#we_do! – Do we? – Die Debatten und Auswirkungen der Öffentlichkeit auf Machtmissbrauch, Diskriminierung und Belästigung innerhalb der Medienbranche

Machtmissbrauch, Diskriminierung und Belästigung – diese Themen sind in der österreichischen Medienbranche vorzufinden. Im Interview mit Daniel Sanin, Berater bei der Anlauf- und Beratungsstelle #we_do! und der Kommunikationswissenschaftlerin Ulrike Weish konnte SUMO strukturelle Missstände in den Medien herausarbeiten. Es stellt sich die Frage, was die Öffentlichkeit machen kann, um Druck auf die Medien auszuüben. 

Die Anfänge gingen, wie Daniel Sanin erinnert, auf die Berichterstattung über die Übergriffe des Filmproduzenten Harvey Weinstein in der New York Times anno 2017 und die daraus resultierende „Me Too“-Bewegung zurück. Dass ähnliche Missstände auch in Österreich vorzufinden sind, hat sich erst 2019 gezeigt. Analog zum Skandal in den USA war ein Instagram-Posting der österreichischen Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein am Premierentag des Filmes „Corsage“ der Auslöser: „Ein Täter wird heute Abend auf der Bühne stehen und bejubelt werden“, so der Hinweis. Die junge Schauspielerin Luna Jordan wurde dadurch ermutigt vor dem Publikum der österreichischen Filmpreisverleihung die strukturellen Branchenübergriffe zu thematisieren. Der Rest ist bekannt.  

Skandale spielen bei der öffentlichen Wahrnehmung von Machtmissbrauch eine wichtige Rolle. Das betont auch Sanin: Prominente Vertreter*innen erhöhen durch das Publikmachen die Resonanz der Thematik in der Öffentlichkeit. Das ist zwar wünschenswert, jedoch muss darauf geachtet werden, dass niemand dazu gedrängt wird: „Niemand hat jemanden vorzuschreiben, worüber man sprechen soll. Da muss man aufpassen“, betont Sanin. Umgekehrt: „Das Schweigen begünstigt die Angst vor negativen Konsequenzen.“ 

Missstände in der Welt des Films 

Denn letztendlich resultieren diese Übergriffe aus einem Machtverhältnis, dem das Gefühl der Ohnmacht gegenübersteht. Damit stellt sich die Frage, welche Macht die Öffentlichkeit auf die Filmbranche hat. Sanin dazu: „Prinzipiell ist es immer so, dass im Kapitalismus die Macht der Nutzer*innen immer nur der Konsumverzicht ist.“ So unterstützt man beim Kauf eines Produktes, von dem unmoralisches Verhalten bekannt ist, das System. Auch durch Online-Kampagnen in den Sozialen Medien kann Druck auf die Medienbranche ausgeübt werden. Hier muss aber beachtet werden, dass es nicht zu einem personalisierten Vorführen kommt, das in einem „Schwarz-Weiß-Diskurs“ mündet. Die Debatten sensibilisierten Personen, die bislang keine negativen Erfahrungen machen mussten. Andererseits kann der Diskurs dazu beitragen, dass Opfer „wachgerüttelt“ werden und sich „den eigenen Wunden zuwenden, die man schon lange zugepflastert hat“, gibt Sanin zu bedenken – „es kann natürlich auch retraumatisieren“

Spannend wird es, wenn ein indirekter Einfluss der Öffentlichkeit auf die Branche beobachtet werden kann. „Wir haben mehr Persons of Color, mehr queere Personen, Transpersonen usw. repräsentiert. Man bekommt mehr von der Vielfalt, die in der Gesellschaft ist, mit.“ Daher greift auch die österreichische Filmlandschaft diese Themen, wenn auch noch vermindert, in den erzählten Geschichten auf. Dennoch: „Man hat auf der einen Seite einen progressiven Diskurs und eine sensibilisierte Öffentlichkeit, beim gleichzeitigen Vorkommen von sehr konservativen, reaktionären Denkmustern und damit sehr erschreckenden Vorfällen, die dann passieren“, so Sanin. 

