,,Ohne Frauen ist der Krampus fad“

Öffentlichkeit. Eigentlich ein Bereich der Gesellschaft, der der Allgemeinheit offensteht und dem Austausch und der Verständigung von Informationen und Meinungen dient. Doch in der Weihnachtszeit betritt man gelegentlich einen Raum, in dem für einige Tage im Jahr die gängigen Normen und Werte verblassen. Der Krampuslauf, ein ,,Phänomen“, das wenig belichtet wird, obwohl es tief in die kulturellen und sozialen Strukturen eingreift und jedes Jahr aufs Neue kontroverse Debatten über die Grenzen zwischen Brauchtum und Moderne entfacht.  

Wo kommt der Krampus eigentlich her? 

In Österreich kommt man schon in jungen Jahren schnell und oft unfreiwillig mit den schaurigen Gestalten in Kontakt. Während die Kleinsten lediglich mit harmlosem schwarzem Ruß beschmiert werden, geht es bei den Älteren meist härter zu, bei denen blaue Flecken nicht unüblich sind. Woher dieses Phänomen kommt, ist eine umstrittene Frage, erklärt Sozialanthropologin Gertraud Seiser, welche den Krampus als soziales und ökonomisches Phänomen erforscht hat. Der oft als jahrtausendealtes „Brauchtum“ beschriebene Krampus hat wissenschaftlich gesehen unklare Ursprünge, erste Berichte über sie häufen sich erst seit dem 17. Jahrhundert. Heutzutage gibt es große regionale Unterschiede. Krampusse treten meist zusammen mit dem heiligen Nikolaus auf, manchmal begleitet von Engeln. In zotteligem Tierfell gekleidet, schwer bepackt mit großen Glocken und in der Hand eine Rute, meist aus Rossschweif oder Birkenästen, ziehen sie von Haus zu Haus um die ,,bösen Kinder“ zu bestrafen, wohingegen der Nikolaus die ,,guten“ Kinder belohnt. 

Gewalt und Kontroversen 

Dieses „Bestrafen“ kann besonders intensiv bei Veranstaltungen sein, bei denen Krampusse und Zuseher*innen direkt aufeinandertreffen. Hier schlagen die Krampusse die Anwesenden mit Ruten, laufen ihnen hinterher und erzeugen durch lautes Glockengeläut und wilde Verfolgungsjagden eine eindrucksvolle, aber auch einschüchternde Atmosphäre. Was für Außenstehende erstmal völlig absurd klingt, ist für viele Menschen in alpenländlichen Regionen das Event des Jahres. 

Die Frage, warum an bestimmten Tagen Gewalt und patriarchale Strukturen nicht nur normalisiert, sondern sogar fast schon verherrlicht werden, wirft ein Schlaglicht auf die komplexe Beziehung zwischen Tradition und gesellschaftlicher Akzeptanz. Warum erlauben bestimmte Praktiken wie der Krampuslauf, dass sie eine Sonderstellung einnehmen, welche es ermöglicht, Normen zu überschreiten, die im alltäglichen Leben sonst kritisch betrachtet oder abgelehnt werden? Moritz Böhmer, aktives Mitglied der „Gruttenstoana Krampal“, sagt: ,,Mit der ,,Tradition“ kommt auch eine gewissen Verantwortung. Die Gewalt soll nicht im Vordergrund stehen. Wir müssen unsere Gesichter und Namen auch zusammen mit den Masken anmelden. Damit, dass falls etwas sein sollte, man uns erkennen kann.“ Er selbst läuft in einer Pass (Krampus-Gruppe), die ausschließlich familiäre Besuche am fünften und sechsten Dezember durchführt und sich mit geschnitzten Holzmasken ohne moderne Verzierungen auf die Vermittlung des Nikolaustages für Familien konzentriert. 

Geschlechterrollen unter den Masken 

,,Der Krampuslauf ist überwiegend männlich dominiert“, erklärt Seiser. ,,In bestimmten Regionen wie dem Gasteinertal und in Teilen Osttirols ist es strikt eine männliche Angelegenheit, Frauen dürfen oft nur als Engel teilnehmen und sind ansonsten ausgeschlossen.“  

In der Welt des Krampuslaufs wird der Mann oft ins Rampenlicht gestellt und gefeiert, während Frauen traditionell in unterstützenden Rollen verharren, etwa als Engel, Opfer oder die, die sich um die Bedürfnisse der Krampusse kümmern und sich an den Kosten beteiligen. Diese Rollenbilder erscheinen stark veraltet, besonders in einer Zeit, in der der Feminismus präsenter denn je ist und Frauen immer noch für Gleichberechtigung kämpfen (müssen). 

Laut einer Umfrage der Organisation Plan International sind solche traditionellen Rollenbilder auch unter jungen Männern in Deutschland noch weit verbreitet. Ungefähr die Hälfte der Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren betrachten sich in Beziehungen als die „Versorger“, die Entscheidungen treffen. Zudem hält ein Drittel dieser Gruppe es für hinnehmbar, wenn ihnen in einem Streit mit ihrer Partnerin gelegentlich ,,die Hand ausrutscht“. Weiterhin gaben 34 Prozent der Befragten an, dass sie in der Vergangenheit sogar schon handgreiflich gegenüber Frauen waren, um Respekt zu erzwingen. Diese Einstellungen spiegeln eine klare Rollenverteilung wider, die von vielen jungen Männern erwartet wird: Der Mann verdient das Geld, die Frau macht den Haushalt. Oder eben der Mann läuft als Krampus und die Frau versorgt ihn mit Speis und Trank. 

Veraltete Rollenbilder? 

