Was verbirgt sich hinter den scheinbar unschuldigen Animationen von Amazon Prime

Peppa Wutz, Pete Der Kater, The Stinky & Dirty Show… Die Liste der beliebten Kinderfilme und -serien auf Amazon Prime Video ist endlos. Doch während man durch die bunte Auswahl scrollt, fällt etwas auf: Viele dieser Inhalte scheinen bestimmten Stereotypen zu folgen. Aber was bedeutet das für junge Zuschauer*innen? Um das herauszufinden, wurde unter anderem ein Selbstversuch gestartet und mit der Expertin  Sarah Todt, Kindergartenpädagogin und -leiterin eines Kindergartens in Wien, gesprochen. 

Streaminggewohnheiten von Kindern 

Abbildung 1: Nutzungsdauer des Kindes auf Streaming-Dienste (n = 489) 

Laut der oberösterreichischen Kinder-Medien-Studie 2022 nutzen 91 % der Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren Streaming-Dienste. Davon verbringen 25 % zwischen einer halben und einer Stunde täglich auf Plattformen wie Netflix, Amazon Prime und Co. Ebenso viele Kinder nutzen Streaming-Dienste nur für sehr kurze Zeit am Tag. 

„Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung“, sagt Sarah Todt. Die vorher angesprochene Studie bestätigt das, indem sie zeigt, dass das Streaming-Verhalten der Eltern einen direkten Einfluss auf jenes der Kinder hat. Die Daten zeigen, dass Eltern im Durchschnitt täglich 35 Minuten lang streamen, während ihre Kinder durchschnittlich 43 Minuten pro Tag streamen. 

Die Untersuchung ergab außerdem, dass Amazon Prime die zweitbeliebteste Plattform unter den Kindern ist, knapp hinter YouTube. 32 % der Befragten gaben an, dass Amazon Prime ihre Lieblingsplattform ist, während 47 % YouTube bevorzugen. Überraschenderweise liegt Netflix im Ranking auf Platz sechs.  

Geschlechtssensitive Erziehung in der modernen Kindheit 

Die Kinder von heute wachsen in einer sich schnell verändernden Welt auf, die sich zunehmend für die Beachtung von Gleichstellungsprinzipien einsetzt. Diese Schritte hin zu mehr Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung finden auch ihren Niederschlag im Leben von Kindern und in ihrer Erziehung. Die moderne Erziehung wird zunehmend geschlechtssensibel. Das bedeutet, dass versucht wird, Erziehung und Bildung frei von traditionellen Geschlechterrollen zu gestalten. Laut dem Werk „The Posthuman Child“ (2019) von Karin Murris sollen Eltern, Pädagog*innen und Lehrer*innen proaktiv die Botschaft vermitteln, dass Fähigkeiten und Interessen nicht durch das Geschlecht eines Kindes diktiert werden. Seit 2009 gibt es vom Bundesministerium einen Leitfaden für Lehrer*innen und Fortbildner*innen im Bereich Kindergartenpädagogik zur geschlechtssensiblen Pädagogik. Auch für Eltern gibt es einige Werke, die hilfreiche Tipps zu diesem Thema bieten. 

In Kindergärten, wie dem von Erzieherin Sarah, wird den Kindern Mut gemacht, ihre Identität jenseits traditioneller Geschlechterklischees zu erforschen und auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck zu bringen. Als ein handfestes Beispiel wird Kindern während des Spiels erläutert, dass nicht nur Mädchen die Rolle einer Mutter übernehmen können und es für Mädchen genauso in Ordnung ist, ein blaues T-Shirt zu tragen. 

Trotz dieser Bemühungen gibt es jedoch immer noch Herausforderungen. Kinder sind einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt, darunter Medieninhalte, die oft noch traditionelle Geschlechterrollen oder auch andere Stereotypen vermitteln. 

Die Präsenz von Stereotypen auf Amazon Prime 

In Papa Wutz geht es um das Leben des Schweinemädchens Peppa, ihrer Familie und Freunden. Auffällig ist, dass Papa Wutz oft als stereotypischer, „unfähiger“ Vater gezeigt wird, der im Haushalt wenig auf die Reihe bekommt. Diese Darstellung verstärkt traditionelle Rollenbilder. Darüber hinaus beinhaltet die Serie des Öfteren gewichtsbezogene Stigmatisierungen. 