Soundwolken aus den Medienräumen 

Eine brancheninterne, anonyme Umfrage hat gezeigt, dass mehr als zwei Drittel, der in Österreichs Medien Beschäftigten, bereits von Machtmissbrauch betroffen waren1. Ulrike Weish, Universitätslektorin am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien sowie ORANGE 94.0 Radio-Geschäftsführerin ortet darin ein soziologisches Paradoxon. In einer Branche wie Journalismus, die für Investigation und Recherche steht, liest man nur selten über die eigenen Missstände. Wenn, dann geschieht das meist über die Sozialen Medien. „Diese sind ein idealer Ort für das Entstehen einer Austauschkultur. Menschen, die räumlich voneinander getrennt sind, könnten gemeinsam reflektieren und sich Mut zusprechen. Die Teilöffentlichkeiten entwickeln so gruppendynamische Phänomene. Die werden dann von anderen Medien aufgenommen“, erklärt Weish. Das Resultat bezeichnet sie als „Soundwolken“. Wahrnehmbar ist auch, dass Belästigung von Opfern erst dann angesprochen werden, wenn sie die Branche verlassen haben. „Die, die bleiben, haben sich arrangiert. Die müssen sich mit Berufs- und redaktionellen Linien abfinden“, gibt Weish zu bedenken. Oft möchte man auch dem eigenen Medium nicht schaden und schweigt. „Es braucht Überwindung, damit die Außenseiterposition so weit gestärkt wird, dass ein Übergriff als Übergriff und nicht als Ausnahme, als Hirngespinst oder als Übertreibung anerkannt wird“, verdeutlicht Weish.  

Die Ursachen dafür liegen auch an einem österreichischen Spezifikum: Es ist die Winzigkeit des Medienmarktes, der patriarchalen Organisation als auch der heterosexuellen Normativität darin. Ein Blick in den österreichischen Journalismus-Report von 2020 ist ausreichend, um diese Wahrnehmung zu bestätigen. Zwar herrschte 2018/19 ein Gleichgewicht zwischen der geschlechtlichen Verteilung der Journalist*innen (weiblich 47%; divers k. A.; männlich 53%) und des Durchschnittsalters (weiblich 42,8 Jahre; divers k. A.; männlich 46 Jahre). Eine Leitungsposition hatten aber fast doppelt so viele Männer (14%) wie Frauen (8%) inne. 

Für Weish ist es in den letzten Jahren zu einem Backlash gekommen. Sexualität wird mit sehr strengen Codes, bisweilen gar als Tabu etikettiert. „Ich habe das Gefühl, wir haben in Österreich nicht wirklich den Umgang mit Freiheit gefunden und haben jetzt wieder ein konservatives, stark religiöses Frame. Das lagert sich in die Moralvorstellungen wieder ein.“ Ähnliche Entwicklungen sind eben auch in der Medienbranche zu erkennen. 

Die öffentlich geführten Debatten 

Ulrike Weish weist auch auf den Aspekt von Zuschreibungen zu Berufen wie Schauspieler*innen und Models hin. Übergriffe und schlecht definierte Grenzen sind – so die landläufige Meinung – zu erwarten. Interessant ist aber, dass im Detail Unterschiede gemacht werden. Vergehen an unbekannten Darsteller*innen werden gerne als Bagatelle abgetan. Geraten jedoch Vorwürfe aus etablierten Kreisen an die Öffentlichkeit, ist mit Empörung zu rechnen. Berichterstattung über Belästigung ist auch an Nachrichtenwerte gekoppelt. Mögliche Faktoren der Informationsverbreitung sind dabei Zeit, Nähe, Exklusivität aber auch Identifikationsmöglichkeiten der Leser*innenschaft. Weish dazu: „Wenn die Opfer aus einer Kultur sind, die uns wenig vertraut ist, wenn die Opfer anonym sind, dann geht die Story nicht. Wenn es keine Bilder gibt, geht die Story eigentlich auch nicht. Das hängt alles sehr stark von diesen Faktoren ab. Aber wenn man Harvey Weinstein mit einem Rollator abbilden kann, dann wird er gebracht.“ Für die von Machtmissbrauch Betroffenen bedeutet das: Sprechen, Kollaborationen suchen, aber auch offene Konfrontationen nicht scheuen, denn so Weish: „Die Täter*innen haben ja ganz oft nicht eine Identität eines Tabubruchs, sondern die Identität einer Normalität. Das finde ich so schwierig. Wir haben eine Erziehungskultur, in der Männer eine Raubtier-Sexualität positiv konnotierten – eine Kultur der Abschussspiele, eine Populärkultur, die gewaltaffin ist. Und dann wundern wir uns über die Folgen.“ 

