Die Entstehung von Piratenradiosendern in den frühen 1960er Jahren war eine Antwort auf die rigiden, staatlichen Kontrollen des Rundfunks. SUMO sprach mit Schlüsselfiguren aus der damaligen Szene, konkret Steve Conway und John Simons über Radio Caroline. Dieser Sender revolutionierte die Radiolandschaft und gilt bis heute als Vorreiter für die Freiheit der Medien und die Bildung pluralistischer Öffentlichkeiten.
Von PETER ZAPFEL
Piratenradio – Ein Name, der nicht von ungefähr kommt
Radio Caroline wurde 1964 von dem Musikproduzenten Ronan O’Rahilly gegründet, als Alternative zu den staatlich kontrollierten Sendern. Der Sender begann seine Übertragungen von einem Schiff in internationalen Gewässern. Der Grund dafür? Mit dieser Strategie war es möglich, die strengen britischen Rundfunkgesetze zu umgehen. Diese Aktion war nicht ein technologischer und kultureller Durchbruch. Er machte den Weg für vielfältigere, musikalische Inhalte frei. Steve Conway, ehemaliger Moderator bei Radio Caroline, berichtet über diese Zeit: „In den 60ern, 70ern und 80ern betrieben die Menschen Piratensender, weil es keine andere Möglichkeit gab, den Leuten Zugang zu Musik zu eröffnen, die das Mainstream-Radio nicht spielte.“
Die britische Regierung reagierte schnell mit der Einführung des Marine Broadcasting Offences Act von 1967, der die Übertragungen von Schiffen aus illegal machte. Radio Caroline setzte seine Sendungen fort und trotzte im Kampf um das Recht auf freie Meinungsäußerungen den gesetzlichen Einschränkungen. Diese standhafte Haltung machte den Sender zu einem Symbol des Widerstands gegen mediale Zensur und beeinflusste nachhaltig die Diskussion um Medienfreiheit in Europa. Wie Conway erzählt, war der Preis für diese subkulturelle Aktivität ein hoher und das Leben an Board keineswegs bequem: „Wir scherzten immer das Leben offshore auf dem Schiff war wie ein Gefängnis, nur mit schlechterem Essen. Das Schiff war 18 Meilen vor der Küste und obwohl die Behörden Caroline in diesen internationalen Gewässern nicht direkt berühren konnten, machten sie es sehr schwierig, Nachschub zu bekommen. Es gab ein Gesetz in Großbritannien, das besagte, dass britische Personen und Firmen nicht bei Caroline werben oder sie versorgen durften. Und Boote durften keine Vorräte bringen. Ähnliche Gesetze gab es in anderen europäischen Ländern. Unsere Versorgungsboote, die wir Tender nannten, waren sehr geheim. Es waren nächtliche Operationen. Ein Versorgungsschiff kam alle zwei bis vier Wochen.“ Für die Crew an Board von Radio Caroline aber bedeutete das: „Sobald man draußen war, war man wirklich draußen, mit etwa 12 anderen Menschen auf dem Boot. Man sah wochenlang niemand anderen, bis das nächste Versorgungsschiff kam. Man hielt den Sender am Laufen und manchmal gab es reichlich Nahrung, manchmal weniger. Besonders im Winter konnten die Versorgungslinien gestört sein und es dauerte noch zehn Tage länger wegen schlechten Wetters. Dann überlebten wir mit Dosenbohnen und Reispaketen, aber es machte großen Spaß. Es war eine intensive Erfahrung.“
Technologische Innovationen und kultureller Einfluss
John Simons, ein britischer Radioberater, der seit über 40 Jahren in der Branche tätig ist, erinnert sich an diese Zeit aus der Perspektive des Zuhörers: „Ich habe Piratenradio gehört, aber ich lebte im Norden Englands und Radio Caroline konnte anfangs nur im Süden Englands empfangen werden. Es hatte einen sehr starken AM-Sender, der den gesamten Südosten abdeckte, einschließlich London, was das Hauptziel war. Schließlich starteten sie Radio Caroline North sowie Radio Caroline South. Das Problem war noch immer, dass es an der Westküste war und ich an der Ostküste lebte. Meine Piratenradio-Erfahrung war deshalb eine Station namens Radio North Sea International, die an der Ostküste Englands lag.“
Tatsächlich war Radio Caroline technisch ein Vorreiter in der Nutzung von AM-Frequenzen, um eine breite Zuhörerschaft zu erreichen. Kulturell spielte der Sender eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Rockmusik und beeinflusste maßgeblich die Musikszene in Großbritannien und darüber hinaus. Künstler*innen und Bands, die von Radio Caroline gespielt wurden, wie die Beatles und die Rolling Stones, erlebten oft einen signifikanten Karriereschub.