Die Animation Pete Der Kater ist eine Amazon Original Serie, die auf einer beliebten Kinderbuchreihe basiert. Die Serie folgt den Abenteuern des Protagonisten Pete, einer blauen Katze, die gerne singt und Gitarre spielt. Dabei stehen Handlungsstränge und Charaktere, die auf dem Lässigkeitsstereotyp basieren, und das Konzept des „coolen, gelassenen Musikers“ oft im Mittelpunkt. Des Weiteren repräsentieren auch andere Charaktere in der Serie verschiedene Stereotypen. Es gibt Charaktere wie die ideale Freundin, den lustigen Nebencharakter und den weisen, älteren Mentor. 

The Stinky & Dirty Show, eine Amazon Prime Original Serie, basiert auf den beliebten Kinderbüchern I Stink! und I’m Dirty! von Kate und Jim McMullan. Die Serie dokumentiert die Abenteuer von Stinky, einem energischen und abenteuerlustigen Müllwagen und Dirty, einem mutigen, aber oft unsicheren Bagger.  Sie symbolisieren somit typischerweise „männlich“ konnotierte Fahrzeuge. Die geschlechtsbezogenen Stereotypen in dieser Serie sind aber unübersehbar, angefangen mit den männlichen Protagonisten bis hin zur Art der Aufgaben, die sie verrichten. So treten Stinky und Dirty in Rollen auf, die traditionell mit „schmutzigen“ und körperlich anstrengenden Tätigkeiten assoziiert sind, die oft als weniger prestigeträchtig angesehen und in der Gesellschaft mehrheitlich von Männern ausgeübt werden. Hinzu kommt das auffällige Fehlen von weiblichen Hauptcharakteren. 

Der Einfluss von Stereotypen auf Kinder 

Die Untersuchung von Stereotypen im medialen Kontext ist wichtig, da sie ein Spiegelbild der Gesellschaft sind und zur Formung der Wahrnehmung von Kindern beitragen. Medien können das Selbstbild und die Rollenerwartungen von Kindern beeinflussen, so Ilka Wolter in seinem Werk „Wie entstehen Geschlechtsstereotype und wie wirken sie sich aus?“ (2020). Eine übermäßige Konfrontation mit Stereotypen in Filmen und Serien kann zu verzerrten Wahrnehmungen und Verhaltensweisen bei Kindern führen. Nun zu einigen konkreteren Beispielen: 

In Bezug auf Geschlechtsrollen können stereotypische Darstellungen ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf Kinder haben. Die Studie „Television and adolescents‘ perceptions about work“ (1993) von Signorielli hat gezeigt, dass Kinder, die stereotypische Geschlechtsrollen in TV-Shows sehen, eher traditionelle Geschlechtsrollen befürworten, als Kinder, die stereotypische Geschlechtsrollen in TV-Shows sehen, aber eher traditionelle Geschlechtsrollen befürworten. Auch eine Serie wie Pete Der Kater könnte zum Beispiel durch dessen Darstellungen vermittelt werden, dass Lässigkeit oder Musikalität die Schlüssel zum Erfolg und zur Akzeptanz sind. Obwohl das zu kreativem Ausdruck und Selbstvertrauen führen kann, könnte es Kinder auch unter Druck setzen, bestimmten Bildern oder Idealen zu entsprechen. 

Darüber hinaus können solche Stereotypen auch die Vorstellungen von Kindern über soziale Klassen, Ethnien und Berufe beeinflussen. Wenn Charaktere einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe ständig in einer bestimmten Rolle oder mit bestimmten Verhaltensweisen dargestellt werden, können Kinder diese Stereotype internalisieren und annehmen, dass sie der Realität entsprechen. In extremen Fällen kann das sogar zu Vorurteilen und Diskriminierung führen, insbesondere wenn Stereotypen negative oder abwertende Eigenschaften einer bestimmten Gruppe hervorheben. 

