„Hitler war Deutscher, Beethoven war Österreicher“

Braunau am Inn steht im Mittelpunkt lebhafter Diskussionen über historische Verantwortung. Die geplante Umgestaltung und Nutzung des Geburtshauses von Adolf Hitler ist Thema von Kontroversen, welche Filmregisseur Günter Schwaiger mit seinem Projekt Wer hat Angst vor Braunau begleitete. Das SUMO-Magazin interviewte neben Schwaiger den Historiker und Obmann des Vereins für Zeitgeschichte Florian Kotanko sowie Zeitzeuge Franz Maislinger zu diesem Thema. 

Ich wollte eigentlich einen Film über ein “neues” Österreich machen, das sich mit seiner Täter*innen– und Mitläufer*innen Vergangenheit auseinandersetzt.“, erklärt Günter Schwaiger die Idee, den ersten österreichischen Film über Adolf Hitlers Geburtshaus zu drehen. Das Projekt fand seinen Anfang, als Schwaiger erfahren hatte, dass die Sozialeinrichtung Lebenshilfe das Haus übernehmen sollte, „was eine symbolische Umpolung des belasteten Gebäudes mit sich gebracht hätte. Das wollten wir filmisch begleiten. Wir waren schon voll in den Dreharbeiten, als plötzlich im Innenministerium entschieden wurde, nicht eine Sozialeinrichtung bekommt das Haus, sondern die Polizei. Da begann dann ein anderer Film.“ 

„Wer hat Angst vor Braunau“ 

Am liebsten wäre es uns ja, wenn Braunau gar nicht zu Österreich gehören, sondern ein paar Meter weiter nördlich vom Inn, also in Deutschland liegen würde. Hitler war ein Deutscher, Beethoven war Österreicher startet der Film auf eine Frage, wer denn einer der beiden berühmtesten Österreicher ist. Als erstes stellt sich die Frage wie die öffentlichen Reaktionen zum Film waren? 

Schwaiger: „Schon vor der Weltpremiere beim Int. Film Festival in Freistadt war die Pressereaktion unglaublich stark. Am Sonntag vorher brachte die Kronenzeitung eine Titelgeschichte – 1,6 Million Auflagen. Am nächsten Tag machten wir eine Pressekonferenz mit 23 internationalen Medien. Die Reaktion war weltweit – Von FAZ, über das israelische Fernsehen bis zur New York Times. Hitlers Geburtsort und der eigenartige Umgang, den Österreich – speziell die politisch Verantwortlichen – damit immer noch pflegen, sorgte für großes internationales Aufsehen und dabei auch für viel Unverständnis.“ 

Sehr interessant, erläutert Schwaiger weiter, war für ihn, dass die österreichischen Politiker*innen sich weigerten, dazu Stellung zu nehmen. Keine einzige Partei hätte sich zum Film geäußert. Und das, obwohl Medien aus der ganzen Welt bei ihnen angefragt hätten. Das sehe er als bedenklich. 

Über das internationale Interesse an der Stadt Braunau berichtet auch Historiker Florian Kotanko. Mit den Herausforderungen und Perspektiven von Gedenk- und Erinnerungsarbeit beschäftigt er sich sein Leben lang. Für sein Engagement wurde der pensionierte Schuldirektor mit dem Goldenen Verdienstzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet.  

Kotanko, Obmann der Zeitgeschichte-Tage, betont die Bedeutung des Films für die lokale und internationale Wahrnehmung Braunaus. Der Film ermutigt die Zuschauer*innen, sich mit den schwierigen Aspekten der Vergangenheit auseinanderzusetzen und zeigt, wie eine Gemeinschaft daran arbeiten kann, ein neues, positives Image zu schaffen. 

Kotanko berichtet, dass die Aufarbeitung lange gedauert habe. Bis hinein in die 80er Jahre sei kaum öffentlich über das Gebäude gesprochen worden. „Erst als immer mehr Tourist*innen“ Interesse am Geburtshaus Hitlers hatten, reagierte die Stadt Braunau und zu Hitlers 100sten Geburtstag wurde schließlich 1989 der Gedenkstein aus dem KZ Mauthausen vor dem Gebäude aufgestellt. Das waren dann auch die Anfänge seiner Obmannschaft der Braunauer Zeitgeschichte-Tage

Franz Maislinger wurde 1937 in Braunau geboren. Auch er betont, dass sich die Gedenkarbeit in Braunau im Laufe der Jahre verändert habe. In seiner Jugendzeit erinnere er kaum, dass es Interesse an Braunau als Geburtsstadt Hitlers gegeben hätte. Man sprach kaum über die Vergangenheit der Stadt, später wurde es regelrecht zu einem Tabuthema. Laut Maislinger sei das Interesse seit Anfang der 80er Jahre, als die rechtspopulistische FPÖ erstmals als Koalitionspartner ins Amt kam, gestiegen. Ob es einen Zusammenhang gäbe oder ob die Zeit einfach reif dafür gewesen sei, könne man nicht sagen. 