Simons reflektiert: „Ich denke, die Beatles wären so oder so erfolgreich gewesen, weil sie einfach außergewöhnlich waren und vier unglaublich talentierte Individuen, die unabhängig von allem Erfolg gehabt hätten. Die BBC unterstützte die Beatles und die Rolling Stones und ähnliches. Ich denke jedoch, dass die Musikexplosion der 1960er Jahre durch das Piratenradio angeheizt wurde. Es hätte nicht so viele britische Bands gegeben. Man denke etwa an Gerry and the Pacemakers, die Kinks, die Rolling Stones, Herman’s Hermits, die Animals aus Newcastle.“
Dieser These stimmt auch Conway zu: „Piratenradio hatte zwei wichtige Auswirkungen: Erstens ermöglichte es den Zugang zu mehr Musik und zu Musikrichtungen, die im Mainstream-Radio nicht gespielt wurden. Wenn man als Band nicht im Mainstream war, war Piratenradio in den 60ern, 70ern oder 80ern eine einflussreiche Alternative. Heute bekannte Bands wie Status Quo sprechen darüber, wie Caroline ihnen geholfen hat. Zweitens wird oft gesagt, dass es ohne Caroline kein richtiges Radio in Großbritannien gegeben hätte. Vielleicht wäre es trotzdem so gekommen, wie es heute ist. Aber Caroline und die anderen Piraten beschleunigten diese Entwicklung.“
Im Vergleich zur österreichischen Radiogeschichte wurde das kommerzielle Radio in Großbritannien bereits 1973 eingeführt. Simons beschreibt: „Die ersten beiden Stationen wurden in London gestartet. Zuerst gab es eine Sprachstation namens LBC und kurz darauf die zweite, Capital, eine Vollservice-Musikstation, die auch viel Sprache beinhaltete. In dem Teil Englands, in dem ich lebe, im Nordosten Englands, bekamen wir 1975 lokales Radio. Meine lokale Station hieß Radio Tees.“
Wie reagierte die BBC auf diese Änderung der Rahmenbedingungen? Simons zufolge bot die BBC in ihrer Rolle als Monopolist Inhalte, von denen die Radiomacher*innen dachten, dass die Leute es hören wollen. Die Radiopiraten gaben den Menschen hingegen, was sie tatsächlich wollten. Für die BBC war das folglich ein Lernprozess, da der neue Act dramatische Änderungen mit sich brachte. Conway schreibt Radio Caroline eine nachhaltige Wirkung zu: „Die Revolution der vielen lizenzierten Radiosender in den frühen 90ern wäre ohne die Piratenstationen vielleicht erst fünf oder zehn Jahre später passiert. Auch das Ende des Needle Time Gesetzes, welches Musiksendezeit beschränke 1988 kam durch den Druck der lizenzierten Sender zustande, die nicht mit Caroline konkurrieren konnten.“
Wenngleich das Senden ab 1973 offiziell erlaubt war, Radio Caroline blieb ohne Lizenz und sendete weiter auf See, bis zum dramatischen Ende. Dazu Conway: „Dann kam das große Unglück, der Schiffbruch 1991. Ein heftiger Sturm mit Windstärke elf aus Nordost ließ unsere Ankerkette reißen und wir trieben auf eine Sandbank an der britischen Küste. Das Schiff lag in einem 45-Grad-Winkel, und wir dachten, es würde kentern. Wir mussten die Küstenwache rufen und wurden per Hubschrauber gerettet. Das war sehr beängstigend, weil wir nicht wussten, ob das Schiff kentern würde, bevor wir gerettet wurden. Ein Rettungsboot lief ebenfalls auf Grund und konnte uns nicht helfen. Das war ein dramatischer Morgen. Leider driftete das Schiff in britische Gewässer, und als es geborgen wurde, wurde es in den Hafen von Dover gebracht. Das war das Ende für Caroline auf See.“
Das Erbe von Radio Caroline:
Trotz vieler Herausforderungen und der zwischenzeitlichen Einstellung seiner Aktivitäten blieb Radio Caroline einflussreich. Im Jahr 2017 erhielt der Sender schließlich eine offizielle Lizenz und sendet nun legal. Diese Entwicklung zeigt nicht nur die Resilienz des Senders, sondern auch die langfristige Anerkennung seiner Bedeutung für die Medienlandschaft.
Simons betont: „Also, das Einzige, was in meinen über 40 Jahren im Radio konstant geblieben ist, ist der Wandel. Man muss mit dem Wandel gehen. Man kann nicht stillstehen. Man muss ständig vorwärts gehen. Und das ist der Grund, warum wir Radio so sehr lieben.“