Der Selbstversuch: Wahrnehmung von Stereotypen 

Um die Wahrnehmung von Stereotypen bei Kindern genauer zu untersuchen, wurde ein Selbstversuch durchgeführt. Zwei Geschwister, Oliver (7) und Leonie (4), wurden ausgewählt. Beim Betrachten der Peppa Wutz-Folge (Staffel 0, Folge Acht) wurden sie beobachtet und anschließend über ihre Eindrücke diskutiert. Das Ziel war es, herauszufinden, wie die Kinder auf bestimmte Stereotypen reagieren und diese wahrnehmen. 

In der entsprechenden Folge plant Peppa mit ihrer Familie ein Picknick. Bereits im Intro fanden die Geschwister es lustig, als Papa Wutz lauter grunzte als die anderen. Am Picknickplatz schlägt Papa Wutz vor, Sport zu treiben. Mama Wutz möchte aber zuerst essen und dann schlafen, ohne Sport zu machen. Daraufhin sagt Peppa: „Vielleicht sollte Papa etwas Sport treiben, wegen seines Dickbauchs.“ Oliver lacht, worauf seine kleine Schwester Leonie auch anfängt zu lachen. 

Während der Diskussion gaben beide Kinder an, dass ihnen die Folge gefallen hat. Als sie gefragt wurden, ob das, was sie in der Serie gesehen haben, der Realität entspricht, antwortete der Siebenjährige mit „Ja“, während die Fünfjährige unsicher war und nichts sagte. Auf die Frage, ob sie etwas gestört oder verwirrt hat, antworteten die Geschwister mit „Nein“. Jedoch antwortete der Ältere auf die Frage, ob es in Ordnung war, als Peppa ihren Vater „Dickbauch“ genannt hat, mit „Nein“, denn das ist kein schönes Wort. Plötzlich begann die Jüngste, dieses Wort immer wieder zu wiederholen und lachte. Oliver schloss sich an und beide Kinder fanden es äußerst lustig. Sie lachten unaufhörlich, während das Wort „Dickbauch“ ständig gesagt und wiederholt wurde, was die vorherige Unbeschwertheit der Unterhaltung in ein unerwartetes Chaos verwandelte. 

Der Selbstversuch zeigt: Kinder nehmen Stereotypen in Medien früh wahr und reagieren darauf. Sie zeigen sich nicht nur leicht beeinflussbar, sondern neigen auch dazu, Verhaltensweisen anderer Kinder zu imitieren, was in diesem Kontext gefährlich sein könnte. Eine US-Studie belegt, dass ältere Kinder Stereotypen besser erkennen können. Das bestätigte sich im Selbstversuch deutlich. 

Handlungsempfehlungen 

In der Medienflut der heutigen Zeit ist es entscheidend, einen bewussten und reflektierten Umgang mit den Inhalten anzustreben, mit denen Kinder konfrontiert werden. Laut Sarah Todt sollte nicht nur die Dauer der Medienzeit begrenzt, sondern auch darauf geachtet werden, dass ausgewählte Inhalte kindgerecht sind. Darüber hinaus sollten diese Inhalte gemeinsam betrachtet und reflektiert werden, da Kinder dazu tendieren, das Gesehene im Spiel und in ihrem Verhalten nachzuahmen. 

Ein Spielfeld für Offenheit und Dialog ist dabei unabdingbar. Es gilt, den Kindern zuzuhören und ihre Interessen und Bedürfnisse ernst zu nehmen und im pädagogischen Alltag zu berücksichtigen. Trotz der anspruchsvollen Sensibilität, die ein solcher Ansatz erfordert, zeigt Todt auf, dass genau hierin die Chance liegt, Kinder für das Thema zu sensibilisieren und so ihre Entwicklung positiv zu beeinflussen. 

Zugleich weist die Expertin darauf hin, dass es kein universelles Rezept für den richtigen Umgang mit diesem Thema gibt. Eltern und Pädagog*innen sind aufgefordert, individuell auf die Bedürfnisse und Interessen der Kinder einzugehen und dabei stets den Wert und die Wertschätzung der Vielfalt in unserer Gesellschaft im Blick zu behalten. 

Cynthia-Melania Moldovan | Copyright: Max Peternell