Die Frage, ob solche Rollenbilder veraltet sind oder doch allmählich wieder an Beliebtheit gewinnen, ist komplex. Es scheint, dass einige Menschen die traditionellen Rollen tatsächlich begrüßen, was darauf hindeutet, dass diese nicht nur aus historischer Gewohnheit, sondern auch aus persönlicher Präferenz fortbestehen. ,,Viele Frauen hätten ihre Rolle im Verein gefunden und wären integriert und wollen gar nicht, dass sich etwas ändert“, laut Böhmer. Auch eine Zuseherin berichtet über ihre eigene Erfahrungen: ,,Ich gehe gern zum Krampuslauf, es ist ein Gefühl der Gemeinschaft. Eine Veranstaltung wo man eben hingeht und all seine Freunde trifft.  Auch viele meiner Freunde laufen als Krampusse. Es ist, glaub ich, dieser Nervenkitzel, das Weglaufen und Verstecken, das es irgendwie so interessant macht.“ Laut Seiser würden Frauen, die aktiv Krampusläufe aufsuchen, diese in ihrer „aggressiv-männlichen“ Form verteidigen. Es ist also schwierig sich als Feministin zu positionieren. 

Entscheidend ist jedoch, dass Frauen die Freiheit haben, sich bewusst für oder gegen eine solche Rolle zu entscheiden.  

Die Möglichkeit, wählen zu können, ob man eine unterstützende Funktion innerhalb des Vereins oder die des gejagten Opfers im Krampuslauf einnehmen möchte oder eben nicht, ist ein zentraler Aspekt der Gleichberechtigung. Dennoch besteht die Sorge, dass das Festhalten an Rollenmustern, die innerhalb solcher ,,Traditionen“ praktiziert werden, selbst wenn frei gewählt, strukturelle Ungleichheiten weiter verfestigen. 

Sollte innerhalb der Öffentlichkeit aber nicht gerade dieses Muster kritisch beleuchtet und ein offener Dialog über deren Auswirkungen auf die Gesellschaft geführt werden? Aktuell wird der Krampuslauf selten umfassend diskutiert und medial oft nur im Kontext von Unfällen und gewaltsamen Vorfällen berichtet.  

Doch warum erlangt der Krampuslauf so eine Faszination? 

Es geht offensichtlich nicht um die Bewunderung eines großen, starken Mannes, denn das ist die Darstellung des Krampusses in Österreich allemal nicht. Dieser wird dargestellt als alter Mann mit schiefen Zähnen, Eiterbeulen und allen möglichen wenig ansprechenden Charakteristiken. „Es ist in erster Linie das Gefühl der Gemeinschaft innerhalb der Vereine, aber auch innerhalb der Gemeinden, das den Krampuslauf ausmacht“, so Böhmer. Viele Menschen sind in den Prozess involviert und schufen Kunst in Form von Maskenschnitzereien und anderen handwerklichen Leistungen. Man kenne es aus Kindheitstagen und es sei schon ein gewisser Stolz, diese ,,Tradition“ weiterführen zu dürfen. ,,Dass diese Läufe nicht ausarten, liegt in der Verantwortung der Vereine“, unterstreicht er. Wie es scheint, wäre also eine qualitativ hochwertige Berichterstattung, die auch die positiven Aspekte beleuchtet, hilfreich, um ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, was wirklich hinter diesem Phänomen steckt. 

Von Engaln zu Krampussen 

Mittlerweile gibt es auch bereits die Möglichkeit für Frauen, als Krampusse aktiv teilzunehmen. In Salzburg beispielsweise existieren inzwischen rein weibliche Krampuspassen sowie gemischte Passen, wo Frauen auch gerne aktiv als Krampus mitlaufen. Dies zeugt von einer bedeutenden Entwicklung und Erweiterung der traditionellen Rollen innerhalb dieser Bräuche. Allerdings merkt Böhmer auch an, dass in seiner Gruppe noch überhaupt keine Frau jemals angefragt hätte, als Krampus mitzulaufen. „Das liegt wahrscheinlich auch am immer noch bestehenden Rollenverständnis. Mädchen bekommen vielleicht von klein auf gesagt, dass sie, wenn überhaupt, als Engel teilnehmen sollten und nicht als Krampus.“ Er hätte aber grundlegend nichts dagegen, eine Frau als Krampus aufzunehmen. Es ist also schwierig ein Richtig oder Falsch zu definieren. Insbesondere, weil Bräuche oft etwas sind, das Menschen etwas Vertrautes und Schönes beschert und an dem sie festhalten können. Die Frage bleibt deshalb: Wann ist Brauchtum noch Brauchtum und wann ist es an der Zeit etwas zu ändern, vor allem wenn sich um diesen Raum herum gesellschaftlich so viel ändert? Sollten oder dürfen Bräuche überhaupt verändert werden, besonders wenn es scheinbar keinen echten Willen zur Veränderung gibt? Die Entwicklungen in Salzburg lassen folgenden Schluss zu: Es ist wichtig diesen Raum, der jedes Mal geöffnet wird, nicht wieder zu schließen, um einen fortlaufenden Austausch von Informationen und Meinungen zu ermöglichen. Dies erlaubt es sowohl Frauen als auch Männern, sich aktiv zu positionieren und ihre Rollen selbst zu wählen. Eine öffentliche Auseinandersetzung sowie eine qualitativ hochwertige Berichterstattung in Medien zu diesen Themen sind dafür entscheidend, um sicherzustellen, dass Bräuche sich weiterentwickeln und an die sich wandelnden gesellschaftlichen Werte anpassen. 

Elea Pilz | Copyright: Max Peternell