stünden im Diskurs mit Lehrer*innen oder Klassenkamerad*innen und könnten demzufolge eine Gegenposition noch leichter erlernen. Eine viel größere Sorge sollte man sich deshalb um die älteren Publika machen. Fake News und Verschwörungstheorien auf sozialen Medien fielen oft älteren Generationen, insbesondere jenen, die nicht mit sozialen Medien aufgewachsen sind, auf fruchtbaren Boden. Der Schaden für die Gesellschaft sei hier groß. Kapellari skizziert diesen Gedanken am Beispiel: „Versuche mal deiner Oma Künstliche Intelligenz zu erklären. Nein Oma, das ist nicht der Papst in einer Balenciaga-Jacke. Das ist nicht echt. Ich glaube schon, dass auch die ältere Generation sehr gefährdet ist, auf sowas reinzufallen.“ 

Förderung der Medienkompetenz 

Damit bleibt am Ende die Frage: Was kann man tun, um Fake News und Falschinformationen nicht aufzusitzen? „Manche Nachrichten wirken zu schön, um wahr zu sein. Da sollte man etwas vorsichtiger sein, ob das denn wirklich so stimmt“, meine Dienlin. Grundsätzlich verursachen Botschaften, die unsere Meinung bestätigen, freilich keinen Stress und werden deshalb positiv wahrgenommen. Aber etwas Vorsicht sei geboten. Stichwort Emotionalisierung:  Emotionalisierende Nachrichten seien für Menschen ganz besonders ansprechend. Insbesondere Nachrichten über extreme Gruppierungen oder sehr negative Darstellungen einer Outgroup lösen im Menschen große Wirkung aus. Diese emotionale Empörung berge die Gefahr, den Blick auf die Dinge zu verzerren und verschlechtern. Deshalb: Besser Abstand gewinnen. 

Kapellari empfiehlt – gerade angesichts der Abkehr von großen Medienhäusern – eine kritische Reflexion, auch bei kleinen Akteur*innen bzw. Influencer*innen. „Jeder kann auf Fake News reinfallen. Auch mir ist es schon passiert“. Deshalb und auch wenn es schwierig ist, sollte man sich die Frage stellen, ob etwas echt sein kann oder nicht. Misstrauen ist also nicht immer schädlich.  

Sandra Nothangl | Copyright: Max Peternell