Zeit der Veränderung und des Handelns 

Damit stellt sich die Frage, was es braucht, um mit der Macht der Öffentlichkeit Veränderungen zu realisieren. Weish ist davon überzeugt, dass das Problem schon in der Erziehung begründet liegt: Sich einer Norm anzupassen, wird vielen von uns schon in der Kindheit vermittelt. Dabei handelt es sich allerdings um einen falschen Zugang: „Wenn ich etwas sehe, das nicht okay ist, dann reicht es zu sagen: ´Ich sehe hier den Umgang mit der Person XY oder ich sehe, wie Sie mit mir sprechen. So bitte nicht.‘ Man muss sich ja nicht martialisch mit dem Chef prügeln“. Kurz gesagt: Empowerment statt Tragik. 

Dass man im Kollektiv einiges erreichen und Stärke zeigen kann, davon ist Weish überzeugt. Vielmehr liefert auch die Mediengeschichte Beispiele für ein gelungenes Empowerment: In den 70er Jahren hat das Magazin Extrablatt in der Weihnachtszeit ein Cover mit einer nackten, jungen Frau mit Lametta um den Intimbereich abgebildet. Daraufhin stattete eine Gruppe von Frauen dem verantwortlichen Chefredakteur einen Besuch ab. Sie entblößten ihn, umwickelten seinen Körper ebenfalls mit Lametta und spielten die Bilder dem SPIEGEL zu. Schlagzeilen und Empörung folgten. Der besagte Chefredakteur hat in seiner weiteren Berufslaufbahn kein derartiges Cover mehr veröffentlicht. Weiters ist eine Solidarisierung innerhalb der Medienbranche durch Interessensbekundung notwendig. Man soll die eigenen Rechte kennen und Graubereiche ansprechen. Bevor es zu einem Verbrechen und somit zu einer Straftat kommt, ist ein fließender Übergang von unangenehmen oder gewaltvollen Spannungen zu spüren.  

Abschließend äußert die Medienexpertin den Wunsch, dass innerhalb der Medien aber auch der Öffentlichkeit sensibilisierend über Gewalt, Menschenrechte, Geschlechter, Alter, Ethnien, sexuelle Vorlieben, Wertevorstellungen und Religionen reflektiert werden soll. Wir haben ein Recht auf gewaltfreie Arbeitsverhältnisse und eine offene Debattenkultur: „Beschweren erleichtert und ich glaube, dass das wichtig ist – Sprechen, aber eben auch nachfragen!“  

Bernd Benedikt Richter | Copyright: Max Peternell

Über #we_do! 

Im Jahr 2019 wurde auf Initiative des Dachverbands der österreichischen Filmschaffenden #we_do! die Anlauf- und Beratungsstelle für österreichische Film- und Fernsehschaffende ins Leben gerufen. Betroffene finden hier Hilfe und Informationen über Arbeitsrechtsverletzungen, Gewalt, sexuelle Belästigung sowie Diskriminierungen. Weiters unterstützt #we_do! Produktionsfirmen bei Präventionsmaßnahmen und Schlichtungen, bietet auch Workshops und Vorträge an. Von 2019 bis 2023 hat sich die Zahl der Kontaktaufnahmen von 24 auf 79 Kontaktaufnahmen verdreifacht.