Ist Braunau der Geburtsort des Bösen? 

Kotanko betont: „Das Haus der Geburt ist der Geburtsort eines Babys, und das, was Hitler zu dem machte, was wir mit ihm verbinden, hat sich im Laufe seines Lebens entwickelt.“ 

Das besagte Gebäude war vor Adolf Hitlers Geburt ein Gasthaus. Die Familie war hier nur für eine kurze Zeit in Miete wohnhaft.  

Hitler selbst habe sich nicht für seine Geburtsstadt interessiert: Im Zuge des „Anschlusses“ 1938 fuhr er einmal kurz durch. Viel wichtiger war ihm Linz, die Stadt, in der er den Großteil seiner Kindheit verbracht hat.  

Ist Braunau eine „braune Stadt“? 

Oberösterreich war laut Kotanko nie ein Hort des Nationalsozialismus und Braunau war keineswegs die „braune Stadt.“  

Bei demokratischen Wahlen in der ersten Republik betrug der Stimmenanteil für die NSDAP in Braunau 7%. In Wien wurden 40%  erreicht.  

Auch Schwaiger betont, Medien sollten weg von den Klischees der braunen Stadt” und endlich damit beginnen, hinter die Kulissen zu sehen. Braunau ist Synonym für die österreichische Verdrängungskultur. Aber nicht, weil in Braunau verdrängt wird, denn das geht gar nicht, da die Stadt ununterbrochen mit dem Fakt von Hitlers Geburt konfrontiert ist, sondern weil in Österreich die eigene Schuld sozusagen nach Braunau verdrängt wird. Man erblickt dort die Schuldigen, weil Hitler dort geboren worden ist und spricht sich damit selbst von Verantwortung frei.“ Laut Historiker Kotanko ist das eine Zuschreibung die bequem und einfach ist, aber in keiner Weise der Realität entspricht.“ Die Stigmatisierung als „braune Stadt“ und der institutionelle Umgang mit dem Geburtshaus sei letztlich eine Metapher für die Nicht-Verarbeitung unserer Geschichte. 

Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Braunau: Eine Analyse 

Braunaus offizieller Internetauftritt spiegelt die im Film dargestellten Bemühungen wider dem Bild einer „braunen Stadt“ entgegenzutreten.  

Gedenkstätten, Denkmäler und Initiativen, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, fördern eine Auseinandersetzung mit der dunklen Vergangenheit. Vor das Geburtshaus von Adolf Hitler wurde, auf Veranlassung des Bürgermeisters Gerhard Skiba im Jahr 1989 ein Mahnstein aus dem ehemaligen KZ Mauthausen gesetzt. Jedes Jahr Anfang Mai findet vor dem Mahnstein eine Gedenkfeier für die Opfer von Krieg und Nationalsozialismus statt. Seit 1992 werden die Braunauer Zeitgeschichte-Tage abgehalten. Die Erinnerung an die Opfer wird durch Straßenbenennungen und Stolpersteine lebendig gehalten.  

Allem Anschein nach, tut Braunau also sehr viel für die Vergangenheitsbewältigung. Nun soll in das Geburtshaus Hitlers eine Polizeistation kommen und die Fassade unkenntlich gemacht werden. Warum kommt das bei der Bevölkerung gar nicht gut an? Könnte nicht die Polizeistation verhindern, dass es zu Wiederbetätigung kommt?  

Maislinger beschreibt, dass in Braunau einerseits Befürworter*innen stünden, die für eine Demontage des Gebäudes plädieren, um einen Pilgerort für Neonazis zu verhindern. Andererseits gäbe es eine Mehrheit von Unterstützer*innen des Erhalts des Gebäudes als Mahnmal für die Gräueltaten des Nationalsozialismus.  

Auch Kotanko sieht den Umbau des Hitlerhauses kritisch. Das Gebäude gehört seit der Enteignung der langjährigen Besitzerin 2016/17 der Republik Österreich. Es soll nach dem Umbau eher dem Gebäude vor Hitlers Geburt entsprechen. Die Vergangenheit werde also „gelöscht“. Zudem: Ein Zeitungsartikel aus 1939 zeigt, dass sich Adolf Hitler eine Nutzung als Amtsgebäude für sein Geburtshaus gewünscht hat. Somit würde mit der Polizeistation nun sein Wille erfüllt werden. 

Schwaiger dazu: „Das ist in Österreich nach dem 2. Weltkrieg mit der Nicht-Aufarbeitung der Implikation einer Nation in das Nazi-Regime passiert, und das passiert heute wieder. Die Symbolkraft des Hauses und der Wunsch der Braunauer*innen könnten diesen Ort zu einem international angesehenen Zentrum der Aufarbeitung machen, oder als Sozialeinrichtung zu einem Beispiel symbolischer Umpolung. Eine Polizeistation und eine neue Fassade erinnern viel zu sehr an das Österreich der Dauerverdrängung der eigenen Verantwortung.“ 

Warum jetzt und nicht schon früher? 

In der Vergangenheit habe es schon Versuche gegeben, einen Film über die Vergangenheitsbewältigung Braunaus zu machen, die aber an der fehlenden Unterstützung gescheitert sind, berichtet Schwaiger. Auch die Finanzierung seines Projektes sei schwierig gewesen. Er habe mit Julia Mitterlehner eine tolle junge Produzentin an seiner Seite gehabt. Schwierigkeiten bereitete aber auch, die dass es während der Dreharbeiten zu Veränderungen in der Nachnutzung des Hauses kam. Aus zwei Jahren wurden so fünf. Schwaiger betont: „Mit den Brauner*innen gab es keine Probleme. Ganz im Gegenteil. Wir haben uns sehr respektiert und unterstützt gefühlt. Ich denke, dass man in der Stadt gespürt hat, dass wir uns wirklich für sie interessierten und in die Tiefe gehen wollten.“ 

Der Film Wer hat Angst vor Braunau wirft auch eine unangenehme Frage auf: 

Wie steht es um die eigene Familiengeschichte?  

Schwaiger betont, er verstehe den Film nicht als Anklage oder Abrechnung mit der Täteraufarbeitung der Österreicher*innen, sondern vielmehr als Chance und Einladung zur Reflexion. Wovor haben wir Angst, wenn wir zurücksehen? Wenn man der Aufarbeitung der Konflikte aus der Vergangenheit aus dem Weg geht, dann heißt das nicht, dass sie verschwinden. Man schiebt sie einfach in die nächsten Generationen. Wir müssen beginnen, in den Spiegel einer Nation zu blicken, die zum Großteil aus Nachkommen von Nazis, oder direkt in die Nazi-Verbrechen implizierten, von Mitläufer*innen oder Menschen, die weggeschaut haben, besteht. Das ist unser Ursprung. Wir sind in der großen Mehrheit keine Nachkommen der Opfer. Wir müssen endlich lernen, das zu akzeptieren. 

Kotanko beschreibt den Faktor Zeit als weitere Schwierigkeit: Die Vergangenheit verschwimmt sehr schnell, man muss „bedenken für Kinder sind vielleicht noch die Gespräche mit den Großeltern relevant alles davor fühlt sich weit weg an“. 

Ausblick 

Insbesondere in einer Zeit, in der Verschwörungsmythen und Fehlinformationen schnell verbreitet werden können sieht Kotanko den Druck, der durch Social Media empfunden wird, alles zu kommentieren und zu rechtfertigen kritisch. Viele seien durch diese Überflutung überfordert. Als ehemaliger Gymnasialdirektor sieht er die Aufgabe der Bildung darin, den Menschen beizubringen, genauer zu überlegen und zweite Meinungen einzuholen. 

Eine ähnliche Perspektive nimmt auch Filmemacher Schwaiger ein: „Eine fruchtbare Geschichtsaufarbeitung kann niemals nur an der Oberfläche und auch nicht nur wissenschaftlich sein, Aufarbeitung heißt vor allem Reden und Zuhören.“ 

(Braunau-history.at, Abruf 20.04.2024)  

Die Braunauer Zeitgeschichte-Tage sind eine jährliche Tagung, die in der Stadt Braunau am Inn stattfindet und sich mit Aspekten der Zeitgeschichte befasst. Die Initiative für diese Veranstaltung geht auf den Politikwissenschaftler Andreas Maislinger zurück, der im Jahr 1992 die erste Tagung organisierte und bis 2012 die wissenschaftliche Leitung innehatte. Als direkte Folge der ersten Tagung wurde der Verein für Zeitgeschichte Braunau gegründet, der seit 1993 die Organisation, seit 2013 auch die inhaltliche Ausrichtung der Veranstaltung übernimmt. 

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